PRIESTERTUM

,,Jesus aber bleibt in Ewigkeit und besitzt ein unvergängliches Priestertum" (Hebr 7, 24). Auf diese Weise bringt der Hebräerbrief das Mittlertum Christi zu dessen Umschreibung mit einer Funktion in Zusammenhang, die im Alten Testament ebenso vorhanden war wie in sämtlichen Religionen der benachbarten Völker: mit der der Priester. Zum Verständnis des Priestertums Jesu ist es also von grösster Wichtigkeit, das Priestertum des Alten Testaments, das es vorbereitet und im voraus dargestellt hat, genau zu kennen.

AT

I. Geschichte der priesterlichen Einrichtung

1. Bei jenen Kulturvölkern, die Israel umgaben, wurde die priesterliche Funktion häufig durch den König ausgeübt, vor allem in Mesopotamien und in AEgypten. Diesem stand dabei ein hierarchisch gegliederter Klerus zu Diensten, dessen Funktion meist weitervererbt wurde, so dass er eine regelrechte Kaste bildete. Nichts von alldem bei den Patriarchen. Zu ihrer Zeit gab es weder einen Tempel, noch Priester, die in besonderer Weise im Dienste des Gottes Abrahams, Isaaks und Jakobs gestanden wären. Die UEberlieferungen der Genesis zeigen uns die Patriarchen, wie sie in Kanaan Altäre errichten (Gn 12, 7f; 13, 18; 26, 25) und Opfer darbringen (Gn 22; 31, 54; 46, 1). Sie üben das bei den meisten Völkern der Antike übliche Familienpriestertum aus. Die einzigen Priester, von denen die Rede ist, sind Ausländer: so der Priesterkönig von Jerusalem Melchisedech (Gn 14, 18 ff) und die Priester des Pharao (Gn 41, 45; 47, 22). Der Stamm Levi ist noch ein profaner Stamm ohne heilige Funktionen (Gn 34, 25 - 31; 49, 5 ff).

2. Mit Moses, der selbst Levit war, scheint die Spezialisierung dieses Stammes auf die kultischen Funktionen ihren Anfang genommen zu haben. Die archaische Erzählung von Ex 32, 25 - 29 bringt den wesentlichen Charakter seines Priestertums zum Ausdruck: er ist von Gott selbst für seinen Dienst auserwählt und geweiht. Der Mosessegen schreibt ihn im Gegensatz zum Jakobssegen die spezifischen Aufgaben des Priestertums zu (Dt 33, 8 - 11). Allerdings spiegelt dieser Text eine Situation aus späterer Zeit wider. In dieser Zeit sind die Leviten die Priester schlechthin (Ri 17, 7 - 13; 18, 19) und an die verschiedenen Heiligtümer des Landes gebunden. Neben dem levitischen Priestertum aber wurde das Familienpriestertum noch weiter ausgeübt (Ri 6, 18 - 29; 13, 19; 17, 5; 1 Sm 7, 1).

3. Zur Zeit der Monarchie übte der König gleich den Königen der benachbarten Völker verschiedene priesterliche Funktionen aus. Er bringt, von Saul (1 Sm 13, 9) und David (2 Sm 6, 13. 17; 24, 22-25) angefangen bis Achaz (2 Kg 16, 13), Opfer dar; er segnet das Volk (2 Sm 1, 18; 1 Kg 8, 14) ... Doch wird ihm, ausgenommen im uralten Psalm 110, 4, der ihn mit Melchisedech vergleicht, nirgends der Titel eines Priesters gegeben. De facto ist er trotz dieser Anspielung auf das königliche Priestertum Kanaans eher ein Schirmherr des Priestertums als ein Mitglied der geweihten Kaste. Denn diese ist nunmehr vor allem im Heiligtum von Jerusalem, das seit David das kultische Zentrum Israels darstellt, zu einer wohlgegliederten Einrichtung geworden. Anfänglich teilten sich zwei Priester in dessen Dienst. Ebjathar, ein Nachkomme Helis, der Silo betreut hatte, ist höchstwahrscheinlich ein Levit (2 Sm 8, 17); doch wurde seine Familie von Salomo ausgeschaltet (1 Kg 2, 26f). Sadok ist unbekannter Herkunft; doch sollte die Leitung der Tempelpriesterschaft bis zum 2. Jahrhundert in den Händen seiner Nachkommen verbleiben. Spätere Genealogien bringen ihn gleich Ebjathar mit den Nachkommen Aarons in Zusammenhang (vgl. 1 Chr 5, 27 - 34). Unter dem Befehl des Oberpriesters stehend, zählte die Priesterschaft Jerusalems verschiedene untergeordnete Gruppen. In vorexilischer Zeit umfasste das Tempelpersonal sogar Unbeschnittene (Ez 44, 7 ff; vgl. Jos 9, 27). In den anderen Heiligtümern, vor allem in Juda, müssen die Leviten ziemlich zahlreich gewesen sein. Es scheint, dass David und Salomo versucht haben, sie auf das ganze Land zu verteilen (vgl. Jos 21; Ri 18, 30). Einige Lokalheiligtümer aber besassen Priester verschiedenen Ursprungs (1 Kg 12, 31).

