ZORN

Niemand kann vom Zorne Gottes sprechen hören, ohne daran Anstoss zu nehmen, wenn er noch nie von seiner >> Heiligkeit oder von seiner Liebe heimgesucht worden ist. So notwendig es einerseits ist, dass der Mensch seiner Sünde entrissen wird, um der Gnade teilhaft werden zu können, ebenso notwendig muß auch der Glaubende dem Geheimnis des Zornes nahekommen, um in Wahrheit an die Liebe Gottes heranzukommen. Dieses Geheimnis auf den mythischen Ausdruck einer menschlichen Erfahrung zurückführen wollen heisst den Ernst der Sünde und die Tragik der Liebe Gottes verkennen. Gewiss hat der Zorn des Menschen die Voraussetzung geboten, um dieser geheimnisvollen Wirklichkeit sprachlichen Ausdruck zu verleihen, doch ist die Erfahrung des Geheimnisses schon vor diesem sprachlichen Ausdruck vorhanden gewesen und nicht von diesem bedingt.

DER ZORN DES MENSCHEN

1. Verurteilung des Zornes. Gott verurteilt die gewalttätige Reaktion eines Menschen, der sich gegen einen anderen erhebt, sei dies aus Eifersucht wie bei Kain (Gn 4, 5), sei es aus Grimm wie bei Esau (Gn 27, 44f), sei es aus massloser Rachsucht wie bei Simeon und Levi, um die ihrer Schwester angetane Schande zu sühnen (Gn 49, 5 ff; vgl. 34, 7 - 26; Jdt 9, 2). Dieser Zorn führt normalerweise zum Mord. Die Weisheitslehrer tadeln ebenfalls die Torheit des Zornmütigen (Spr 29, 11), der dem ursprünglichen Bilde zufolge ,,den Hauch der Nüstern" nicht zu beherrschen vermag, während sie den Weisen bewundern, der im Gegensatz zum ,,kurzatmigen" Hitzkopf ,,einen langen Atem" besitzt (Spr 14, 29; 15, 18). Der Zorn erzeugt Ungerechtigkeit (Spr 14, 17; 29, 22; vgl. Jak 1, 19f). Jesus hat sich noch radikaler gezeigt, da er den Zorn mit der Wirkung, die er hervorzubringen pflegt, mit dem Mord, gleichsetzt (Mt.5, 22). Deshalb erklärt ihn auch der hl. Paulus für unvereinbar mit der Liebe (1 Kor 13, 5); er ist ein UEbel schlechthin (Kol 3, 8), vor dem man sich hüten muß, vor allem im Hinblick auf die Nähe Gottes (1 Tim 2, 8; Tit 1, 7).

2. Der heilige Zorn. Während aber die Stoiker im Namen ihres Ideals der apatheia jegliche Erregung verwarfen, kennt die Bibel auch einen ,,heiligen Zorn", der die Reaktion Gottes gegen die Auflehnung des Menschen konkret ausspricht. So entbrannte Moses in heiligem Zorn gegen die Hebräer, als sie es an Glauben fehlen liessen (Ex 16, 20), am Horeb abfielen (Ex 32, 19. 22), die Riten vernachlässigten (Lv 10, 16) oder an der Beute den Bann nicht vollstreckten (Nm 31, 14). So wurde Pinechas für seinen Eifer das Lob Gottes zuteil (Nm 25, 11); so entbrannte auch Elias in heiligem Zorn, als er die falschen Propheten töten ließ (1 Kg 18, 40) oder über die Abgesandten des Königs Feuer herabrief (2 Kg 1, 10. 12.); desgleichen der hl. Paulus in Athen (Apg 17, 16). Angesichts der Götzen, angesichts der Sünde wurden diese Männer gleich Jeremias ,,von der Zornesglut Jahves erfüllt" (Jr 6, 11; 15, 17), in unvollkommener Weise den Zorn Jesu ankündigend (Mk 3, 5). Es ist kein Paradoxon, zu sagen, Gott allein könne in Zorn geraten. Deshalb werden die Worte des Zornes im Alten Testament bei Gott ungefähr fünfmal so oft verwendet als beim Menschen. Der hl. Paulus, der indes mehr als einmal in Zorn geraten sein mag (Apg 15, 39), erteilt den weisen Rat: ,,Rächt euch nicht selbst, Geliebte, sondern gebt Raum dem Zorne (Gottes). Es steht ja geschrieben: ,Mein ist die Rache, ich werde vergelten', spricht der Herr" (Röm 12, 19). Der Zorn ist nicht Sache des Menschen, sondern Sache Gottes.

