ZEIT

Die Bibel als Offenbarung des transzendenten Gottes beginnt und schließt mit Zeitangaben: ,,Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde" (Gn 1, 1). ,,Ja, ich komme bald" (Apk 22, 20). Gott wird also darin nicht abstrakt, in seiner ewigen Wesenheit erfaßt, wie dies bei Plato und Aristoteles der Fall ist, sondern in seinem Eingreifen hienieden, das aus der Weltgeschichte eine heilige Geschichte macht. Deshalb kann die biblische Offenbarung jene religiösen Fragen beantworten, die das durch das Werden gekennzeichnete menschliche Denken im Hinblick auf die Zeit aufwirft, weil sie selbst historische Struktur besitzt.

EINFUEHRUNG

I. "Im Anfang"

Die Genesis beschreibt einleitend den Schöpfungsakt Gottes. Dieser Akt bedeutet einen absoluten Anfang, so daß, von ihm aus gesehen, jegliche Dauer der Ordnung der geschaffenen Dinge angehört. Diese Art zu sehen hebt sich aufs schärfste von jenem Begriff des "Anfangs" ab, der bei den heidnischen Nachbarvölkern festzustellen ist. Im babylonischen Schöpfungsmythos z. B. sieht man, wie der Gott Marduk die Rahmen der kosmischen und menschlichen Zeit festlegt: Gestirne, Sternbilder, Naturzyklen; damit beginnt die meßbare astronomische Zeit. Doch haben die Götter schon zuvor, in einer Urzeit, die das Vorbild der anderen bildet, eine Geschichte gehabt, die einzige heilige Geschichte, die das babylonische Denken kennt und die dem Bereiche des Mythos angehört. Von einem ursprünglichen Götterpaar, Apsu und Tiamat, war Geschlecht um Geschlecht hervorgegangen: Ein Kampf hatte die Götter zueinander in Gegensatz gebracht; das Auftauchen der Welt und der Menschen war das Endergebnis dieses Kampfes. Auf diese Weise sind die Götter mit dem gesamten All in ein und dasselbe Werden mit einbezogen, als seien sie selbst der Kategorie der Zeit nur in unvollkommener Weise entrückt.

In der biblischen Genesis dagegen wird die Transzendenz Gottes radikal ausgesagt: "Im Anfang schuf Gott . . . (Gn 1, 1); "An dem Tage, da Gott der Herr die Erde und den Himmel machte (2, 5). Es gibt keinerlei Urzeit, in der sich eine heilige Geschichte abgespielt hätte. Der Schöpfungsakt bedeutet den absoluten Anfang unserer Zeit; Gott aber war schon vor dieser Zeit da. Was in der Zeit geschieht, ist sein eigener Plan: Er hat die gesamte Schöpfung auf den Menschen hin geordnet und lenkt das Schicksal des Menschen einem geheimnisvollen Ziele zu (=Ratschluß).

II. Zeit und Ewigkeit

1. Die Zeit. Die Zeit als Werk Gottes dient also einer Geschichte, die uns betrifft, als Rahmen. Dies tritt bereits im biblischen Schöpfungs Bericht zutage. Die sieben Tage der Genesis haben wahrscheinlich eine pädagogische Zielsetzung, sie schärfen die Heiligung des Sabbats ein. Doch bieten sie auch eine religiöse Schau jener Dauer, in der das All sich allmählich gestaltet hat. Gott stellt seine Geschöpfe nach und nach in die Zeit hinein; allmählich füllt sich jener Rahmen, der schließlich den Menschen aufnehmen wird, dessen Erscheinen allem, was ihm vorausgegangen ist, einen Sinn verleiht. Daraus ersieht man, daß die Zeit keine leere Form ist, keine bloße Aufeinanderfolge aneinander gereihter Augenblicke. Sie ist das Maß der irdischen Dauer, so wie sie sich konkret darstellt: anfangs eine durch das Kommen des Menschen polarisierte kosmische Dauer, dann eine historische Dauer, der die Geschlechter ihren Rhythmus verleihen und in der die Menschheit ihrem Ziele zustrebt.

