WEISHEIT

Das Bemühen um die Weisheit ist sämtlichen Kulturen des Alten Orients eigen gewesen. AEgypten und Mesopotamien haben uns Sammlungen von Weisheitsliteratur hinterlassen, und die sieben Weisen des alten Griechenland sind Helden von Sagen geworden. Diese Weisheit war praktisch ausgerichtet, es ging darum, dem Menschen ein kluges und gewandtes Verhalten zu vermitteln, das ihn im Leben zu Erfolg gelangen ließ. Dies schloss eine gewisse Reflexion über die Welt in sich; doch führte dies auch zur Ausarbeitung einer Moral, die (vor allem in AEgypten) der religiösen Bezogenheit nicht ermangelte. Im Griechenland des 6. Jahrhunderts wandte sich das geistige Bemühen mehr und mehr der Spekulation zu und verwandelte sich die Weisheit in Philosophie. Neben einer noch in den Anfangsgründen steckenden Wissenschaft und einer Technik, die sich erst zu entfalten begann, stellt also die Weisheit ein bedeutsames Kulturelement dar: es ist der Humanismus der Antike. In der biblischen Offenbarung nimmt das Wort Gottes auch die Form der Weisheit an. Ein bedeutsamer Tatbestand, der jedoch der richtigen Deutung bedarf. Er besagt nicht, dass sich die Offenbarung in einem bestimmten Stadium ihrer Entwicklung in Humanismus verwandelt hätte. Die inspirierte Weisheit ist selbst dann, wenn sie sich das Beste der menschlichen Weisheit zu eigen macht, einer anderen Natur als diese. Diese Tatsache, die schon im Alten Testament festzustellen ist, wird erst im Neuen Testament ganz sichtbar.

AT

I. Menschliche Weisheit und gottgemässe Weisheit

1. Verpflanzung der Weisheit nach Israel. Wenn wir von den Ausnahmefällen Josephs (Gn 41, 39f) und des Moses absehen (Ex 2, 10; vgl. Apg 7, 21f), ist Israel mit der Weisheit des Orients erst nach seiner Inbesitznahme Kanaans in Berührung gekommen, und man muß bis zur Königszeit warten, bis es sich dem Humanismus der Zeit voll und ganz erschloss. Ihr Begründer ist Salomo gewesen: ,,Die Weisheit Salomos war grösser als die Weisheit aller Söhne des Ostens und alle Weisheit AEgyptens" (1 Kg 5, 9 - 14; vgl. 10, 6f. 23f). Dieses Wort hatte seine persönliche Bildung ebensosehr im Auge wie seine Herrscherkunst. Nun aber bedeutete diese königliche Weisheit für die gläubigen Menschen keinerlei Problem; sie war eine Gabe Gottes, die Salomo auf sein Gebet hin erlangt hatte (1 Kg 3, 6 - 14). Eine optimistische Beurteilung, deren Echo sich auch anderwärts vernehmen lässt: Während sich die Hofschreiber um die Pflege der literarischen Arten der Weisheit bemühten (vgl. die alten Elemente in Spr 10 - 22 und 25 - 29), priesen die Verfasser der heiligen Geschichte die kluge Verwaltung Josephs, dessen Weisheit von Gott stammte (Gn 41; 47).

2. Die in Frage stehende Weisheit. Doch ist ein Unterschied zwischen Weisheit und Weisheit. Die wahre Weisheit kommt von Gott; er gibt dem Menschen ,,ein verständiges Herz das imstande ist, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden" (1 Kg 3, 9). Alle Menschen aber sind versucht, gleich ihrem Stammvater sich dieses göttliche Privileg anzumassen und sich ,,die Erkenntnis des Guten und Bösen" aus eigener Kraft zu erwerben (Gn 3, 5f). Eine trügerische Weisheit, zu der sie die List der Schlange verführt (Gn 3, 1). Es ist die Weisheit jener Schreiber, die alles nach menschlichen Gesichtspunkten beurteilen und ,,das Gesetz Jahves in Lüge verwandeln" (Jr 8, 8), die Weisheit jener königlichen Ratgeber, die eine rein menschliche Politik trieben (vgl. Is 29, 15 ff). Die Propheten haben sich gegen diese Weisheit erhoben: ,,Wehe denen, die in ihren eigenen Augen weise und vor sich selber klug sind" (Is 5, 21). Gott wird bewirken, dass ihre Weisheit zuschanden wird (Is 29, 14). Sie werden in die Falle gehen, weil sie das Wort Jahves missachtet haben (Jr 8, 9). Denn dieses Wort ist die einzige Quelle der echten Weisheit. Diese Weisheit werden die irregeleiteten Seelen nach verbüsster Strafe erlernen (Is 29, 24). Jener König aus dem Hause Davids, der ,,in der Endzeit" herrschen wird, wird sie in Fülle besitzen, doch wird sie ihm vom Geist Jahves verliehen (Is 11, 2). So wies die prophetische Unterweisung die Versuchung eines Humanismus zurück, der sich anmasste, sich selbst zu genügen: das Heil des Menschen kommt von Gott allein.