DER ZORN GOTTES

I. Bilder und Wirklichkeit

1. Er ist eine Tatsache. Gott gerät in Zorn. Eine Fülle von Bildern ist es, die die biblische Inspiration zu dessen Beschreibung verwendet und die Isaias zusammenfasst, wenn er schreibt: ,,Empor lodert sein Zorn, seine Lippen sind voll Groll, seine Zunge ist wie verzehrendes Feuer, sein Odem ist wie ein reissender Strom, der bis zum Halse reicht... Sein Arm schlägt zu im Grimme seines Zornes, in der Glut eines verzehrenden Feuers, in Sturm, Gewitter und Hagel ... Der Odem Jahves wird gleich einem Schwefelstrom das im Tophet angehäufte Stroh und Reisig entzünden" (Is 30, 27 - 33). Feuer Odem, Sturm, reissender Strom, der Zorn flammt auf, wird ausgegossen (Ez 20, 33), er muß gleich einem berauschenden >> Wein (Jr 25, 15 - 38) aus einem Becher getrunken werden (Is 51, 17). Das Ergebnis dieses Zornes aber ist der Tod mit seinen Trabanten. David kann zwischen ihnen wählen: Hunger, Niederlage oder Pest (2 Sm 24, 13 ff); anderenorts sind es die Plagen (Nm 17, 11), der Aussatz (Nm 12, 9f), der Tod (1 Sm 6, 19). Dieser Zorn bricht über alle Schuldigen, die sich >> verhärten herein: zunächst über Israel, weil es dem heiligen Gott am nächsten steht (Ex 19; 32; Dt 1, 34; Nm 25, 7 - 13), über die gesamte Gemeinde (2 Kg 23, 26; Jr 21, 5) wie über einzelne Menschen; sodann über die >> Heidenvölker (1 Sm 6, 9), denn Jahve ist der Gott der gesamten Erde (Jr 10, 10). Es gibt kaum ein Dokument oder ein Buch, das dieser UEberzeugung nicht Ausdruck verliehe.

2. Gegen die Tatsache, dass es einen von einer heftigen Leidenschaft beseelten Gott gibt, erhebt die Vernunft Einspruch und will die Gottheit von Gefühlen freihalten, die sie als dieser unwürdig erachtet. Deshalb wird nach einer Tendenz, die in der Bibel nur gelegentlich aufscheint, in den anderen Religionen dagegen häufig vorkommt (vgl. die griechischen Erynnien), der Satan zum ausführenden Organ des Zornes Gottes (vgl. 1 Chr 21 und 2 Sm 24). Indes ist das religiöse Bewusstsein der Bibel an das Geheimnis nicht auf diesem Wege der Entmythisierung oder UEbertragung herangegangen. Gewiss wird die Offenbarung mit Hilfe poetischer Bilder vermittelt, doch handelt es sich dabei nicht um blosse Metaphern. Gott erscheint von einer regelrechten ,,Leidenschaft" erfasst, die er entfesselt, nicht zur Ruhe kommen lässt (Is 9, 11), die fortdauert (Jr 4, 8) oder die sich im Gegenteil abwendet (Os 14, 5; Jr 18, 20), denn Gott wendet sich denen wieder zu, die sich ihm wieder zuwenden (2 Chr 30, 6; vgl. Is 63, 17). In Gott kämpfen zwei ,,Gefühle" miteinander, der Zorn und die Barmherzigkeit (vgl. Is 54, 8 ff; Ps 30, 6), die beide die leidenschaftliche Zuneigung Gottes zum Menschen ausdrücken. Doch tun sie dies auf verschiedene Art und Weise: Während der letztlich dem Jüngsten >> Tage vorbehaltene Zorn schliesslich zur >> Hölle wird, triumphiert die barmherzige Liebe auf immer im >> Himmel doch tut sie dies auch hienieden durch jene Strafen die den Sünder zur >> Bekehrung bewegen wollen. Solcherart ist das Geheimnis, dessen Israel auf verschiedenen Wegen allmählich innegeworden ist.