2. Die Ewigkeit. Gott bleibt in bezug auf diese doppelte Dauer transzendent. Der Mensch lebt in der Zeit, Gott in der Ewigkeit. Das hebräische Wort ölam, das verschieden übersetzt wird (Weltzeit, Ewigkeit, Welt . . .), bezeichnet eine Dauer, die das menschliche Maß überragt: Gott lebt "auf immer", "von Ewigkeit zu Ewigkeit" . . Um die Natur dieser Dauer verständlich zu machen, von der wir keine Erfahrung besitzen, stellt die Bibel sie dem vor übergehenden Charakter der kosmischen Zeit ("Tausend Jahre sind in deinen Augen wie der gestrige Tag, wenn er einmal vorüber, wie eine einzige Nachtwache", Ps 90, 4) und der menschlichen Zeit gegenüber (,,Meine Tage sind wie der Schatten, der sich herabsenkt ... Du aber, Jahve, bleibst auf ewig", Ps 102, 12f). Eine Betrachtung dieser Art schärft den Sinn für die göttliche Transzendenz, die in den Texten der Spätzeit klar zum Ausdruck kommt. Während die Genesis Gott ,,im Anfang", in seinem Schöpfungsakt, ins Auge gefaßt hat, betrachten ihn die Sprüche vor der Zeit, ,,in der Ewigkeit", als nur die Weisheit bei ihm gewesen (Spr 8, 22ff). Diese Ewigkeit verwirrt den Job (Jb 38, 4), und der Psalmist ruft aus: ,,Von Ewigkeit zu Ewigkeit bist du Gott" (Ps 90, 2). Der Bibel gelingt es also, das Bewußtsein der Transzendenz Gottes mit der Gewißheit seines Eingreifens in der Geschichte miteinander zu verbinden. Auf diese Weise entgeht sie einer doppelten Versuchung: entweder die Zeit zu vergöttlichen (der Gott Chronos des griechischen Pantheon) oder aber ihr jegliche Bedeutung vor Gott abzusprechen, wie dies der Islam tut.

AT

Die menschliche Erfahrung der Zeit er folgt auf zwei Ebenen: die eine wird vom Kreislauf der Gestirne bestimmt (kosmische Zeit), die andere vom Verlauf der Geschehnisse (historische Zeit). Gott lenkt beide in gleicher Weise und richtet sie beide auf ein und dasselbe Ziel aus.

I. Die kosmische Zeit

1. Zeitmaße. Der Schöpfergott selber hat jene Rhythmen festgelegt, denen die Natur gehorcht: den Wechsel von Tag und Nacht (Gn 1, 1), die Bewegungen der Gestirne die den einen wie die andere beherrschen (1, 14), die Wiederkehr der Jahreszeiten (8, 22). Daß diese Zyklen in regelmäßigem Abstand wiederkehren, ist ein Zeichen der Ordnung, die er in seine Schöpfung hinein gelegt hat (vgl. Sir 43). Alle Völker haben diese Zyklen als Grundlage zur Bemessung der Zeit verwendet. Von diesem Gesichtspunkt aus kommt dem jüdischen Kalender keine Originalität zu, außer etwa die Verwendung der Woche deren Abschluß der Sabbat bildete. Im übrigen besteht er aus Anleihen und scheint im Verlauf der Zeiten viele Wandlungen erfahren zu haben. Im Alten Testament schwankt er zwischen der Sonnen- und Mondberechnung. Die Einteilung des Jahres in 12 Monate entspricht dem Sonnenzyklus. Der Monat aber folgt in seinem Namen und in seinen Einteilungen dem Mondzyklus, da er den Neumond oder die neomenia als Ausgangspunkt nimmt (Sir 43, 61). Das israelitische Jahr hat ursprünglich im Herbst, im Tischri (Ex 23, 16; 34, 22), dann im Frühjahr, im Nisan, begonnen (Ex 12, 2). Was die Jahre angeht, so wurden sie ursprünglich nach wichtigen Ereignissen berechnet: nach Regierungen (Is 6, 1), Naturereignissen (Am 1, 1). Erst in später Zeit begann man nach einer AEra zu rechnen. So machte man sich die Seleukidenära zu eigen (1 Makk 1, 10; 14, 1; 16, 14); in rabbinischer Zeit begann man nach der jüdischen AEra zu rechnen, die von der Erschaffung der Welt ausging.

