ERNTE

Gleich der Weinlese stellt die Ernte in den Augen des Landmanns die Frucht seiner Arbeit und das Unterpfand seiner Versorgung für ein ganzes Jahr dar. Deshalb vermag dieses von der Natur über die Arbeit des Menschen gefällte Urteil das Gericht Gottes zu bezeichnen.

1. Die Freude der Schnitter

Die Gerstenernte (April) und die Weizenernte (Mai) waren Anlässe zur Feier fröhlicher Volksfeste: Von Hügel zu Hügel erklang der Gesang der einzelnen Gruppen von Erntearbeitern, der die mühevolle Arbeit mit der Sichel in einer sengenden Sonne vergessen ließ (Ruth 2; Is 9, 2; Jr 31, 12; Ps 126, 6). UEber dieser Freude aber vergaß man nicht auf Jahve, war doch die Ernte das Zeichen und die Frucht des göttlichen Segens Gott, der das Wachstum gegeben hat (1 Kor 3, 6f), gebührt Danksagung (Ps 67, 7; 85, 13); diese kommt im liturgischen Erntefest, dem Pfingstfeste zum Ausdruck, in dessen Verlauf die Erstlinge der Ernte (Ex 23, 16; 34, 22), vor allem die erste Garbe (Lv 23, 10), dargebracht wurden.

Der Erntearbeiter muß auch andere an seiner Freude teilnehmen lassen und sich freigebig zeigen. Das Gesetz schrieb vor, ,,dem Ochsen beim Dreschen keinen Maulkorb anzulegen" (Dt 25, 4; 1 Kor 9, 9), vor allem aber, ,,das Feld nicht völlig bis zum Rande abzuernten und keine Nachlese zu halten" (Lv 19,9; Dt 24, 19), die den Anteil des Armen und des Fremden bilden sollte. Diese Freigebigkeit war es, die Booz der Ausländerin Ruth begegnen und sie ehelichen ließ, sie, die sich als Ahnfrau Davids und des Messias höchster Wertschätzung erfreute (Ruth 2, 15ff; Mt 1, 5).

Doch darf diese berechtigte und brüderliche Freude den Blick des Landmanns nicht an die Erde fesseln. Dies war es wohl, was das Gesetz über das Sabbat Jahr ein prägen wollte, das vorschrieb, das Land alle sieben Jahre ruhen zu lassen (Lv 25, 4f), und den Landmann aufforderte, zum Hirtenleben zurückzukehren und sich mehr auf Gott allein zu verlassen. Jesus hat dies unmißverständlich zum Ausdruck gebracht, als er uns mahnte, uns dem himmlischen Vater anheimzugeben gleich den ,,Raben, die weder säen noch ernten" (Lk 12, 24 par.). Der Landmann darf also sein Vertrauen und seine Hoffnung nicht auf seine vollen Kornspeicher setzen, er soll nicht für sich selber Schätze sammeln, sondern ,,im Hinblick auf Gott", der eines Tages seine Seele von ihm fordern wird (Lk 12, 16 - 21; vgl. Jr 17, II).

II. Die Ernte und die Aussaat

1. Die Ernte ist die Frucht der Aussaat ( Säen . Zwischen ihnen besteht mehr als eine Entsprechung. Man erntet, was man gesät hat (Gal 6, 7).Ohne Mühe keine Ernte (Spr 20, 4). ,,Wer Unrecht sät, wird Unheil ernten" (Spr 22, 4). Gerechtigkeit säen erbringt eine Ernte des Segens (Os 10, 12f). All das bedeutet, daß ,,Gott jedem nach der Frucht seiner Werke vergilt" (Jr 17, 10). Zwecklos, sich dagegen aufzulehnen, indem man mit dem faulen Knechte sagt: ,,Gott erntet dort, wo er nicht gesät hat" (Lk 59, 21), denn Gott hat durch die Erschaffung und die Erlösung der Menschen sein Wort in alle Herzen gesät (Jak 1, 21; Mk 4, 10).

2. Wenn aber die Ernte auch gleicher Natur ist wie die Aussaat, so unterscheidet sie sich doch von ihr durch die Art und Weise ihrer Verwirklichung: ,,Die mit Tränen säen, ernten mit Jubel" (Ps 126, 5). Sie unterscheiden sich auch durch das Ausmaß. Gewiß wird derjenige, der ,,kärglich sät, auch kärglich ernten, und wer reichlich sät, auch reichlich ernten" (2 Kor 9, 6); doch überbietet die Ernte, der Art Gottes gemäß, dessen Werke sich stets durch UEberfülle auszeichnen, die Aussaat und kann bis zum Hundertfachen gehen, wie dies bei Isaak der Fall gewesen ist (Gn 26, 12), und bei dem guten Erdreich, das das Wort Gottes aufnahm (Mt 13, 8. 23 par.).