II. Zorn und Heiligkeit

1. Auf dem Wege zur Anbetung des heiligen Gottes. Eine erste Gruppe von Texten - es sind die ältesten - lässt den irrationalen Charakter des Tatbestandes zutage treten. Der Tod bedroht jeden, der sich unbedacht der >> Heiligkeit Jahves nähert (Ex 19, 9 - 25; 20, 18 - 21; 33, 20; Ri 13, 22). Uzza wird vom Blitz getroffen, da er die Bundeslade stützen will (2 Sm 6, 7). Auf diese Weise werden die Psalmisten die Drangsale die Krankheit den frühzeitigen Tod den Triumph der Feinde deuten (Ps 88, 16; 90, 7 - 10; 102, 9 - 12; Jb). Diese Haltung ist ebenso hellsichtig - nimmt sie doch das UEbel als das, was es ist - wie naiv, schreibt sie doch jedes unerklärliche UEbel dem Zorne Gottes zu, der als Rache für die Verletzung eines Tabus aufgefasst wird; hinter ihr aber verbirgt sich ein tiefer Glaube an die Gegenwart Gottes in jedem Geschehen und ein echtes Gefühl der >> Furcht vor der Heiligkeit Gottes (Is 6, 5).

2. Zorn und Sünde. Nach anderen Texten gibt sich der Gläubige nicht damit zufrieden, das göttliche Eingreifen, das seine Existenz in Frage stellt, voll Angst und Schrecken >> anzubeten er fragt nach dessen Motiv und Sinn. Weit davon entfernt, es einem übelwollenden Hass (vgl. die griechische menis) oder einer Eifersuchtslaune (vgl. den babylonischen Gott Enlil) zuzuschreiben, was doch nichts anderes bedeuten würde als ein Abwälzen der Schuld auf einen anderen, erkennt Israel sein Vergehen an. Manchmal bezeichnet Gott den Schuldigen dadurch, dass er das ungeduldige Volk (Nm 11, 1) oder Mirjam wegen ihrer bösen Zunge bestraft (Nm 12, 1 - 10); manchmal vollstreckt die Gemeinde den göttlichen Zorn (Ex 32) oder wirft das Los, um den Schuldigen, z. B. Akan, zu finden (Jos 7). Wenn es einen Zorn Gottes gibt, so deshalb, weil es eine Sünde des Menschen gibt. Diese UEberzeugung hat den Verfasser des Buches der Richter geleitet, nach dem die Geschichte Israels in einem dreiteiligen Rhythmus verläuft: Abfall des Volkes, Zorn Gottes, Bekehrung Israels. Auf diese Weise geht Gott aus dem Prozess in den ihn der Sünder verstrickt hat, gerechtfertigt hervor (Ps 51, 6); dabei entdeckt der Sünder im göttlichen Zorn einen ersten Sinn: die Eifersucht einer heiligen Liebe. Die Propheten erklären die Strafen der Vergangenheit mit der Untreue des Volkes dem Bunde gegenüber (Os 5, 10; Is 9, 11; Ez 5, 13); die furchterregenden Bilder des Osee (Motte, Wurmfrass, Löwe, Jäger, Bärin ...: Os 5, 12. 14; 7, 12; 13, 8) wollen den Ernst der göttlichen Liebe aufzeigen: der Heilige Israels kann in dem Volke, das er erwählt hat, die Sünde nicht dulden. Aber auch über die >> Heidenvölker wird sich der Zorn ergiessen, und zwar nach dem Maß ihres >> Hochmuts der sie über die ihnen übertragene ( Sendung Aufgabe weit hinausgehen lässt (Is 10, 5 - 15; Ez 25, 15 ff). Wenn der Zorn Gottes drohend über der Welt schwebt, so deshalb, weil die Welt sündhaft ist. Wenn der Mensch vor diesem drohenden Zorn Furcht empfindet, bekennt er seine Sünde und erschliesst er sich der Gnade (Mich 7, 9; Ps 90, 7f).