2. Heiligung der Zeit. Die mittels des Kalenders gemessene kosmische Zeit ist nichts rein Profanes. Alle Religionen der Antike haben ihr einen Heiligkeitscharakter zugeschrieben. Sie erkannten den Zyklen der Natur einen Heiligwert zu, weil sie nach ihrer Auffassung von göttlichen Mächten gelenkt wurden, die sich durch sie kundtaten. Diese mythische Sakralisierung führte zur Aufstellung eines Fest Kalenders; dieser folgte dem Rhythmus der Jahreszeiten und der Monate. Eine solche Vorstellung von den heiligen Zeiten bedeutete für Israel eine dauernde Versuchung, gegen die die Propheten ankämpfen mußten (Os 2, 13). Wenn aber das Alte Testament aus seinem religiösen Kalender jede Bezugnahme auf polytheistische Mythen entfernt hat, so hat es deshalb doch nicht den natürlichen Heiligkeitscharakter der kosmischen Zyklen abgelehnt. Es hat die Feier des Neumonds (1 Sm 20, 5; Am 8, 5; Is 1, 13) und das Frühjahrspascha der Nomaden beibehalten (Ex 12). Es hat das bäuerliche Brauchtum des kananäischen Kalenders übernommen: das Fest der Ungesäuerten Brote im Frühjahr, zu Beginn der Gerstenernte (Ex 23, 15; vgl. Dt 16, 8), die Opferung der Erstlinge (Dt 26, 1) und der ersten Garbe (Lv 23, 10f), das Erntefest, das als Wochen- oder Pfingstfest bezeichnet wurde (Ex 23, 16; 34, 22; Lv 23, 16), das Lesefest mit der festlichen Begehung des Jahreszeitenendes (Ex 23, 16; Dt 16, 13; Lv 23, 34 - 43). Doch hat die Offenbarung diesen traditionellen Feiern allmählich einen neuen Inhalt gegeben, der ihren Heiligkeitscharakter umwandelte; sie hat sie zu Gedenkfeiern der Großtaten Gottes in der Geschichte gemacht. Das Pascha Fest und das Fest der Ungesäuerten Brote sollten an den Auszug aus AEgypten (Ex 12, 17. 26f) und an die Landnahme in Kanaan erinnern (Jos 5, 10ff), das Pfingst Fest an die Bundesschließung am Sinai, das Herbstfest an den Aufenthalt in der Wüste (Lv 23, 43). Später kamen neue Feste hinzu, die weitere Erinnerungen an die heilige Geschichte festhalten sollten (z. B. das Tempelweihfest: 1 Makk 4, 36 - 59).

Doch gab es auch längere Zyklen, die über die Dauer eines Jahres hinausgriffen: die Zehnten jedes dritten Jahres (Dt 14, 28f), das Sabbat- und das Jobeljahr (Lv 25). Von einem Feste zum anderen lief der regelmäßige Wochenzyklus weiter. Endlich drang die religiöse Weihe der Zeit bis in den Tageszyklus vor, in dem die Ritualien zu bestimmten Stunden Opfer, Darbringungen und Gebete vorsahen (2 Kg 16, 15; Ez 46, 13 f; Nm 28, 3 - 8). Auf diese Weise ist das gesamte Dasein des Menschen in ein Netz von Riten eingewoben, die es heiligen. Die Stellung des Festkalenders im Leben Israels war von solcher Bedeutung, daß der Verfolgerkönig Antiochus Epiphanes sich dadurch, daß er ihn antastete, gegen Gott selber erhob (Dn 7, 25; 1 Makk 1, 39. 43. 55), weil er an die Stelle der von der Offenbarung sanktionierten Festzeiten einen heidnischen Festkalender setzen wollte.

II. Die historische Zeit

1. Kosmische Zyklen und historische Zeit. Die kosmische Zeit ist zyklischer Natur. Das orientalische und griechische Denken war vom Eingefügtsein des menschlichen Lebens in diese Zyklen des Kosmos derart beeindruckt, daß es die ewige Wiederkehr der Dinge zum Grundgesetz der Zeit erhob. Ohne sich zu dieser Schlußfolgerung metaphysischer Ordnung zu versteigen, ist der Prediger durch denselben Tatbestand tief beeindruckt worden: das menschliche Leben wird durch unausweichliche Zeiten (,,eine Zeit des Gebärens und eine Zeit des Sterbens", Prd 3, 1 - 8) und durch eine unaufhörliche Wiederkehr derselben Ereignisse beherrscht (,,Was war, wird wieder sein, was geschah, wird wieder geschehen"1, 9; 3, 15). Auf diese Weise treten die Grenzen des menschlichen Bemühens zu tage, aber auch die Schwierigkeit, in der ständigen Wiederkehr der Dinge die Auswirkung der göttlichen Lenkung zu erblicken. Doch bildet dieser Pessimismus eine Ausnahme, denn die Bibel wird von einer anderen Auffassung der Zeit beherrscht, die ihrer Erfahrung der Geschichte entspricht.

