MENSCH

Die Elemente einer biblischen Anthropologie sind in den verschiedenen Artikeln über Seele Herz Fleisch Leib Geist enthalten. Nach dieser synthetischen Auffassung, die sich von der heute allgemein verbreiteten Vorstellung so sehr unterscheidet, nach der man im Körper und in der Seele die beiden Bestandteile des Menschen erblickt, kommt der Mensch in seinen verschiedenen Aspekten voll und ganz zum Ausdruck. Er ist Seele, sofern ihn der Geist des Lebens beseelt; das Fleisch kennzeichnet ihn als vergängliche Kreatur; der Geist bedeutet sein Geöffnetsein für Gott; der Leib aber bestimmt ihn nach außen hin. Zu diesem ersten Unterschied zwischen den beiden Auffassungen kommt noch eine zweite, noch tiefer greifende. In der Perspektive der griechischen Philosophie geht es um die Analyse des Menschen als jenes Mikrokosmos, der zwei Welten in sich vereinigt, die geistige und die materielle Welt; die Bibel aber betrachtet den Menschen von ihrem theologischen Standpunkt aus nur in seinem Stehen zu Gott, dessen Ebenbild er ist. Sie verschließt sich nicht in eine natürliche, in sich abgeschlossene Welt, sondern weitet den Blick auf die Dimensionen der Geschichte, einer Geschichte, deren Ersthandelnder Gott ist; jener Gott, der den Menschen geschaffen hat und selbst Mensch geworden ist, um ihn zu erlösen. Auf diese Weise verbindet sich die Anthropologie, die schon an eine Theologie geknüpft ist, untrennbar mit einer Christologie. Sie wird in bestimmten bevorrechteten Augenblicken der Offenbarung, die das verschiedenartige Verhalten des Menschen im Verlaufe der Geschichte wie in Brennpunkten zusammenfassen, erkennbar. So tritt zur Zeit der Propheten Adam und der Knecht Jahves hervor; zur Zeit der Erfüllung Jesus Christus; zur Zeit des Geschichtsablaufes der Sünder und der neue Mensch. Der wahre Typ des lebendigen Menschen ist also nicht Adam, sondern Jesus Christus; nicht jener, der aus der Erde gebildet wurde, sondern jener andere, der vom Himmel herabgestiegen ist; oder besser gesagt, es ist der von Adam vorgebildete Jesus Christus, der im irdischen vorgezeichnete himmlische Adam.

I. Nach dem Bilde Gottes

1. Der irdische Adam. Das zweite Kapitel der Genesis betrifft nicht nur die Geschichte eines Menschen, sondern die der gesamten Menschheit, wie schon der Ausdruck Adam nahe legt, der soviel wie Mensch bedeutet; nach semitischer Auffassung trägt der Ahne eines Geschlechtes das ,,aus seinen Lenden hervorgegangene" Kollektiv in sich; in ihm kommen seine sämtlichen Nachkommen real zum Ausdruck: sie sind in seinem Leibe mitenthalten; das ist das, was man als corporate personality, als korporative Persönlichkeit, bezeichnet hat. In Genesis 2 scheint der Mensch in Adam in seinen drei wesentlichen Dimensionen auf: in seiner Bezogenheit auf Gott, auf die Erde, auf seine Brüder.

a) Der Mensch und sein Schöpfer. Adam ist weder ein von seiner Höhe herabgestürzter Gott noch ein Geistteilchen, das vom Himmel herab in einen Körper gefallen ist; er erscheint als freie Kreatur, in beständiger und wesentlicher Beziehung zu Gott. Dies zeigt schon seine Herkunft an. Er ist zwar aus der Erde hervorgegangen, beschränkt sich aber nicht auf sie. Seine Existenz hängt an jenem Geiste des Lebens, den Gott ihm einhaucht. Dadurch wird er zur lebenden Seele, d. h. zu einem persönlichen, zugleich aber auch zu einem in Abhängigkeit von Gott stehenden Wesen. Die ,,Religion" kommt bei ihm nicht als Ergänzung zu einer bereits bestehenden menschlichen Natur hinzu, sie gehört von allem Anfang an zu seiner ureigensten Struktur. Vom Menschen reden und dabei von seiner Bezogenheit auf Gott absehen wäre folglich ein Nonsens.