3. Der wahren Weisheit entgegen. Der Untergang Jerusalems bestätigte die Drohungen der Propheten: also hatte die falsche Weisheit der königlichen Ratgeber das Land in die Katastrophe gestürzt! Nun, da kein Zweifel mehr möglich war, konnte sich die wahre Weisheit in Israel frei entfalten. Ihre Grundlage bildete das göttliche Gesetz das Israel zum einzigen weisen und verständigen Volk machte (Dt 4, 6). Die Furcht Jahves bildet ihren Ausgangspunkt und ihre Krönung (Spr 9, 10; Sir 1, 14 - 18; 19, 20). Ohne jemals die Perspektiven dieser religiösen Weisheit aus dem Auge zu verlieren, werden ihr die inspirierten Schriftsteller fortan alles einbauen, was ihnen die menschliche Reflexion an Gutem zu bieten vermochte. Die nach dem Exil verfasste oder verarbeitete Weisheitsliteratur war die Frucht dieses Bemühens. In ihr entfaltete sich der nunmehr von seiner hochmütigen Anmassung geheilte Humanismus im Lichte des Glaubens II. Aspekte der Weisheit

1. Eine Lebenskunst. Der Weise der Bibel interessiert sich für die Dinge der Natur (1 Kg 5, 13). Er bewundert sie, und sein Glaube lehrt ihn, darin die mächtige Hand Gottes zu erblicken (Jb 36, 22 - 37, 18; 38 bis 41; Sir 42, 15 - 43, 33). Vor allem aber liegt ihm daran, zu erfahren, wie er leben muß, um das wahre Glück zu finden. Jeder Mensch, der in seinem Berufe Erfahrung besitzt, verdient bereits den Namen eines Weisen (Is 40, 20; Jr 9, 16; 1 Chr 22, 15); der Weise schlechthin aber ist derjenige, der in der Lebenskunst Erfahrung besitzt. Er schaut die Welt, die ihn umgibt, mit klarem und vorurteilslosem Blick an; er kennt deren Mängel, ohne sie aber deshalb zu billigen (z. B. Spr 13,7; Sir 13, 21 ff). Als guter Menschenkenner weiß er, was im menschlichen Herzen verborgen ist, was ihm Freude oder Schmerz verursacht (z. B. Spr 13, 12; 14, 13; Prd 7, 2 - 6). Doch verschanzt er sich nicht hinter diese Rolle eines Beobachters. Als geborener Erzieher stellt er für seine Schüler Regeln auf: Klugheit, Masshalten im Begehren, Arbeitsamkeit, Bescheidenheit, innere Ausgewogenheit, Zurückhaltung, Behutsamkeit im Reden usw. . . . Die gesamte Moral des Dekalogs fliesst in seine praktischen Weisungen ein. Das soziale Empfinden des Deuteronomiums und der Propheten gibt ihm Mahnungen zum Almosengeben ein (Sir 7, 32 ff; Tob 4, 7 - 11), Hochschätzung der Gerechtigkeit (Spr 11, 1; 17, 15), Liebe zu den Armen (Spr 14, 31; 17, 5; Sir 4, 1 - 10). Um seine Ansichten zu untermauern, beruft er sich, wo immer er kann, auf die Erfahrung, seine letzte Inspiration aber kommt aus einem anderen Bereich, der höher liegt als die Erfahrung. Nachdem er sich die Weisheit um den Preis harter Mühe erworben hat, wünscht er nichts so sehr, als sie den anderen mitzuteilen (Sir 51, 13 - 20), und fordert seine Schüler auf, mutig in deren schwierige Schule zu gehen (Sir 6, 18 - 37).