Die Geschichte gehorcht nicht dem Gesetz der ewigen Wiederkehr. Sie wird letztlich vom Ratschluß Gottes bestimmt, der sich darin entfaltet und kundtut. Sie besitzt ihre Richtpunkte in Geschehnissen, die einen einmaligen Charakter haben und sich nicht wiederholen und im Gedächtnisse haften bleiben. Auf diese Weise bereichert sich die Menschheit durch die Erfahrung der Zeitdauer und wird fähig voranzuschreiten. Auf Grund dessen unterscheidet sich die historische Zeit qualitativ von der kosmischen Zeit, die sie sich zu eigen macht, aber dabei nach dem Bilde des Menschen umgestaltet. Sie hat ihre ihr eigenen Größenmaßstäbe, die mit dem menschlichen Leben in Zusammenhang stehen. Ursprünglich hatte Israel von der Dauer eine an die Familie gebundene Vorstellung: man zählte nach Geschlechtern (deshalb bezeichnet auch das Wort töledöt praktisch die Geschichte, Gn 2, 4; 5, 1 usw.). Von der Zeit der Monarchie an zählte man nach Regierungen. Später zählte man nach AEren. Bei diesen historischen Berechnungen tritt mehr als einmal ein gewisser Sinn für Zahlen zutage. Doch entsprechen die angegebenen Zahlen mangels sicherer Anhaltspunkte nicht immer dem, was wir heute von der Geschichte erwarten. Einzelne Zahlen sind bloße Annäherungswerte oder schematisch (so die 400 Jahre in Gn 15, 13). Andere haben einen symbolischen Wert (die 365 Jahre, die Henoch gelebt hat, Gn 5, 23). Trotzdem beweisen sie uns, daß die heiligen Schriftsteller bestrebt gewesen sind, zu zeigen, wie sich die Offenbarung in die Zeit eingefügt hat.

2. Die Heiligung der historischen Zeit. In den heidnischen Religionen kommt der historischen Zeit nur in dem Maße Heiligkeitscharakter zu, als ein besonderes Geschehnis eine Wiederholung der Urgeschichte der Götter darstellte, wie dies bei den Zyklen der Natur der Fall ist. Hierbei handelt es sich um eine Heiligkeit mythischer Art. In diesem Punkt bedeutet die biblische Offenbarung etwas wurzelhaft Neues. Denn Gott ist es, der sich mit Hilfe der heiligen Geschichte kundtut; die Geschehnisse, aus denen die Geschichte gewoben wird, sind sein Handeln hienieden. Deshalb kommt der Zeit, in der sich diese Ereignisse vollziehen, an sich ein Heiligwert zu: nicht auf Grund dessen, daß sie die Urzeit wiederholt, in der Gott die Welt ein für allemal geschaffen hat, sondern in dem Sinne, daß sie Neues hervorbringt, und zwar in eben dem Maße, als die Etappen des Planes Gottes aufeinanderfolgen, wobei jeder von ihnen eine besondere Bedeutung zukommt. Was allen diesen Zeitpunkten einen Sinn verleiht, ist nicht die Verflechtung der geschichtlichen Faktoren, die dabei ineinandergreifen; deshalb wendet die Bibel diesem Aspekt der Dinge nur geringe Aufmerksamkeit zu. Es ist einzig und allein die göttliche Absicht, die sie einem geheimnisvollen Ziel entgegenführt, da die Zeit ihr Ende, aber auch ihre Erfüllung finden wird.

III. Das Ende der Zeiten

1. Der Anfang und das Ende. Die heilige Geschichte, die das gesamte Schicksal des Volkes Gottes umschließt, vollzieht sich innerhalb zweier aufeinander bezogener Grenzen: zwischen einem Anfang und einem Ende. Wenn sich das Denken der Antike eine Vorstellung von der menschlichen Vollkommenheit schuf, verlegte sie diese in der Regel an den Anfang als ein goldenes Zeitalter, dem ein mit der Zeit fortschreitender Verfall gefolgt ist. Zuweilen hat sie ein Wiederaufleben dieses goldenen Zeitalters zur Zeit der Wiederkehr des Großen Jahres ins Auge gefaßt (IV. Ekloge Vergils), was wiederum mit einer zyklischen Vorstellung von der Zeit zusammenhing.