Zu jenem Hauche, durch den der Mensch in seinem Wesen konstituiert wird, fügt Gott sein Wort hinzu, und dieses erste Wort nimmt die Form eines Verbotes an: ,,Vom Baume der Erkenntnis des Guten und des Bösen sollst du nicht essen; denn an dem Tage, da du davon äßest, wirst du sicher sterben" (Gn 2, 16f). Auf diese Weise bleibt der Mensch auch im Verlaufe seiner Existenz an seinen Schöpfer durch den Gehorsam gegen seinen Willen gebunden. Dieses Gebot erscheint ihm als Interdikt, als Schranke. De facto aber war es zu seiner Selbstverwirklichung notwendig; denn es ließ den Menschen begreifen, dass er nicht Gott ist, dass er von Gott abhängt, der ihm das Leben gibt und den Hauch, der ihn belebt, ohne dass er sich dessen bewusst wird.

Die Beziehung, die den Menschen mit dem Schöpfer verbindet, ist also eine Abhängigkeit vitaler Natur, die in Form des Gehorsams zum Ausdruck kommt. Solcherart ist das Gesetz das dem Menschen ins Herz geschrieben ist (Röm 2, 14f), das Zugegensein des lebendigen Gottes, der mit seiner Kreatur Zwiesprache hält.

b) Der Mensch und das Universum. Gott hat den Menschen in eine schöne und gute Schöpfung hineingestellt (Gn 2, 9), auf dass er sie bebaue und pflege. Er führt Adam die Tiere zu, weil er will, dass dieser seine UEberlegenheit ihnen gegenüber dadurch zeige, dass er sie benennt ( Name 2, 19f; vgl. 1, 28f) zum Zeichen, dass die Natur nicht vergötzt werden darf, sondern beherrscht und untertan gemacht werden muss. Die Pflicht der Bearbeitung der Erde löst nicht die Pflicht des Gehorsams gegen Gott ab, sondern ist unlösbar mit dieser gegeben. Der erste Schöpfungsbericht bezeugt dies auf seine Art und Weise: der siebte Tag, der Tag der Ruhe bestimmt das Maß der menschlichen Arbeit denn das Werk der Hände des Menschen soll das Werk des Schöpfers zum Ausdruck bringen.

c) Der Mensch in der Gemeinschaft. Endlich ist der Mensch ein soziales Wesen, und zwar von Natur aus (vgl. Fleisch , nicht kraft eines Gebotes, das ihm von außen her auferlegt würde. Die grundlegende Verschiedenheit der Geschlechter ist gleich zeitig Typus und Quelle des Lebens in der Gemeinschaft, das nicht auf der Gewalt, sondern auf der Liebe gründet. Gott hat diese Beziehung als eine gegenseitige Hilfe gewollt; und wenn der Mann erkennt, dass Gott ihm in der Frau den Ausdruck seiner selbst zugeführt hat, bereitet er sich zu jenem gefahrvollen Hinausgehen aus sich selbst, das die Liebe darstellt. Jede Begegnung mit dem Nächsten findet in dieser ersten Beziehung ihr Ideal, so sehr, dass Gott selbst den mit seinem Volk eingegangenen Bund im Bilde eines bräutlichen Verhältnisses zum Ausdruck bringt.

Mann und Frau standen sich unbekleidet gegenüber: ,,Sie waren nackt, ohne sich voreinander zu schämen", ein bezeichnender Zug: Es lag noch kein Schatten auf der sozialen Beziehung, weil die Gemeinschaft mit Gott noch unbelastet war und in Herrlichkeit erstrahlte. Deshalb empfand der Mensch auch keine Furcht vor Gott, es herrschte Frieden zwischen ihm und demjenigen, der sich im Garten erging, um freundschaftlich mit den Menschen zu verkehren.

d) Nach dem Bilde Gottes. Der priesterliche Bericht (Gn 1) fasst die Aussagen des Jahvisten dahingehend zusammen, dass er aufweist, dass die Erschaffung des Menschen der des Weltalls die Krone aufsetzt, und das Ziel aufleuchten lässt, das Gott erstrebt hat: ,,Lasst uns den Menschen machen nach unserem Bild und Gleichnis ... Seid fruchtbar.. . Macht euch die Erde untertan und seid Herren über das Getier" (Gn 1, 26ff). Der Mensch, der nach dem ( Eben ) Bilde Gottes geschaffen ist, kann mit ihm in ein Zwiegespräch treten; er ist nicht Gott, er ist von Gott abhängig; er steht zu Gott in einem Verhältnis, das dem eines Kindes zu seinem Vater ähnlich ist (Gn vgl. 5, 3); zwar mit dem Unterschied, dass das Bild nicht unabhängig von dem bestehen kann, den es zum Ausdruck bringen soll, wie der Ausdruck ,,Hauch" im Schöpfungsbericht besagt. Der Mensch übt seine Aufgabe, Bild zu sein, in zwei wesentlichen Tätigkeiten aus: Als Bild der göttlichen Vaterschaft soll er sich vermehren, um die Erde zu erfüllen; als Bild Gottes des Herrn soll er die Erde seiner Herrschaft unterwerfen. Der Mensch ist der Herr der Erde, er ist Gegenwart Gottes auf Erden.