2. Reflexion über das menschliche Dasein. Man darf vom Lehrmeister der israelitischen Weisheit keine Reflexion metaphysischer Art über den Menschen, seine Natur, seine Fähigkeiten usw. erwarten. Dagegen besitzt er einen ausgeprägten Sinn für die Eigenart seiner Existenz und sucht sein Schicksal zu erhellen. Die Propheten beschäftigten sich vor allem mit dem Schicksal des Volkes Gottes in seiner Gesamtheit. Die Texte Ezechiels über die individuelle Verantwortlichkeit bilden eine Ausnahme (Ez 14, 12 - 20; 18; 33, 10 - 20). Ohne aufzuhören, dem allgemeinen Schicksal des Bundesvolkes ihre Aufmerksamkeit zuzuwenden (Sir 44 - 50; 36, 1 - 17; Weish 10 - 12; 15 - 19), interessieren sich die Weisen vor allem für das Leben des Einzelmenschen. Sie haben ein Gespür für die Grösse des Menschen (Sir 16, 24 - 17, 14), wie für seine Armseligkeit (Sir 40, 1 - 11), für seine Einsamkeit (Jb 6, 11 - 30; 19, 13 - 22), für seine Angst vor dem Schmerz (Jb 7, 16) und vor dem Tode (Prd 3; Sir 41, 1 - 4), für den Eindruck der Nichtigkeit, den das Leben in ihm zurücklässt (Jb 14, 1 - 12; 17; Prd 1, 4 - 8; Sir 18, 8 - 14), für seine Unruhe Gott gegenüber, der ihm unbegreiflich (Jb 10) oder in weiter Ferne zu sein scheint (23; 30, 20 - 23). Aus dieser Perspektive heraus musste auch die Frage der Vergeltung aufgerollt werden, denn die überlieferten Vorstellungen liefen auf ein Versagen der Gerechtigkeit hinaus (Jb 9, 22 - 24; 21, 7 - 26; Prd 7, 15; 8, 14; 9, 2f). Doch bedurfte es eines langen Bemühens, bis das Problem jenseits der so oft enttäuschenden irdischen Vergeltung im Glauben an die Auferstehung (Dn 12, 2f) und an das ewige Leben seine Lösung fand (Weish 5, 15).

3. Weisheit und Offenbarung. Die Unterweisung der Weisen, die der Erfahrung und der menschlichen Reflexion einen so breiten Platz einräumt, gehört offensichtlich einem anderen Typ zu als das prophetische Wort das einer göttlichen Inspiration entstammt, deren sich der Prophet selber bewusst ist. Dies hindert aber nicht daran, dass auch sie die Lehre weiterentwickelt, indem sie die Probleme im Licht der heiligen Schriften überdenkt (vgl. Sir 39, 1 ff). In der Spätzeit aber verbinden sich Prophetie und Weisheit in der apokalyptischen Gattung, um die Geheimnisse der Zukunft zu offenbaren. Wenn Daniel ,,die göttlichen Geheimnisse offenbart" (Dn 2, 28 ff. 47), so nicht auf Grund menschlicher Weisheit (2, 30), sondern weil ihm der göttliche Geist, der in ihm wohnt, eine höhere Weisheit verleiht (5, 11. 14). Die religiöse Weisheit des Alten Testaments kleidet sich hierbei in eine charakteristische Form, für die schon die alte israelitische UEberlieferung ein bedeutsames Beispiel bot (vgl. Gn 41, 38f). Der Weise erweist sich als ebenso von Gott inspiriert wie der Prophet.

III. Die Weisheit Gottes

1. Die personifizierte Weisheit. Bei den nachexilischen Schriftstellern genoss die Weisheit solche Wertschätzung, dass sie sie gerne personifizierten, um sie stärker hervorzuheben (schon Spr 14, 1). Sie ist die Geliebte, nach der man sehnsüchtig verlangt (Sir 14, 22 ff), eine Mutter, die schützt (14, 26f), eine Gattin, die für den Unterhalt sorgt (15, 2f), eine grosszügige Gastgeberin, die zum Festmahle einlädt (Spr 9, 1 - 6), im Gegensatz zur Torheit deren Haus der Vorhof des Todes ist (9, 13 - 18).