Auch die Bibel verlegt in die Anfänge der Menschheit eine ursprüngliche Vollkommenheit (Gn 2). Für sie aber stellt der Verlust dieses Urzustandes in keiner Weise das Ergebnis eines Naturprozesses kosmischer Evolution dar: es ist die Sünde des Menschen, die das ganze Drama ausgelöst hat. Seit damals gestalten zwei einander entgegengesetzte Strömungen die Geschichte. Auf der einen Seite ist eine fortschreitende Entfaltung des Bösen festzustellen, ein geistiger Verfall, der das Gericht Gottes unfehlbar herausfordert. Dem war so in der Urgeschichte, von den Anfängen bis zur Sintflut als dem Typus des Gerichtes; dem ist so im Verlaufe der Weltzeiten, so sehr, daß die Apokalypsen diese auf Katastrophen ausmündende Deutung der Zeit auf die Gegenwart und Zukunft ausdehnen konnten (Dn 2; 7). Auf der anderen Seite ist aber auch ein Fortschreiten im Sinne des Guten festzustellen, das das Heil der Menschen unfehlbar vorbereitet. Dem war so bereits in der Urgeschichte, als Gott den Noe erwählte, um ihn zu retten und einen Bund mit ihm zu schließen. Dem wird zuallerletzt so sein, wenn die ursprüngliche Vollkommenheit am Ende der heiligen Geschichte hienieden wiederkehren wird; gewiß nicht im Sinne einer automatischen Rückkehr zum anfänglichen Zustand, sondern auf Grund eines souveränen Aktes Gottes, der dadurch zugleich das Gericht über die sündige Welt, aber auch das Heil der Gerechten vollenden wird. Um Israel vor dem Einfluß des Heidentums und seiner Vorstellung von der menschlichen Dauer zu bewahren, haben die Propheten mit solchem Nachdruck auf dieses Ende der Zeiten und die erforderliche sittliche Vorbereitung darauf hin gewiesen.

2. Worin das Ende bestehen wird. Der Tag Jahves als erster eschatologischer Begriff, der klar zum Ausdruck kommt (Am 5, 18; Is 2, 12), erscheint zunächst als eine beständig heranstehende Bedrohung, die über der sündigen Welt schwebt. Doch bleibt sein in den geheimen Ratschlüssen Gottes bereits festgelegter Zeitpunkt unbekannt. Die Propheten sprechen, wenn sie ihn näher kennzeichnen wollen, einfach vom ,,Ende der Tage" (Is 2, 2), oder sie stellen der ,,ersten Zeit", der Vergangenheit, eine ,,letzte Zeit" gegenüber, die zu ihr einen Gegensatz bildet (Is 8, 23). Die gegenwärtige Periode, die Zeit der sündigen Welt, wird durch ein endgültiges Gericht abgeschlossen werden. Dann wird ein neues Zeitalter beginnen, von dem uns die Texte bezaubernde Schilderungen bieten: eine Zeit der Gerechtigkeit und des Glücks, das die Vollkommenheit des Paradieses hienieden wiederbringen wird (Os 2, 20ff; Is 11, 1 - 9). Die Zukunft wird also mit der gegenwärtigen Zeit kein gemeinsames Maß besitzen; doch ließen die Propheten anfänglich keine radikale UEbergangslosigkeit zwischen diesen beiden erkennen; die neue Zeit, die von unbegrenzter Dauer sein wird (Is 9, 6), sollte die Geschichte krönen, ohne jenen Boden zu verlassen, auf dem sie sich gegenwärtig abspielt. Nach dem Exil wird der Gegensatz zwischen der ,,gegenwärtigen Weltzeit ( oder Welt )" und der ,,künftigen Welt" mit zunehmender Schärfe herausgearbeitet: die künftige Welt wird mit der Erschaffung eines ,,neuen Himmels" und einer ,,neuen Erde" beginnen (Is 65, 17), mit anderen Worten, sie wird auf einer wurzelhaft anderen ( Neu ) Ebene liegen, der Ebene der göttlichen Geheimnisse deren Offenbarung das eigentliche Objekt der Apokalypsen bildet.

3. Wann das Ende kommen wird. Die Apokalypsen schauen diesem Ende in der Tat voll leidenschaftlicher Sehnsucht entgegen (Dn 9, 2), jener ,,Endzeit" (11, 40), die die jüdische Hoffnung voll Ungeduld erwartet hat. Sie sehen sie stets in einer nahen Zukunft, die ohne UEbergang auf die dafür reife Gegenwart folgen wird. Doch bleiben die von Gott festgesetzten "Zeiten und Momente" sein Geheimnis (vgl. Apg 1, 7). Die Zahlen Spekulationen, die man hierüber anstellt, gehören der Ordnung der Symbole an, angefangen von den 70 Jahren des Jeremias (Jr 29, 10) bis zu den 70 Jahreswochen Daniels (Dn 9), Perioden, deren Bedeutung zu der des Sabbat und des Jobeljahres in Wechselbeziehung steht (vgl. Is 61, 2; Lv 25, 10). Dadurch unterscheidet sich die biblische Ankündigung der Endzeit völlig von jenen eschatologischen Spekulationen, die Perioden der Wirren noch immer ausgelöst haben. Was uns das Alte Testament liefert, ist keine mathematisch genaue Bestimmung des Zeitpunktes, an dem Jesus Christus geboren werden oder an dem das Ende der Welt kommen wird. Es ist eine Tiefenschau der Zeit überhaupt - Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft -, die deren geheime Zielrichtung enthüllt und dadurch deren Sinn offenbart. Der Mensch sollte daraus keine Befriedigung für seine aus Unruhe geborene Neugierde schöpfen, es sollten ihm dadurch vielmehr jene geistigen Forderungen deutlich werden, die die Zeit, in der er lebt, an ihn stellt.