4. Die Reform des Josias im Jahre 621 besiegelte durch die Unterdrückung der Lokalheiligtümer das levitische Monopol und die ausschliessliche Stellung der Priesterschaft von Jerusalem. Sie griff über die Forderungen des Deuteronomiums hinaus (18, 6 ff) und behielt die Ausübung der priesterlichen Funktionen praktisch den Nachkommen Sadoks allein vor (2 Kg 23, 5. 9); auf diese Weise bereitete sie auf die spätere Unterscheidung zwischen Priestern und Leviten vor, die schon in Ez 44, 10 - 31 deutlich hervortritt. Der gleichzeitige Untergang des Tempels und der Monarchie (587) setzte der Bevormundung der Priesterschaft durch den König ein Ende und verlieh dieser eine grosse Autorität über das Volk. Von allen Einflüssen und Versuchungen der politischen Macht, die von nun an Heiden in Händen hielten, befreit, wurde die Priesterschaft zur religiösen Führerin des Volkes. Das allmähliche Verschwinden des Prophetentums vom 5. Jahrhundert an verstärkte noch ihre Autorität. Die Reformpläne Ezechiels aus dem Jahre 573 schliessen den ,,Fürsten" vom Heiligtum aus (Ez 44, 1 ff; 46). Die Kaste der Leviten erfreute sich fortan eines unbestrittenen Monopols (die einzige Ausnahme in Is 66, 21 bezieht sich ausschliesslich auf die ,,Endzeit"). Die priesterlichen Sammlungen des Pentateuchs (5. - 4. Jh.) und das Werk des Chronisten (3. Jh.) liefern schliesslich einen detaillierten UEberblick über die priesterliche Hierarchie. Diese ist streng gegliedert. An der Spitze steht der Hohepriester, der Sohn Sadoks als Nachfolger Aarons, des Typus des Priestertums. Es hatte stets in jedem Heiligtum einen Oberpriester gegeben; der Titel Hoherpriester taucht in dem Augenblick auf, da das Fehlen des Königs das Bedürfnis nach einem Oberhaupt für die Theokratie fühlbar werden ließ. Die Salbung, die er seit dem 4. Jahrhundert erhielt (Lv 8, 12; vgl. 4, 3; 16, 32; Dn 9, 25), erinnert an jene, die einst die Könige geweiht hatte. Ihm unterstehen die Priester, die Söhne Aarons. Endlich kamen die Leviten, die den niederen Klerus bildeten und in drei Familien zerfielen, zu denen noch die Sänger und die Torhüter kamen (1 Chr 25 - 26). Diese drei Klassen stellten den heiligen Stamm dar, der gänzlich dem Dienste des Herrn geweiht war.