III. Die Zeiten des Zornes

Damit ist jedoch die Entfaltung des religiösen Bewusstseins noch nicht abgeschlossen: nachdem der Mensch den Schritt von der blinden Anbetung zum Bekenntnis seiner Sünde getan und nachdem er die Heiligkeit erkannt hat, die die Sünde vernichtet, muß er zur Anbetung der Liebe gelangen, die dem Sünder neues Leben schenkt.

1. Zorn und Liebe. Wenn Gott seinen Zorn kundtut, tut er dies nicht gleich einem Menschen; er ist Herr seiner Leidenschaft. Gewiss entbrennt der Zorn Gottes zuweilen unvermittelt gegen die Hebräer, ,,während sie noch an dem Fleische aßen" (Nm 11, 33), oder gegen Mirjam (Nm 12, 9), doch geschah dies nicht aus Ungeduld. Im Gegenteil, Gott ist ,,langsam zum Zorn" (Ex 34, 6; Is 48, 9; Ps 103, 8), und seine Barmherzigkeit ist stets bereit, sich kundzutun (Jr 3, 12). ,,Ich werde der Glut meines Zornes nicht freien Lauf lassen und werde Ephraim nicht vernichten, Gott bin ich ja und nicht Mensch", liest man bei jenem Propheten, der die heftigsten Bilder verwendet (Os 11,9). Mehr und mehr wird der Mensch inne, dass Gott nicht ein Gott des Zornes, sondern der Gott der Barmherzigkeit ist. Nach der exemplarischen Bestrafung des Exils sagt Gott zu seiner Braut: ,,Nur einen kurzen Augenblick verließ ich dich, aber mit grösstem Erbarmen hol ich dich heim. Im UEberwallen meines Zornes verbarg ich mein Antlitz einen Augenblick vor dir. Aber in einer ewigen Liebe erbarm ich mich deiner" (Is 54, 7f). Der Sieg dieses Erbarmens aber hat zur Voraussetzung, dass der getreue Knecht für die Sünden des Volkes zu Tode getroffen wird, die Ungerechtigkeit in Gerechtigkeit verwandelnd (Is 53, 4. 8).

2. Bewahrung vor dem Zorne. Da Gott zu seiner Zeit und nicht in einer plötzlichen Aufwallung von Ungeduld straft, lässt er den Menschen die >> erzieherische Bedeutung der durch seinen Zorn ausgelösten Strafen erkennen (Am 4, 6 - 11). Dieser Zorn, der dem Sünder in einem Ratschluss des Erbarmens angekündigt wird, lähmt ihn nicht gleich einem schicksalhaften Schreckbild, sondern fordert ihn auf, sich zur Liebe zu >> bekehren (Jr 4, 4). Wenn aber Gott im Grunde seines Herzens nichts anderes als Liebe will, kann Israel um Bewahrung ( Befreiung vor dem Zorne bitten. Die Opfer die vom Glauben an die göttliche Gerechtigkeit beseelt sind, haben nichts mit jenen magischen Praktiken zu tun, die die Gottheit beschwören wollen; gleich den Fürbitt- Gebeten bringen sie die UEberzeugung zum Ausdruck, dass Gott von seinem Zorne abstehen kann. Moses legt für das treulose Volk (Ex 32, 11. 31f; Nm 11, 1f; 14, 11f) oder für einzelne Schuldiggewordene (Nm 12, 13; Dt 9, 20) Fürbitte ein. Dasselbe tut Amos für Israel (Am 7, 2. 5), Jeremias für Juda (Jr 14, 7 ff; 18, 20), Job für seine Freunde (Jb 42, 7f). Dadurch werden die Auswirkungen des Zornes gemildert (Nm 14; Dt 9) oder ganz beseitigt (Nm 11; 2 Sm 24). Die angeführten Motive bringen deutlich zum. Ausdruck, dass das Band zwischen Israel und Gott nicht zerrissen ist (Ex 32, 12; Nm 14, 15f; Ps 74, 2); in diesem Zwiegespräch beruft sich der Mensch auf seine Schwäche (Am 7, 2. 5; Ps 79, 8) und erinnert Gott daran, dass sein Wesen Barmherzigkeit und Treue ist (Nm 14, 18).