NT

I. Jesus und die Zeit

1. Jesus lebt in der historischen Zeit. Mit Jesus ist jenes Ende angebrochen, auf das die Zeiten der Vorbereitung hingeordnet waren. Dieser letzte Akt Gottes fügt sich mit Bestimmtheit in die historische Dauer ein: Jesus wurde "in den Tagen des Königs Herodes geboren" (Mt 2, 1); die Predigt des Johannes beginnt ,,im 15. Jahre der Regierung des Kaisers Tiberius" (Lk 3, 1) Jesus ,,legte sein herrliches Zeugnis unter Pontius Pilatus ab" (1 Tim 6, 13). Da dieses letztgenannte Ereignis das der heiligen Geschichte schlechthin darstellt, das sich "ein für allemal" vollzogen hat (Röm 6, 10; Hebr 9, 12), halten alle christlichen Glaubensbekenntnisse den Augenblick fest, in dem es in der menschlichen Zeit stattgefunden hat. Indes hat Jesus während seines irdischen Lebens jene normalen Fristen auf sich genommen, die jedes menschliche Reifen erfordert (Lk 2, 40. 52). Er hat also voll und ganz an unserer Zeiterfahrung teilgenommen. Nur läßt ihn sein prophetisches Bewußtsein über dem Verlauf der Geschehnisse stehen, so daß er sein Leben verbracht hat, jenen Tod vor Augen, in den es ausmünden ,,mußte", um hierauf wieder aufzuerstehen (Mk 8, 31; 9, 31; 10, 33f par.). Das ist seine Stunde (Jo 17, 1), die ihn der Gehorsam gegen den Vater nicht vorwegnehmen läßt (Jo 2, 4).

2. Die Zeit Jesu, die Fülle der Zeit. Es ist wesentlich, die Bedeutung dieser Zeit Jesu zu erfassen. UEbrigens hat er sie schon zu Beginn seiner Verkündigung klar aus gesprochen: "Die Zeiten sind erfüllt, und das Reich Gottes ist nahe" (Mk 1, 15; vgl. Lk 4, 21). Deshalb fordert er während seiner ganzen öffentlichen Tätigkeit seine Zuhörer auf, die Zeichen der Zeit zu verstehen, in der sie leben (Mt 16, 1ff). Schließlich weint er über Jerusalem, das die Zeit seiner Heimsuchung durch Gott nicht zu erkennen gewußt hat (Lk 19, 44). Jesus krönt also die jüdische Erwartung. Mit ihm ist ,,die Fülle der Zeiten" gekommen (Gal 4, 4; Eph 1, 10). Er hat in die Geschichte Israels jenes Element des Endgültigen hineingebracht, das die Verkündigung des Evangeliums ins volle Licht rücken sollte: ,,Jetzt ist ohne das Gesetz die Gerechtigkeit Gottes offenbar geworden, bezeugt vom Gesetz und den Propheten" (Röm 3, 21). Im Ablauf des Ratschlusses Gottes ist ein Ereignis eingetreten, im Hinblick auf das alles durch ein "Vordem" und "Nachdem" bestimmt ist: ,,Früher wart ihr ohne Christus und standet außerhalb der Bündnisse der Verheißung" (Eph 2, 12); ,,jetzt hat er euch in seinem Fleischesleibe versöhnt" (Kol 1, 22). Die Zeit Jesu steht also nicht bloß mitten in der irdischen Dauer: indem sie die Zeit zu ihrer Erfüllung führt, beherrscht sie diese in ihrer Gesamtheit.