5. Von da an sollte die Hierarchie mit Ausnahme der Bestellung des Hohenpriesters keine Veränderung mehr erfahren. Im Jahre 172 wurde der letzte Hohepriester, der der Linie Sadoks entstammte, Onias III., infolge politischer Intrigen ermordet. Seine Nachfolger wurden ohne Rücksicht auf ihre Abstammung von den syrischen Königen ernannt. Die makkabäische Bewegung führte schliesslich zur Investitur Jonathans, der aus einer fast unbekannten Priesterfamilie hervorgegangen war. Sein Bruder und Nachfolger Simon (143) begründete die Dynastie der Hasmonäer, die gleichzeitig Priester und Könige waren (134 - 37). Diese kümmerten sich mehr um die politische und militärische als um die religiöse Führung, wodurch sie sich die Pharisäer zu Feinden machten. Der überlieferungstreue Klerus seinerseits aber machte ihnen den nichtsadokitischen Ursprung zum Vorwurf, und die Priestersekte von Qumran begründete sogar ein regelrechtes Schisma. Von der Zeit des Herodes an (37) wurden die Hohenpriester schliesslich von der politischen Autorität bestellt, die sie den bedeutenden Priesterfamilien entnahm. Diese bildeten die Gruppe der ,,Hohenpriester", von denen im Neuen Testament mehrfach die Rede ist.

II. Die priesterlichen Funktionen

In den Religionen der Antike sind die Priester die Diener des Kultes, die Hüter der heiligen UEberlieferungen, die Sprecher der Gottheit in ihrer Eigenschaft als Wahrsager. In Israel übt das Priestertum trotz der sozialen Umschichtung und der dogmatischen Entwicklung, die man im Laufe der Jahrhunderte feststellen kann, stets zwei grundlegende AEmter aus, die zwei Formen des Mittlertums darstellen: den Dienst am Kulte und den Dienst am Worte.

1. Der Dienst am Kulte Der Priester ist der Mann des Heiligtums. In der Frühzeit versammelte er als Hüter der Bundeslade (1 Sm 1 - 4; 2 Sm 15, 24 - 29) die Gläubigen im Hause Jahves (1 Sm 1) und leitete bei den Festen des Volkes die Liturgien (Lv 23, 11. 20). Sein wesentlicher Akt war das Opfer Hier erfüllte er seine Aufgabe als Mittler im vollsten Umfange: Er brachte Gott die Opfergabe seiner Gläubigen dar und vermittelte diesen den göttlichen Segen Dies war beim Opfer des Moses bei der Bundesschliessung am Sinai der Fall (Ex 24, 4 - 8); dies war auch bei Levi als dem Haupte des ganzen Geschlechtes der Fall (Dt 33, 10). In nachexilischer Zeit erfüllten die Priester diese Aufgabe Tag für Tag im immerwährenden Opfer (Ex 29, 38 - 42). Einmal im Jahre erschien der Hohepriester in seiner Rolle als höchster Mittler, wenn er am Grossen Versöhnungstage ( Sühne die Funktionen leitete, um die Vergebung jeglicher Schuld seines Volkes zu erlangen (Lv 16; Sir 50, 5 - 21). Außerdem hatte der Priester auch Weihe- und Reinigungsriten zu vollziehen: so die Salbung des Königs (1 Kg 1, 39; 2 Kg 11, 12), die Reinigung der Aussätzigen (Lv 14) und der Wöchnerinnen (Lv 12, 6 ff).