2. Die göttliche Weisheit. Nun darf aber diese Darstellung in Femininform nicht als blosser sprachlicher Ausdruck verstanden werden. Die Weisheit des Menschen hat eine göttliche Quelle. Gott kann sie mitteilen, wem er will, weil er der Weise schlechthin ist. Die heiligen Schriftsteller schauen also in Gott jene Weisheit, aus der die ihrige erfliesst. Sie ist eine göttliche Wirklichkeit, die seit je und auf immer da ist (Spr 8, 22 - 26; Sir 24, 9). Aus dem Munde des Allerhöchsten als dessen Odem oder Wort hervorgegangen (Sir 24, 3), ist sie ,,ein Hauch der Gottes- Macht ein Ausfluss der Herrlichkeit des Allmächtigen, ein Abglanz des ewigen Lichtes ein Spiegel des göttlichen Wirkens, ein Ab Bild seiner Grösse" (Weish 7, 25f). Sie wohnt im Himmel (Sir 24, 4), teilt den Thron Gottes (Weish 9, 4) und lebt in Gemeinschaft mit ihm (8, 3).

3. Die Tätigkeit der Weisheit. Diese Weisheit ist kein untätiges Prinzip. Sie nimmt an allem teil, was Gott in der Welt wirkt. Sie war bei der Schöpfung zugegen, tummelte sich vor ihm (Spr 8, 27 - 31; vgl. 3, 19f; Sir 24, 5) und lenkt das All ohne Unterlass (Weish 8, 1). Im gesamten Verlauf der Heilsgeschichte hat Gott ihr hienieden eine Sendung übertragen. Sie hat sich in Israel, in Jerusalem niedergelassen gleich einem Lebens- Baume (Sir 24, 7 - 19) und sich in der konkreten Form des Gesetzes kundgetan (Sir 24, 23 - 34). Seitdem pflegt sie vertrauten Umgang mit den Menschenkindern (Spr 8, 31; Bar 3, 37f). Sie ist die Vorsehung, die die Geschichte lenkt (Weish 10, 1 - 11, 4); sie ist es, die den Menschen das Heil verbürgt (9, 18). Ihr kommt eine Aufgabe zu, die in Analogie zu der der Propheten steht, sie warnt die allzu Unbekümmerten, denen sie das Gericht ankündigt (Spr 1, 20 - 33), während sie die Gelehrigen auffordert, sich all ihre Güter zu eigen zu machen (Spr 8, 1 - 21. 32 - 36) und sich an ihre Tafel zu setzen (Spr 9, 4 ff; Sir 24, 19 - 22). Gott handelt durch sie, wie er durch seinen Geist handelt (vgl. Weish 9, 17); sie aufnehmen und sich dem Geiste erschliessen ist also ein und dasselbe. Wenn diese Texte auch aus der Weisheit noch keine göttliche Person im Sinne des Neuen Testaments machen, so durchforschen sie doch das Geheimnis Gottes in seiner ganzen Tiefe und bereiten auf eine vollere Offenbarung dieses Geheimnisses vor.

4. Die Gaben der Weisheit. Es ist nicht zu verwundern, dass diese Weisheit für die Menschen einen Schatz darstellt, der alles andere übertrifft (Weish 7, 7 - 14). Sie, die selber eine Gabe Gottes ist (8, 21), ist die Ausspenderin sämtlicher Güter (Spr 8, 21; Weish 7, 11): Sie verleiht Leben und Glück (Spr 3, 13 - 18; 8, 32 - 36; Sir 14, 25 - 27), Zuversicht (Spr 3, 21 - 26), Gnade und Krone (4, 8 f), Reichtum und Gerechtigkeit (8, 18 ff) und jegliche Tugend (Weish 8, 7f)... Wie sollte sich da der Mensch nicht darum bemühen, sie für sich zu gewinnen? (8, 2.) Denn sie ist es, die zum Freunde Gottes macht (7, 27f). Der Umgang mit ihr unterscheidet sich nicht vom Umgang mit Gott selbst. Wenn das Neue Testament die Weisheit mit Christus, dem Sohne und Worte Gottes, identifiziert, so findet es in dieser Lehre eine vorzügliche Vorbereitung auf eine vollere Offenbarung; der mit Christus verbundene Mensch nimmt an der göttlichen Weisheit teil und weiß sich in die Lebensgemeinschaft mit Gott einbezogen.