II. Die Zeit der Kirche

1. Verlängerung der Eschatologie. In der Sicht des Alten Testaments wurde das Ende in seiner Gesamtheit ins Auge gefaßt: der Ratschluß Gottes erreicht seinen Zielpunkt dadurch, daß Gott hienieden das Gericht, gleichzeitig aber auch das Heil vollzieht. Das Neue Testament trägt in das Innere dieses Endes eine Differenzierung hinein. Mit Jesus ist das entscheidende Ereignis der Zeit gekommen, doch hat es noch nicht alle seine Früchte gezeitigt. Die Endzeit hat erst begonnen; von der Auferstehung aus gesehen aber, zögert sich diese in einer Weise hinaus, die die Propheten und Apokalypsen nicht ausdrücklich vorausgesehen haben. Jesus hatte in seinen Parabeln bereits erahnen lassen, daß das Reich einer kommenden Fülle entgegengeht, was eine gewisse zeitliche Frist voraussetzte (Mt 13, 30 par.; Mk 4, 26 - 29). Die Sendung, die er den Aposteln nach seiner Auferstehung überträgt, setzt dieselbe Verlängerung der Eschatologie voraus (Mt 28, 19f; Apg 1, 6ff). Endlich unterscheidet die Szene der Himmelfahrt eindeutig zwischen dem Augenblick, da Jesus "zur Rechten Gottes" Platz nimmt, und jenem anderen, da er in Herrlichkeit wiederkehren wird, um die Verwirklichung der prophetischen >> Verheißungen zu vollenden (Apg 1, 11). Zwischen diesen beiden liegt eine Zwischenzeit, die sich qualitativ sowohl von der "Zeit der Unwissenheit", in die die Heiden versunken waren (Apg 17, 30), als auch von jener Zeit der Erziehung unterscheidet, in der sich das Volk Israel bis dahin befunden hat (Gal 3, 23ff; 4, 1ff). Es ist die Zeit der Kirche.

2. Bedeutung der Zeit der Kirche. Diese Zeit der Kirche ist eine bevorrechtete Periode. Es ist die Zeit des Geistes (Jo 16, 5 - 15; Röm 8, 15ff), die Zeit, da das Evangelium allen Menschen verkündet wird, Juden wie Heiden, auf daß alle des Heiles teilhaft werden könnten. Eine wahrhaft paradoxe Situation. Auf der einen Seite gehört diese Zeit jener endgültigen Ordnung der Dinge an, die die Heilige Schrift angekündigt hat; für uns, die wir durch die Taufe in sie eingetreten sind, ist das "Ende der Zeiten" gekommen (1 Kor 10, 11). Auf der anderen Seite aber koexistiert sie mit der ,,gegenwärtigen Weltzeit" (Tit 2, 12), die vorübergehen muß, wie die Gestalt dieser Welt vorübergehen wird (1 Kor 7, 29ff). Die Bekehrung zum Evangelium Jesu Christi bedeutet für jeden Menschen den UEbergang von einer AEra zu einer anderen: sie ist ein UEbergang von der ,,gegenwärtigen Welt" in die ,,künftige Welt", von der alten Zeit, die ihrem Ende entgegeneilt, zur neuen Zeit, die ihrer vollen Entfaltung entgegengeht. Die Bedeutung der Zeit der Kirche besteht darin, daß sie diesen UEbergang ermöglicht. Es ist "die Zeit der Huld, der Tag des Heiles", das nunmehr allen Menschen zugänglich geworden ist (2 Kor 6, 1f). Es ist das "Heute" Gottes, an dem jeder Mensch zur Bekehrung aufgerufen ist und an dem es gilt, der Stimme Gottes ein williges Ohr zu leihen (Hebr 3, 7 - 4, 11).

Und so, wie der Heilsratschluß Gottes im Alten Testament nach den geheimnisvollen Willensentscheiden Gottes ablief, genauso gehorcht auch die Zeit der Kirche einem bestimmten Plan, dessen OEkonomie einzelne Texte erahnen lassen. Da gibt es zunächst eine "Zeit der Heiden", die zwei Aspekte aufweisen wird: Auf der einen Seite wird "Jerusalem" - Symbol des gesamten Altisrael - "von den Heiden zertreten werden" (Lk 21, 24); auf der anderen Seite werden sich dieselben Heiden nach und nach zum Evangelium bekehren (Röm 11, 25). Dann wird die Zeit Israels kommen: ,,Ganz Israel wird dann gerettet werden" (Röm 11, 26), und damit wird das Ende dasein. Das ist in seiner vollständigen Entfaltung das Geheimnis jener Zeit, die die gesamte Menschheitsgeschichte ausfüllt. Jesus, der Herr dieser Zeit, ist allein imstande, das Buch mit den sieben Siegeln zu öffnen, in das die Geschicke der Welt eingetragen sind (Apk 5).