2. Der Dienst am Worte In Mesopotamien und in AEgypten übte der Priester die Wahrsagerei aus; im Namen seines Gottes antwortete er auf die Anfragen der Gläubigen. In Altisrael übte der Priester mit Hilfe des Ephod (1 Sm 30, 7f), des Urim und des Tummim eine ähnliche Funktion aus (1 Sm 14, 36 - 42; Dt 33, 8); doch ist in nachdavidischer Zeit von diesen Verfahren nicht mehr die Rede. Denn in Israel kam das auf die verschiedenen Lebensumstände bezugnehmende Wort Gottes seinem Volke auf anderem Wege zu: durch die vom Heiligen Geiste getriebenen Propheten Doch gab es auch eine traditionelle Form des Wortes, deren Ausgangspunkt die grossen Geschehnisse der heiligen Geschichte und die Bestimmungen des Sinai- Bundes bildeten. Diese heilige Tradition kristallisierte sich einerseits in jenen Erzählungen, die die grossen Erinnerungen der Vergangenheit lebendig erhielten, andererseits in dem Gesetz das von ihnen her seinen Sinn erhielt. Die Priester sind die Diener dieses Wortes. Sie waren es, die den Gläubigen in der Liturgie der Festfeiern jene Erzählungen vorlasen, die die Grundlage ihres Glaubens bildeten (Ex 1 - 15, Js 2 - 6 sind vermutlich Nachklänge von solchen Festfeiern). Bei den Bundeserneuerungen verkündeten sie die Thora (Ex 24, 7; Dt 27; Neh 8); sie sind sogar deren ordentliche Interpreten, die die Anfragen der Gläubigen durch praktische Weisungen beantworteten (Dt 33, 10; Jr 18, 18; Ez 44, 23; Agg 2, 11 ff) und eine richterliche Funktion ausübten (Dt 17, 8 - 13; Ez 44, 23f). In Weiterführung dieser Tätigkeit sorgen sie für die schriftliche Niederlegung des Gesetzes in den verschiedenen Gesetzessammlungen: im Deuteronomiom, im Heiligkeitsgesetz (Lv 17 bis 26), in der Thora Ezechiels (40 - 48), in der priesterlichen Gesetzgebung (Ex, Lv, Nm), in der endgültigen Fassung des Pentateuchs (vgl. Esr 7, 14 - 26; Neh 8). Auf diese Weise versteht man, wieso der Priester in den heiligen Büchern als der Mann der Erkenntnis erscheint (Os 4, 6; Mal 2, 6f; Sir 45, 17); er ist der Mittler des Wortes Gottes in seiner traditionellen Form der Geschichte und der Gesetzessammlungen. In den letzten Jahrhunderten des Judentums aber vervielfachren sich die Synagogen und konzentrierte sich das Priestertum auf seine rituellen Aufgaben. Gleichzeitig ist ein Anwachsen der Autorität der Schriftgelehrten festzustellen, die dem Laienstande angehörten. Diese gehörten zum grössten Teile der Sekte der Pharisäer an und waren zur Zeit Jesu die bedeutendsten Lehrer in Israel.

III. Dem vollkommenen Priestertum entgegen

Das Priestertum des Alten Testaments ist seiner Sendung in seiner Gesamtheit treu gewesen. Durch seine Liturgien, durch seine Lehrtätigkeit und die Bearbeitung der heiligen Bücher hat es in Israel die UEberlieferung des Moses und der Propheten lebendig erhalten und das religiöse Leben des Volkes Gottes von Geschlecht zu Geschlecht sichergestellt. Doch sollte es letztlich überboten werden.

1. Die Kritik am Priestertum. Die priesterliche Sendung schloss sehr hohe Anforderungen in sich; nun aber gab es stets auch Priester, die nicht auf der Höhe ihrer Aufgabe gestanden sind. Die Propheten haben dieses Versagen gebrandmarkt: die Verseuchung des Jahve- Kultes durch kananäisches Brauchtum an den Lokalheiligtümern Israels (Os 4, 4 - 11; 5, 1 - 7; 6, 9), den heidnischen Synkretismus in Jerusalem (Jr 2, 26 ff; 23, 11; Ez 8), UEbertretungen der Thora (Soph 3,4; Jr 2,8; Ez 22, 26), den Widerstand gegen die Propheten (Am 7, 10 - 17; Is 28, 7 - 13; Jr 20, 1 - 6; 23, 33f; 26), persönlichen Eigennutz (Mich 3, 11; vgl. 1 Sm 2, 12 - 17; 2 Kg 12, 5 - 9), Mangel an Eifer für den Kult des Herrn (Mal 2, 1 - 9) . . Es wäre einfältig, wollte man in diesen Vorwürfen nur die Polemik zweier sich feindlich gegenüberstehender Kasten erblicken, der Propheten und der Priester. Jeremias und Ezechiel sind Priester; jene Priester, die das Deuteronomium und das Heiligkeitsgesetz abgefasst haben, waren sichtlich bestrebt, ihre eigene Kaste zu reformieren. Die Gemeinde von Qumran, die in die letzten Jahrhunderte des Judentums hineingehört, dem ,,gottlosen Priester" den Rücken wandte und sich vom Tempel trennte, war eine Priestersekte.