3. So gültig der Grundsatz ist, daß man erntet, was man gesät hat (Is 37, 30), hat Gott doch die Zeiten der Aussaat und der Ernte festgelegt (Gn 8, 22; Jr 5, 24), so daß der Mensch geduldig warten muß, bis der Weizen reif geworden ist (Mk 4,

26 - 29), doch kann er dies voll Vertrauen tun trotz des Sprichwortes: ,,Der eine sät, der andere erntet" (Jo 4, 37).

III. Die Ernte, ein Bild für das Gericht Gottes

Wenn Gott die Werke der Menschen einerntet, richtet er darüber nach der Vergeltung seiner Gerechtigkeit Dieses Gericht, das am Ende der Zeiten stattfinden wird, ist durch das Kommen Christi vorweggenommen.

1. Am Tage Jahves. Die Ernte hat ein doppeltes Gesicht. Man bringt sie ein und tut dies mit Freude Man schneidet sie aber auch, man klopft sie mit dem Stock, man fährt mit dem Dreschschlitten darüber und verbrennt schließlich das Stroh (Is 28, 27f) - ein Sinnbild der Strafe Gleich einem Schnitter schneidet, schlägt, scheidet auch Gott, wenn er Israel (Is 17, 5; Jr 13, 24) oder Babylon straft (Jr 51, 2. 33). Wenn die Bosheit der Menschen ihren Höhepunkt erreicht hat, gilt es, ,,die Sichel anzusetzen, denn die Ernte ist reif" (Joel 4, 53), die Ernte des Gerichtes über die Völker. In einem radikalen Kontrast, den die prophetischen Wahrsprüche widerspiegeln, erfolgt aber zugleich auch und ganz unvermittelt die Ankündigung der Freude bereitenden Ernte, die die Mühe in Bälde ablösen wird (Joel 4, 18; Am 9, 13; Os 6, 11; Ps 126, 5f).

2. In der messianischen Zeit. Diese Ankündigung ist mit dem Kommen Jesu Wirklichkeit geworden.

a) Der Sämann und der Schnitter. Während Christus für den Vorläufer der Schnitter ist, der seine Tenne reinigt und den Weizen von der Spreu scheidet (Mt 3, 12 par.), sehen die Christen in Jesus den Sämann schlechthin, der das Wort in die Herzen der Menschen legt (Mk 4, 3 - 9 par.), zugleich aber auch den Schnitter, der auf dem Felde, auf dem die Ernte reif geworden ist, die Sichel anlegt (4, 29). Es ist keine Zeit mehr zu verlieren: ,,Die Felder sind schon weiß für die Ernte deshalb teilt der Sämann die Freude des Schnitters" (Jo 4, 35f).

b) Die Erntearbeiter. Wenn die Ernte reif ist, ruft der Herr auf, an die Arbeit zu gehen (Mt 9,38 par.). Die Jünger, die in die Welt gesandt werden, werden die Frucht der Arbeit ihrer Vorgänger ernten, vor allem Jesu, der die Vermehrung der Weizenkörner mit seinem Blute bezahlt hat. In dieser Hinsicht bleibt jenes Sprichwort wahr, das zwischen dem Sämann und dem Schnitter einen Unterschied macht (Jo 4, 37). Indes werden die Schnitter selbst ,,im Sieb" der Prüfung und der Verfolgung ,,gerüttelt werden" (Lk 22, 31).

c) In Erwartung der endgültigen Ernte. So richtig es ist, daß das neue Pfingsten den Beginn der Ernte der Kirche bedeutet, wird diese erst am Tage des Herrn voll endet werden, wenn der Menschensohn seine Sichel an die endgültig reif gewordene Ernte legen wird (Apk 14, 14ff; Mk 4, 29). Bis zu diesem Augenblick wird das Unkraut zugleich mit dem Weizen weiter wachsen. Wenn es der Kirche auch zusteht, das Böse zu richten und zu verurteilen, so hat sie doch nicht die Aufgabe, den Bösen ins Feuer zu werfen. Der Menschensohn ist es, der am Ende der Zeiten seine Engel aussenden wird, um jenes Gericht zu vollziehen, das er über die Werke der Menschen abhalten wird (Mt 13, 24 - 30. 36 - 43). Freude