3. Die Heiligung der Zeit der Kirche. Die Zeit der Kirche ist schon an sich heilig, auf Grund dessen, daß sie der ,,künftigen Welt" angehört. Soll aber diese Heiligung der Zeit durch die Menschen wirksam werden, muß sie in sichtbaren Zeichen zum Ausdruck kommen: in den "heiligen Zeiten" und in den religiösen Festen deren jährliche Wiederkehr sich mit dem Rhythmus der kosmischen Zeit vermählt. Schon das Alte Testament hatte für diese Zeichen in der Erinnerung an die Großtaten der heiligen Geschichte eine neue Quelle der Heiligung gesucht. Seit dem Kommen Jesu auf diese Erde haben diese Tatsachen nur mehr vorbildhafte Bedeutung, da sich das Heilsereignis bereits in die historische Zeit eingefügt hat. Dieses einmalige Heilsereignis ist es daher, das die Kirche heute in den Zyklen ihres liturgischen Kalenders für die Gegenwart fruchtbar macht um die menschliche Zeit zu heiligen. Jeder Sonntag als Tag des Herrn (Apk 1, 10; Apg 20, 7; 1 Kor 16, 2) wird im Rahmen der Woche zu einer Feier der Auferstehung Jesu. Diese Feier nimmt einen feierlicheren Charakter an, wenn Jahr für Jahr der Zeitpunkt des Osterfestes des Festes schlechthin, wiederkehrt (1 Kor 5, 8), des Gedächtnistages des Todes und der Auferstehung des Herrn (vgl. 5, 7). Auf diese Weise begegnen uns bereits im Neuen Testament die ersten Grundzüge jener christlichen Liturgiezyklen, die sich in der Kirche entfalten sollten. Dadurch wird das gesamte menschliche Leben mit jenem Heilsereignis in Zusammenhang gebracht, das in der Geschichte erfolgt ist, als jener wahrhaft urbildhaften Zeit, die an die Stelle der "Urzeit" der heidnischen Mythologien getreten ist.

III. Die Vollendung der Weltzeiten

1. Die christliche Eschatologie. Indes genügt die Zeit der Kirche für sich allein noch nicht. Vom Alten Testament aus gesehen, gehört sie bereits der "Endzeit" an, ist aber trotzdem auf eine kommende Fülle ausgerichtet und strebt einem Ende zu, dem Tag des Herrn. Jetzt, da der Geist auf die Menschen ausgegossen ist, sehnt sich die gesamte Schöpfung nach der endgültigen Offenbarung der Kinder Gottes, nach der Erlösung ihrer Leiber (Röm 8, 18 - 24). Erst dann wird das Werk Christi seine Vollendung finden, der das Alpha und das Omega ist, "derjenige, der ist und der war und der kommt" (Apk 1, 8). An jenem Tage werden die "gegenwärtige Weltzeit" und die Zeit der Kirche miteinander ein Ende nehmen. Die erste wird einer endgültigen Katastrophe anheimfallen, wenn der siebte Engel seine Schale ausgießen und eine Stimme rufen wird: "Es ist geschehen!" (16, 17.) Die zweite wird eine völlige Umwandlung erleben, wenn der neue Himmel und die neue Erde erscheinen werden (21, 1). Dann wird es weder Sonne noch Mond mehr geben, die die Zeit festlegen, wie sie dies in der Welt von einst getan (21, 23), denn die Menschen werden in die Ewigkeit Gottes eingegangen sein.

2. Wann das Ende kommen wird. Jesus hat den Zeitpunkt nicht bekanntgegeben, an dem diese Vollendung der Weltzeiten, dieses Weltenende, stattfinden wird: dieser ist ein Geheimnis des Vaters allein (Mk 13, 32 par.), und es steht den Menschen nicht zu, jene Zeiten und Augenblicke zu kennen, die der Vater in seiner Machtfülle festgesetzt hat (Apg 1, 7). Die Urkirche hat aus ihrer glühenden Erwartung der Wiederkunft des Herrn heraus ständig unter dem Eindruck gelebt, sie müsse nahe bevorstehen: "Die Zeit ist kurz" (1 Kot 7, 9), "denn jetzt ist unser Heil näher, als da wir gläubig wurden; die Nacht ist vorgeschritten, der Tag hat sich genaht" (Röm 13, 11f). Der Eindruck war so stark, daß der hl. Paulus zur selben Zeit, da er sich dieser Sprache bediente, die Thessalonicher vor jeder genauen Berechnung des schicksalhaften Zeitpunktes warnen mußte (2 Thess 2, 1ff). Erst allmählich wurde man sich unter dem Druck der Erfahrung bewußt, daß sich die "Endzeit" hinauszögerte. Doch ist das Heranstehen der Wiederkunft des Herrn in der Psychologie der Hoffnung eine wesentliche Komponente geblieben: der Menschensohn kommt "wie ein Dieb in der Nacht" (Mt 24, 43; 1 Thess 5, 2; Apk 3, 3). Die Zeit der Kirche, die unter unseren Augen abläuft, ist auch ihrerseits wieder durch jene Merkmale gekennzeichnet, die dem Ende voraufgehen (2 Thess 2, 3 - 12; Apk 6 - 19). Auf diese Weise vervollständigt das Neue Testament jene prophetische Schau der menschlichen Geschichte, die das Alte Testament vorgezeichnet hat. Fülle