2. Das priesterliche Ideal. Die grösste Bedeutung dieser Kritiken und Reformpläne liegt darin, dass sie sämtlich von einem priesterlichen Ideal inspiriert sind. Die Propheten stellen den Priestern ihrer Zeit ihre Pflichten vor Augen, sie fordern von ihnen den reinen Kult die Treue zur Thora. Die priesterlichen Gesetzeslehrer umschreiben die Reinheit und die Heiligkeit der Priester (Ez 44, 15 bis 31; Lv 21; 10). Doch lehrt die Erfahrung, dass der sich selbst überlassene Mensch dieser Reinheit und dieser Heiligkeit nicht fähig ist. Deshalb erhoffte man schliesslich, dass Gott selbst am Tage der Restauration (Zach 3) und des Gerichtes (Mal 3, 1 - 4) das vollkommene Priestertum verwirklichen werde. Man erwartete neben dem Messias dem Sohne Davids, den getreuen Priester (Zach 4; 6, 12f; Jr 33, 17 - 22). Diese Erwartung der beiden Messiasse Aarons und Israels taucht in den Qumranschriften und in den apokryphen ,,Testamenten der Patriarchen" wiederholt auf. In diesen Texten wie in mehreren Retuschen biblischer Texte (Zach 3, 8; 6, 11) kommt dem priesterlichen Messias vor dem königlichen Messias sogar der Vorrang zu. Dieser Vorrang des Priesters stimmt mit einem wesentlichen Aspekt der Lehre vom Bunde überein: Israel ist das Priestervolk (Ex 19,6; Is 61, 6; 2 Makk 2, 17f), das einzige Volk der Welt, das den Kult des wahren Gottes sicherstellt; dieses Volk wird dem Herrn in seiner endgültigen Vollendung den vollkommenen Kult darbringen (Ez 40 - 48; Is 60 - 62; 2, 1 - 5). Wie aber vermöchte es dies ohne ein Priestertum, das an seiner Spitze steht? Doch kennt das Alte Testament ausser dem Priester auch noch andere Mittler zwischen Gott und seinem Volke. Der König führt das Volk Gottes in der Geschichte als dessen institutionelles, militärisches, politisches und religiöses Oberhaupt. Der Prophet ist persönlich berufen, ein unmittelbar von Gott kommendes, einer besonderen Situation, in der er für das Heil seiner Brüder verantwortlich ist, zugeordnetes Wort Gottes zu überbringen. Der Priester hat gleich dem Propheten eine rein religiöse Sendung; doch übt er sie im Rahmen bestehender Einrichtungen aus; er ist es von Geburt aus, ist an das Heiligtum und an dessen Gebräuche gebunden. Er vermittelt dem Volk das Wort Gottes im Namen der UEberlieferung nicht von sich aus. Er hält die grossen Erinnerungen der heiligen Geschichte lebendig und lehrt das Gesetz des Moses. Er trägt das Gebet des Volkes in der Liturgie zu Gott empor und antwortet auf dieses Gebet durch den göttlichen Segen. Er sorgt für den Fortbestand des religiösen Lebens im auserwählten Volk mit Hilfe der geheiligten Tradition.

NT

Die Werte des Alten Testaments erlangen ihren vollen Sinn erst in Jesus, der sie erfüllt, indem er sie überbietet. Dieses allgemeine Gesetz der Offenbarung findet im Falle des Priestertums seine schlechthinnige Anwendung.