NT

I. Jesus und die Weisheit

1. Jesus als Lehrer der Weisheit. Jesus hat sich seinen Zeitgenossen unter verschiedenartigem AEusseren dargeboten: als Prophet der Busse, und doch mehr als ein Prophet (Mt 12, 41); als Messias aber als solcher, der erst das Leiden des Gottes Knechtes auf sich nehmen mußte, um der Herrlichkeit des Menschensohnes teilhaft zu werden (Mk 8, 29ff); als Lehrer, aber nicht von der Art der Schriftgelehrten (Mk 5, 21f). Die Lehr Weise, an die die seinige am stärksten erinnert, ist die der Weisheitslehrer des Alten Testaments; er verwendete gern ihre Stilformen (Sprüche, Gleichnisse und stellt gleich ihnen Lebensregeln auf (vgl. Mt 5 - 7). Seine Ohrenzeugen haben sich nicht getäuscht, wenn sie über diese überragende Weisheit staunten, die durch Wundertaten beglaubigt wurde (Mk 6, 2). Lukas vermerkt dies schon zur Zeit der Kindheit Jesu (Lk 2, 40. 52). Jesus selbst gibt zu verstehen, daß sie eine Frage aufwirft: Die Königin des Südens hat sich auf die Reise gemacht, um die Weisheit Salomos zu hören, hier aber ist mehr als Salomo (Mt 12, 42 par.).

2. Jesus, die Weisheit Gottes. Und in der Tat verheißt Jesus den Seinigen die Gabe der Weisheit in seinem eigenen Namen (Lk 21, 15). Von seinem ungläubigen Geschlechte verkannt, aber von jenen aufgenommen, die für Gott ein aufgeschlossenes Herz hatten, zieht er den geheimnisvollen Schluß: ,,Die Weisheit ist durch ihre Kinder gerechtfertigt worden" (Lk 7, 35 oder: ,,durch ihre Werke": Mt 11, 19). Sein Geheimnis aber bricht noch deutlicher durch, wenn er seine Sprechweise an diejenige anlehnt, die das Alte Testament der göttlichen Weisheit zuschrieb: ,,Kommet zu mir!" ... (Mt 11, 28ff; vgl. Sir 24, 19); ,,wer zu mir kommt, wird nicht mehr hungern, wer an mich glaubt, wird nicht mehr dürsten" (Jo 6, 35; vgl. 4, 14; 7, 37; Is 55, 1ff; Spr 9, 1 - 6; Sir 24, 19 - 22).

Diese Aufrufe gehen weit über das hinaus, was man von einem gewöhnlichen Weisen erwarten konnte; sie lassen die geheimnisvolle Persönlichkeit des Sohnes erahnen (vgl. Mt 11, 25ff par.). Diese Lehre ist in den apostolischen Schriften niedergelegt worden. Wenn Jesus darin als ,,Weisheit Gottes" bezeichnet wird (1 Kor 1, 24. 30), so nicht nur deshalb, weil er den Menschen die Weisheit mitteilt, sondern weil er selber die Weisheit ist. Deshalb griff man, wenn man von seiner Präexistenz beim Vater sprechen wollte, auf dieselben termini zurück, die einst die göttliche Weisheit umschrieben haben: Er ist der Erstgeborene vor aller Schöpfung und der Werkmeister der Schöpfung (Kol 1, 15ff; vgl. Spr 8, 22 - 31), der Abglanz der Herrlichkeit Gottes und das Abbild seines Wesens (Hebr 1, 3; vgl. Weish 7, 25f). Der Sohn ist die Weisheit des Vaters, so wie er auch dessen Wort ist (Jo 1, 1ff). Diese persönliche Weisheit war einst in Gott verborgen, obwohl sie das All gelenkt, die Geschichte geleitet und sich im Gesetz und in der Unterweisung der Weisen indirekt kundgetan hatte. Jetzt aber ist sie in Jesus Christus offenbar geworden. Auf diese Weise erhalten alle Weisheitstexte des Alten Testament, in ihm ihren endgültigen Sinn.