3. Zorn und Strafe. Wenn Israel den Zorn, der den verhärteten Sünder vernichtet, als Strafe auffasst, die im Hinblick auf die Besserung und die Bekehrung des Sünders erlitten wird, hat es dadurch dem Zorne im strengen Sinne dieses Wortes nicht seinen Inhalt genommen; es hat diesem vielmehr seinen richtigen Standort angewiesen, nämlich den Jüngsten Tag Der Tag der Finsternis, von dem Amos gesprochen (Am 5, 18 ff), wird zum ,,Tage des Zornes" (Dies irae, Soph 1, 15 - 2, 3), dem niemand entrinnen kann, weder die Heiden (Ps 9, 17f; 56, 8; 79, 6 ff) noch die Gottlosen der Gemeinde (Ps 7, 7; 11, 5f; 28, 4; 94, 2), sondern nur der gottesfürchtige Mensch, dessen Sünde Vergebung gefunden hat (Ps 30, 6; 65, 3f; 103, 3). Auf diese Weise wurde ein Unterschied zwischen Zorn und Zorn herausgearbeitet. Die Strafen die Gott im Verlauf der Geschichte schickt, sind nicht der Zorn Gottes im eigentlichen Sinne, der auf immer vernichtet, sondern nur >> Vorbilder die ihn im voraus darstellen. Durch sie bringt der Zorn der Endzeit seinen Heilswert zu stets neuer Geltung, indem er die Liebe des heiligen Gottes unter einem ihrer Aspekte offenbart. Im Hinblick auf diesen Zorn können und müssen die >> Heimsuchungen Gottes, die er über sein sündiges Volk kommen lässt, als Gesten der Langmut verstanden werden, die das Wirksamwerden des letzten Zornes hinausschieben (vgl. 2 Makk 6, 12 - 17). Die Verfasser der Apokalypsen haben ganz richtig gesehen, dass der Zeit der endgültigen Gnade eine Zeit des Zornes vorausgehen muß: ,,Wohlan, mein Volk, geh in deine Kammern und schliess die Türen hinter dir zu! Verbirg dich für kurze Zeit, bis der Zorn vorübergegangen" (Is 26, 20; vgl. Dn 8, 19; 11, 36).

NT

Angefangen von der Botschaft des Täufers (Mt 3, 7 par.) bis zu den letzten Seiten des Neuen Testaments (Apk 14, 10), hält das Evangelium der Gnade den Zorn Gottes als eine grundlegende Gegebenheit seiner Botschaft aufrecht. Es hiesse die Häresie Marcions zu neuem Leben erwecken, wollte man den Zorn daraus entfernen und nur mehr eine trügerische Vorstellung vom ,,lieben Gott" beibehalten. Indes hat das Kommen Christi die Tatbestände des Alten Testaments umgewandelt, indem es diese erfüllt hat.

I. Die Wirklichkeit und die Bilder

1. Von der göttlichenLeidenschaft zu den Auswirkungen des Zornes. Der Akzent hat sich verschoben. Gewiss werden die alttestamentlichen Bilder nach wie vor verwendet: auch im Neuen Testament ist noch die Rede vom Feuer (Mt 5,22; 1 Kor 3, 13. 15), vom vernichtenden Hauch (2 Thess 1, 8; 2, 8), vom >> Wein vom Becher von den Schalen, von den Posaunen des Zornes (Apk 14, 10. 8; 16, 1 ff). Doch wollen sie die Leidenschaft Gottes nicht mehr so sehr beschreiben als deren Auswirkungen offenbaren. Wir sind bereits in die End Zeit eingetreten. Johannes der Täufer kündigt das Feuer des Gerichtes an (Mt 3, 12), Jesus tut in der Parabel von den unwürdigen Geladenen dasselbe (Mt 22, 7), auch nach seinen Worten werden der Feind und der Ungläubige vernichtet (Lk 19, 27; 12, 46) und ins unauslöschliche Feuer geworfen (Mt 13, 42; 25, 41).