I. Jesus, der einzige Priester

1: Die synoptischen Evangelien. Jesus selbst hat sich kein einziges Mal den Titel eines Priesters gegeben. Das ist wohl verständlich. Denn dieser Titel bezeichnete in seinem Milieu eine genau umschriebene, den Angehörigen des Stammes Levi vorbehaltene Funktion. Jesus aber wußte, dass sich seine Aufgabe von der ihrigen ge waltig unterschied, war sie doch unvergleichlich umfassender und schöpferischer. Er zog es vor, sich als den Sohn und als den Menschensohn zu bezeichnen. Indes verwendete er zur Umschreibung seiner Sendung priesterliche Ausdrücke, doch handelt es sich dabei, wie dies seiner Gepflogenheit entsprach, um mittelbare und vorbildhafte Ausdrücke. Der Tatbestand ist vor allem dort klar, wo Jesus von seinem Tode spricht. Für seine Feinde ist dieser die Strafe für eine Gotteslästerung für seine Jünger eine ärgerniserregende Katastrophe. Für ihn aber ist er ein Opfer das er mit Hilfe der Vorbilder des Alten Testaments beschreibt: er vergleicht ihn bald mit dem Sühnopfer des Knechtes Gottes (Mk 10, 45; 14, 24; ,vgl. Is 53), bald mir jenem Opfer des Bundes das Moses am Fuße des Sinai dargebracht hat (Mk 14, 24; vgl. Ex 24, 8). Und das Blut, das er zur Zeit des Paschaopfers hingab, erinnerte an das des Paschalammes (Mk 14, 24; vgl. Ex 12, 7. 13. 22f). Er nimmt diesen Tod, den man ihm zufügt, freiwillig auf sich; er opfert ihn auf, wie der Priester das Opfertier aufopfert, und deshalb erwartet er davon die Sühnung der Sünden, die Errichtung des Neuen Bundes, das Heil seines Volkes. Mit einem Wort, er ist der Priester seines eigenen Selbstopfers. Die zweite Funktion der Priester des Alten Testaments war der Dienst an der Thora. Nun aber nimmt Jesus dem Gesetz des Moses gegenüber eine ganz klare Stellung ein: Er ist gekommen, um es zu erfüllen (Mt 5. 17f). Ohne sich an seinen Buchstaben zu binden, über den er hinaus greift (Mt 5, 20 - 48), rückt er dessen tiefsten Sinn ans Licht, der im ersten und zweiten Gebote, das dem ersten gleich ist, beschlossen liegt (Mt 22, 34 - 40). Dieser Aspekt seines Wirkens setzt das der Priester des Alten Testaments fort, überbietet es aber in jeder Hinsicht, denn das Wort Jesu ist die erhabenste Offenbarung, das Evangelium vom Heile, das das Gesetz endgültig erfüllt.

2. Von Paulus bis Johannes. Der hl. Paulus, der so häufig auf den Tod Jesu zurückkommt, stellt diesen ebenso wie sein Meister an Hand der Vorbilder der Opferung des Pascha- Lammes (1 Kot 5, 7), des Knechtes (Phil 2, 6 - 11) und des Grossen Versöhnungstages ( Sühne dar (Röm 3, 24f). Diese Deutung im Sinne des Opfers scheint weiterhin auch in den Bildern von der Gemeinschaft am Blute Christi (1 Kor 10, 16 - 22) und von der Erlösung durch dieses Blut auf (Röm 5, 9; Kol 1, 20; Eph 1, 7; 2, 13). Der Tod Jesu ist nach dem hl. Paulus der höchste Akt seiner Freiheit, das Opfer schlechthin, der priesterliche Akt im eigentlichen Verstande, den er selbst vollzogen hat. Doch gibt der Apostel Jesus ebenso wie sein Meister, und offenbar aus denselben Gründen, nirgends den Titel eines Priesters. Dasselbe gilt für alle übrigen Schriften des Neuen Testaments mir Ausnahme des Hebräerbriefes. Sie stellen den Tod Jesu als das Opfer des Knechtes (Apg 3, 13. 26; 4, 27. 30; 8, 32f; 1 Petr 2, 22 ff) und des Lammes dar (1 Petr 1, 19). Sie sprechen von seinem Blute (1 Petr 1, 2. 19; 1 Jo 1, 7). Sie bezeichnen ihn nicht als Priester. Die johanneischen Schriften sind etwas weniger zurückhaltend. Sie reden vom hohepriesterlichen Gewand Jesu (Jo 19, 23; Apk 1, 13), und der Bericht von der Passion als dem Opferakt beginnt mit dem ,,Hohenpriesterlichen Gebet" (Jo 17). Gleich dem Priester, der darangeht, ein Opfer darzubringen, ,,heiligt", d. h. weiht, sich Jesus durch das Opfer (Jo 17, 19) und übt auf diese Weise ein wirksames Mittlertum aus, nach dem das Priestertum von einst vergeblich verlangt hatte.