II. Die Weisheit der Welt und die christliche Weisheit

1. Verurteilung der Weisheit der Welt. Zu derselben Stunde, da sich die Weisheit in dieser erhabensten Weise offenbarte, begann jenes Drama von neuem, das schon die Propheten verdeutlicht haben. Die Weisheit dieser Welt, die von dem Augenblick an, da sie den lebendigen Gott verkannte, zur Torheit geworden war (Röm 1, 21f; 1 Kor 1, 21), trieb diese Torheit zum äußersten, da die Menschen ,,den Herrn der Herrlichkeit kreuzigten" (1 Kor 2, 8). Deshalb hat Gott diese Weisheit der Weisen (1, 19f; 3, 19f) als "irdisch, sinnlich, dämonisch" verurteilt (Jak 3, 15); um sie zu beschämen, hat er beschlossen, die Welt durch die Torheit des Kreuzes zu erlösen (1 Kor 1, 17 - 25). Deshalb kann bei der Verkündigung des Evangeliums vom Heile an die Menschen alles beiseite gelassen werden, was mit menschlicher Weisheit zu tun hat: Gelehrsamkeit und Schönheit der Sprache (1 Kor 1, 17; 2, 1 - 5), denn die Torheit des Kreuzes darf nicht verschleiert werden.

2. Die wahre Weisheit. Die Offenbarung der wahren Weisheit erfolgt also auf paradoxe Art. Sie wird nicht den Weisen und Klugen zuteil, sondern den Kleinen (Mt 11, 25); um den Hochmut der Weisen zu beschämen, hat Gott das erwählt, was vor der Welt Torheit ist (1 Kor 1, 27). Auf diese Weise muß man sich in den Augen der Welt zum Toren machen, um vor Gott weise zu werden (3, 18). Denn die christliche Weisheit wird nicht durch menschliches Bemühen erworben, sondern durch die Offenbarung des Vaters (Mt 11, 25ff). Sie ist etwas in sich Göttliches, Geheimnisvolles und Verborgenes, das sich dem menschlichen Begreifen entzieht (1 Kot 2, 7ff; Röm 11, 33ff; Kol 2, 3). Sie, die durch die historische Verwirklichung des Heiles kundgeworden ist (Eph 3, 10), kann nur jenen Menschen durch den Geist Gottes mitgeteilt werden, die sich von ihm belehren lassen (1 Kot 2, 10 - 16; 12, 8; Eph 1, 17).

III. Aspekte der christlichen Weisheit

1. Weisheit und Offenbarung. Die christliche Weisheit, wie sie eben beschrieben wurde, weist mit den jüdischen Apokalypsen eindeutig verwandte Züge auf: Sie ist nicht in erster Linie Lebensregel, sondern Offenbarung des Geheimnisses Gottes (1 Kor 2, 6ff), Gipfelpunkt jener religiösen Erkenntnis die der hl. Paulus von Gott für die Gläubigen erbittet (Kol 1, 9) und worüber sich diese ,,mit Worten, wie der Geist sie lehrt" (1 Kor 2, 13), gegenseitig belehren können (Hol 3, 16).

2. Weisheit und sittliches Leben. Doch bleibt deshalb der sittliche Aspekt der Weisheit nicht außer Betracht. Im Gegenteil, erst im Lichte der Offenbarung Christi, der Weisheit Gottes, erhalten sämtliche Verhaltensregeln, die das Alte Testament mit der gottgemäßen Weisheit in Beziehung gebracht hatte, ihren vollen Sinn. Dies gilt nicht bloß für die Ausübung des apostolischen Amtes (1 Kor 3, 10, 2 Petr 3, 15), sondern auch für das Verhalten im christlichen Alltagsleben (Eph 5, 15; Kol 4, 5), wo man sich an das Beispiel der klugen, nicht aber der törichten Jungfrauen zu halten hat (Mt 25, 1 - 12). In diesem Sinne setzen jene praktischen sittlichen Ratschläge, die der hl. Paulus im Schlußteil seiner Briefe erteilt, die Unterweisung der alten Weisen fort. Noch klarer tritt dieser Tatbestand im Jakobusbrief zutage, der eben in diesem Bezug die falsche Weisheit jener anderen Weisheit gegenüberstellt, die "von oben kommt" (Jak 3, 13 - 17). Diese letztere schließt eine vollkommene sittliche Rechtschaffenheit in sich. Man muß sich bestreben, sein Handeln danach auszurichten, sie aber gleichzeitig von Gott als Gabe erbitten (Jak 1, 5).

Dies ist die einzige Perspektive, aus der heraus die Errungenschaften des Humanismus in das christliche Leben und Denken eingebaut werden können. Der sündige Mensch muß sich mit seiner hochmütigen Weisheit kreuzigen lassen, wenn er in Christus wiedergeboren werden will. Tut er dies, so wird sein gesamtes menschliches Bemühen einen neuen Sinn erhalten, denn es wird sich unter der Leitung des Heiligen Geistes vollziehen. Einfalt