2. Jesus im Zorne. Noch schrecklicher aber als diese inspirierte Sprache, noch tragischer als die Erfahrung der Propheten, die zwischen dem heiligen Gott und dem sündigen Menschen zermalmt werden, ist die Reaktion eines Menschen, der Gott selbst ist. In Jesus offenbart sich der Zorn Gottes. Jesus verhält sich nicht gleich einem Stoiker, der niemals in Erregung gerät (Jo 11, 33); er tritt dem Satan heftig entgegen (Mt 4, 10; 16, 23), droht den Dämonen in aller Schärfe (Mk 1, 25), er gerät angesichts der teuflischen Verschlagenheit der Menschen ausser sich (Jo 8, 44), vor allem der Pharisäer (Mt 12, 34), sowie angesichts jener, die die Propheten morden (Mt 23, 33), und der >> Heuchler (Mt 15, 7). Gleich Jahve erhebt sich Jesus voll Zorn gegen jeden, der sich gegen Gott erhebt. Deshalb schilt Jesus auch die Ungehorsamen (Mk 1, 43; Mt 9, 30), die schwachgläubigen Jünger (Mt 17, 17). Vor allem aber gerät er in Zorn gegen jene, die gleich dem eifersüchtigen älteren Bruder des verlorenen Sohnes, den der Vater der Erbarmungen wieder aufgenommen hatte (Lk 15, 28), kein Erbarmen zeigen wollen (Mk 3, 5). Endlich offenbarte Jesus auch den Zorn des Richters; gleich dem Herrn der Parabel vom Grossen Gastmahl (Lk 14, 21), gleich dem Herrn des unbarmherzigen Knechtes (Mt 18, 34) überantwortet er die unbussfertigen Städte dem Verderben (Mt 11, 20f), peitscht er die Verkäufer des Tempels aus (Mt 21, 12f), verflucht er den unfruchtbaren Feigenbaum (Mk 11, 21). Der Zorn des Lammes ist ebensowenig ein leeres Wort wie der Zorn Gottes (Apk 6, 16; Hebr 10, 31).

II. Die Zeit des Zornes

1. Die Gerechtigkeit und der Zorn. Durch sein Kommen hienieden hat der Herr zwei Epochen in der Heilsgeschichte abgesteckt. Der hl. Paulus. ist der Theologe dieses Neuen: Christus, der die Gerechtigkeit Gottes zugunsten der Glaubenden offenbart, offenbart auch den Zorn über jeden Ungläubigen. Dieser Zorn ist analog zur konkreten Strafe, von der das Alte Testament gesprochen hat, eine Vorwegnahme des endgültigen Zornes. Während Johannes der Täufer aus seiner Perspektive heraus das Kommen des Messias auf diese Erde und sein Kommen am Ende der Zeiten zusammen geschaut hat, so sehr, dass die Tätigkeit Jesu im End- gericht hätte bestehen sollen, lehrt der hl. Paulus, dass Christus eine Zwischenzeit inauguriert hat, in deren Verlauf beide Dimensionen der göttlichen Tätigkeit voll und ganz geoffenbart werden, die Gerechtigkeit und der Zorn. Der hl. Paulus hält gewisse Auffassungen des Alten Testaments aufrecht, so, wenn er in der Zivilgewalt ein Werkzeug Gottes sieht ,,zur Vollstreckung der Rache des göttlichen Zornes an den UEbeltätern" (Röm 13, 4); doch ist er vor allem bestrebt, die neue Daseinsweise des Menschen vor Gott zu offenbaren.