3. Der Hebräerbrief verbreitet sich als einziger ausführlich über das Priestertum Christi. Er greift die bereits erwähnten Themen auf und stellt das Kreuz als das Opfer der Versöhnung (9, 1 - 14; vgl. Röm 3, 24f), des Bundes (9, 18 - 24), des Knechtes dar (9, 28). Doch konzentriert er seine Aufmerksamkeit auf die persönliche Rolle Christi beim Vollzuge dieses Opfers. Jesus war so wie einst Aaron, ja in viel höherem Maße als dieser von Gott dazu berufen, zugunsten der Menschen einzutreten und für ihre Sünden Opfer darzubringen (5, 1 -4). Sein Priestertum war nach dem Zeugnis des Wahrspruches von Ps 110, 4 in dem des Melchisedech vorgebildet (Gn 14, 18 ff). Um diesen Punkt ins Licht zu rücken, gibt der Verfasser den Texten des Alten Testaments eine subtile Deutung: das Schweigen der Genesis über den Stammbaum des Priesterkönigs erscheint ihm als Hinweis auf die Ewigkeit des Gottessohnes (7, 3); der Zehnte, den ihm Abraham entbot, weist auf die Unterlegenheit des levitischen Priestertums im Vergleich zum Priestertum Jesu hin (7, 4 - 10); der Schwur Gottes in Ps 110, 4 verkündet die unantastbare Vollkommenheit des endgültigen Hohenpriesters (7, 20 - 25). Jesus ist der einzige heilige Priester (7, 26 ff). Sein Priestertum setzt dem Priestertum von einst ein Ende. Dieses Priestertum wurzelt in seinem Wesen selbst, das ihn zum Mittler schlechthin macht: zugleich wahrer Mensch (2, 10 bis 18; 5, 7f), der unsere Armut bis in die Versuchung hinein geteilt hat (2, 18; 4, 15), und wahrer Gottessohn, der über die Engel erhaben ist (1, 1 - 13), ist er der alleinige und ewige Priester. Er hat sein Opfer ein für alle Male in der Zeit vollbracht (7, 27; 9, 12. 25 - 28; 10, 10 - 14). Von da an ist er der immerwährende Fürsprecher (7, 24f), der Mittler des Neuen Bundes (8, 6 - 13; 10, 12 - 18).

4. Kein Titel erschöpft für sich allein das Geheimnis Christi: Jesus, der vom Vater nicht zu trennende Sohn, der Menschensohn, der die gesamte Menschheit in sich zusammenfasst, ist zugleich der Hohepriester des Neuen Bundes, der Messiaskönig und das Wort Gottes. Das Alte Testament hatte das Mittlertum des Königs und des Priesters (das Zeitliche und das Geistige), des Priesters und des Propheten (des Institutionellen und des zur Zeit sich Ereignenden) voneinander geschieden, Unterscheidungen, die zum Verständnis der Eigenwerte der Offenbarung notwendig. gewesen waren. Da die Transzendenz Jesu ihn über jegliche Zweideutigkeit der Geschichte hinaushob, vereint er in seiner Person alle diese verschiedenen Formen des Mittlertums: Er, der Sohn, ist jenes ewige Wort, das die Botschaft der Propheten vollendet und überbietet; er, der Menschensohn, fasst die gesamte Menschheit in sich zusammen und ist deren König mit einer Autorität und einer Liebe, die bis auf ihn unbekannt gewesen waren; er, der einzige Mittler zwischen Gott und seinem Volke, ist jener vollkommene Priester, durch den die Menschen geheiligt werden.

II. Das priesterliche Volk

1. Jesus schreibt seinem Volke das Priestertum ebensowenig wie sich selber ausdrücklich zu. Doch hat er niemals aufgehört, priesterlich zu handeln, und hat das Volk des Neuen Bundes offenbar als priesterliches Volk gewollt. Jesus offenbart sich als Priester durch den Vollzug seines Opfers und durch den Dienst am Worte. Es ist überraschend, festzustellen, dass er jeden der Seinen dazu beruft, an diesen beiden Funktionen seines Priestertums teilzunehmen: Jeder Jünger muß sein Kreuz auf sich nehmen (Mt 16, 24 par.) und seinen Kelch trinken (Mt 20, 22; 26, 27); jeder muß seine Botschaft weitertragen (Lk 9, 60; 10, 1 - 16) und unter Einsatz seines Lebens für ihn Zeugnis ablegen (Mt 10, 17 - 42). So wie Jesus allen Menschen an seinen Titeln als Sohn und Messiaskönig Anteil gibt, macht er sie zugleich mit ihm auch zu Priestern.