2. Vom Zorn zur Barmherzigkeit. Der Mensch ist von allem Anfang an ein Sünder (Röm 1, 18 - 32) und des Todes schuldig (3, 20); er ist von Rechts wegen Gegenstand des göttlichen Zornes, ,,ein Gefäss des Zornes, bereitet zum Untergang" (9, 22; Eph 2, 2), was Johannes mit den Worten wiedergibt: ,,Der Zorn Gottes bleibt auf dem, der nicht glaubt" (Jo 3, 36). Weil aber der Mensch von Geburt an Sünder ist, wurden die heiligsten göttlichen Einrichtungen durch die Berührung mit ihm ins Gegenteil verkehrt; auf diese Weise bewirkte das heilige Gesetz ,,Zorn" (Röm 4, 15). Der Ratschluss Gottes aber ist ein Ratschluss des Erbarmens, und die Gefässe des Zornes können, wenn sie sich >> bekehren zu ,,Gefässen der Erbarmung" werden (Röm 9, 23), und dies gleich welcher Herkunft sie sind, heidnischer oder jüdischer Herkunft, ,,denn Gott hat alle Menschen im Ungehorsam zusammengeschlossen, um sich aller zu erbarmen" (11, 32). Gleich wie im Alten Testament lässt Gott seinem Zorne nicht freien Lauf: auf diese Weise erweist er seine Macht (er duldet den Sünder), offenbart aber auch seine Güte (er ruft zur Bekehrung auf).

III. Die Bewahrung vor dem Zorne

1. Jesus und der Zorn Gottes. Etwas aber hat sich mit dem Kommen Jesu Christi radikal geändert. Nicht mehr das Gesetz, sondern Jesus bewahrt uns vor ,,dem kommenden Zorne" (Mt 3, 7; 1 Thess 1, 10). Gott, der ,,uns nicht für den Zorn, sondern für das Heil bestimmt hat" (1 Thess 5, 9), versichert uns, dass wir ,,als Gerechtfertigte vom Zorne errettet werden" (Röm 5, 9), ja dass unser Glaube uns zu ,,Geretteten" gemacht hat (1 Kor 1, 18). Denn Jesus hat ,,die Sünde der Welt hinweggenommen" (Jo 1, 29), er ist zur ,, Sünde gemacht worden, damit wir Gerechtigkeit Gottes würden in ihm (2 Kor 5, 21), er ist am Kreuze gestorben, er ist zum ,, Fluche geworden, um uns den >> Segen zu bringen (Gal 3, 13). In Jesus sind sich die Macht der Liebe und der Heiligkeit in einer Weise begegnet, dass die Liebe in dem Augenblick Siegerin blieb, als sich der Zorn über den ergoss, der zur ,,Sünde geworden war". Der dornenvolle Weg des Menschen, der hinter dem Zorn die Liebe zu entdecken sucht, endet und konzentriert sich in dem Augenblick, da Jesus stirbt, den Zorn der Endzeit vorwegnehmend, um jeden, der an ihn glaubt, für immer davor zu bewahren.

2. In Erwartung des Tages des Zornes. Voll und ganz vom Zorne befreit, bildet die Kirche dennoch auch weiterhin den Kampfplatz gegen den Satan Denn ,,der Teufel ist, bebend vor Zorn, zu uns herabgestiegen" (Apk 12, 12), um der Frau und ihrer Nachkommenschaft nachzustellen; er hat die >> Heidenvölker mit dem Weine des göttlichen Zornes trunken gemacht (14, 8 ff). Die Kirche aber fürchtet diese Parodie des Zornes nicht, denn das neue >> Babylon wird besiegt werden, wenn der König der Könige kommen wird, um ,,in der Kelter den >> Wein des glühenden Zornes Gottes zu treten" (19, 15) und auf diese Weise am Jüngsten Tage den Sieg Gottes zu vollenden. Barmherzigkeit Becher 2 Eifer Feuer Fürchten III Geduld Gericht Gewitter Rache Schweigen 1 Strafen Tag des Herrn >> Weinlese