2. Die Apostel führen diesen Gedanken Jesu weiter, indem sie das christliche Leben als eine Liturgie darstellen, als eine Teilnahme am Priestertum des einzigen Priesters. Der hl. Paulus betrachtet den Glauben der Gläubigen als ein ,,Opfer und eine Darbringung" (Phil 2, 17); die finanziellen Hilfen, die er von der Gemeinde von Philippi erhielt, sind ,,ein duftender Wohlgeruch, ein angenehmes, Gott wohlgefälliges Opfer" (Phil 4, 18). Für ihn ist das gesamte christliche Leben ein priesterlicher Akt; er fordert die Christen auf, ihren Leib ,,als lebendige, heilige, gottwohlgefällige Opfergabe darzubringen; dies ist der geistige Kult den ihr zu vollziehen habt" (Röm 12, 1; vgl. Phil 3, 3; Hebr 9, 14; 12, 28). Dieser Kult besteht ebenso im Lobpreis des Herrn wie im Wohltun und im Mitteilen der Güter (Hebr 13, 15f). Der Jakobusbrief zählt die konkreten Handlungen, die den wahren Kult ausmachen, im einzelnen auf: die Beherrschung der Zunge, das Besuchen der Waisen und Witwen, die Fernhaltung aller Befleckung der Welt (Jak 1, 26f). Der erste Petrusbrief und die Apokalypse schreiben dem christlichen Volke das ,,königliche Priestertum" Israels ausdrücklich zu (1 Petr 2, 5. 9; Apk 1, 6; 5, 10; 20, 6; vgl. Ex 19, 6). Mit Hilfe dieses Titels kündigten die Propheten des Alten Testaments an, dass Israel das Wort des wahren Gottes mitten unter die Heidenvölker tragen und seinen Kult gewährleisten sollte. Fortan aber übernimmt das christliche Volk diese Aufgabe. Es kann dies dank Jesu, der es an seiner messianischen Würde als König und Priester teilnehmen lässt.

III. Die Diener am Priestertum Jesu

Kein Text des Neuen Testaments gibt irgendeinem der Verantwortlichen der Kirche den Namen Priester. Doch ist die Zurückhaltung Jesu im Gebrauche dieses Titels so gross, dass dieses Schweigen kaum zu einem Schluss berechtigt. Jesus lässt sein Volk an seinem Priestertum teilnehmen; im Neuen wie im Alten Testament kann dieses Priestertum des Volkes Gottes konkret nur durch Diener ausgeübt werden, die von Gott berufen werden.

1. In der Tat stellen wir fest, dass Jesus die Zwölfe berufen hat, um ihnen die Verantwortung über seine Kirche anzuvertrauen. Er hat sie auf den Dienst am Worte vorbereitet; er hat ihnen verschiedene seiner Vollmachten übertragen (Mt 10, 8. 40; 18, 18); am letzten Abend hat er ihnen die Eucharistie anvertraut (Lk 22, 19). Dies aber sind ebenso viele spezifische Teilhaben an seinem Priestertum.

2. Die Apostel haben verstanden. Sie bestellen auch ihrerseits verantwortliche Männer, die ihre Tätigkeit fortsetzen sollten. Einige von diesen tragen den Titel AElteste, wovon sich der heutige Name Priester herleitet (griech. presbyteros: Apg 14, 23; 20, 17; Tit 1, 5). Die Reflexion des hl. Paulus über das Apostolat und über die Charismen ist bereits auf das Priestertum der Diener der Kirche ausgerichtet. Er gibt den verantwortlichen Leitern der Gemeinden priesterliche Titel: ,,Verwalter der Geheimnisse Gottes" (1 Kor 4, 1f); ,,Diener des Neuen Bundes" (2 Kor 3, 6); er bestimmt die apostolische Predigt als einen liturgischen Dienst (Röm 1, 9; 15, 15f). Hier liegt der Ausgangspunkt für die späteren Aussagen der Tradition über das Priestertum im Sinne eines Amtes; dieses stellt also keine Kaste von Privilegierten dar. Es tut dem alleinigen Priestertum Christi ebensowenig Eintrag wie dem Priestertum der Gläubigen. Doch steht es im Dienste des einen wie des anderen und ist eine jener zahlreichen Formen untergeordneten Mittlertums die dem Volke Gottes eigen sind. Amt