2. Der himmlische Adam. Solcherart ist der Plan Gottes. Doch findet dieser Plan nur in Jesus Christus, dem Sohne Gottes, seine vollkommene Verwirklichung. Christus erbt die Attribute der Weisheit er ist ein ,,Abglanz des ewigen Lichtes, ein makelloser Spiegel des göttlichen Wirkens, ein Abbild seiner Güte" (Weish 7, 26). Wenn Adam nach dem Bilde Gottes geschaffen wurde, so ist Christus allein ,,das Bild Gottes" (2 Kor 4, 4; vgl. Hebr 1, 3). Der hl. Paulus führt aus: ,,Er ist das Bild des unsichtbaren Gottes, der Erstgeborene vor aller Schöpfung; denn in ihm wurde alles erschaffen, das, was im Himmel, und das, was auf Erden ist ... alles ist durch ihn und auf ihn hin erschaffen. Er ist vor allem, und alles hat in ihm Bestand; er ist auch das Haupt des Leibes, d.h. der Kirche" (Kol 1, 15-18). Hier begegnet uns neuerdings die dreifache Dimension Adams in ebenso eindeutiger wie erhabener Form.

a) Der Sohn vor dem Vater. Jenes Bild Gottes, von dem der hl. Paulus spricht, ist der Sohn Gottes selber (Kol 1, 13). Er ist nicht nur das sichtbare Bild des unsichtbaren Gottes, er ist der in steter Einheit mit seinem Vater wesende Sohn Sagt er doch von sich selbst: ,,Der Sohn kann nichts aus sich selbst tun, sondern nur, was er den Vater vollbringen sieht ... . Denn ich suche nicht meinen Willen, sondern den Willen dessen, der mich gesandt hat" (Jo 5, 19f. 30; vgl. 4, 34). Was Adam hätte sein sollen: eine Kreatur, die zu Gott in einer beständigen Beziehung kindlicher Abhängigkeit stand, das verwirklichte Jesus in vollkommener Weise. Wer ihn sieht, sieht den Vater (14, 9).

b) Christus und das All. Der Mensch vollbringt das Werk seiner Hände; Jesus vollbringt das des Vaters: ,,Mein Vater wirkt ohne Unterlass, und so wirke auch ich" (Jo 5, 17). Nun aber ist dieses Werk in Wirklichkeit die Schöpfung selbst: ,,Alles ist durch ihn geschaffen worden"; unter seinem Blick wird die Schöpfung lebendig und zum Gleichnis des Himmelreiches. Genauso wie im Schöpfungsbericht, der ganz auf den Menschen ausgerichtet ist, ,,ist alles auf ihn hin geschaffen worden"; denn seine Herrschaft erstreckt sich nicht nur auf die Tiere, sondern auf jegliche Kreatur.

c) Christus und die Menschheit. Endlich ist er auch das ,,Haupt des Leibes". Das besagt zunächst, dass er der Lebensspender, der ,,zweite Adam" ist (1 Kor 15, 45), jener himmlische Adam, dessen Bild wir nachgestaltet werden müssen (15, 49). Er ist das Haupt jener Familie, die die Kirche als vollkommene menschliche Gesellschaft darstellt. Ja noch mehr: Er ist das einigende Prinzip jener Gemeinschaft, die die Menschen bilden (Eph 1, 10).

Adam erhält also den ganzen Sinnanspruch seines Soseins und seines Daseins erst in Jesus Christus, dem Sohne Gottes, der Mensch geworden ist, damit wir Kinder Gottes würden (Gal 4, 4f).

II. Auf dem Wege über das entstellte Bild

Jenes Ideal, das die Schöpfung festgelegt hat und auf das man sich stets beziehen muss, kann nicht mehr erreicht, ja nicht einmal mehr unmittelbar erstrebt werden. Nun muss der Mensch aus jenem verstümmelten Bild, das der Sünder darstellt, zum Idealbild des Knechtes Gottes werden. Das sind die neuen Voraussetzungen für den Lebensverlauf des konkreten Menschen.

1. Der sündig gewordene Adam. Der Verfasser von Gn 3 wollte nicht das Bild einer Niederlage zeichnen, sondern den Sieg nach dem Kampfe ankündigen. Bevor Gott jene Veränderung ausspricht, die den Menschen in seiner dreifachen Dimension getroffen hat, legt er in sein Herz einen Samen der Hoffnung: Gewiss wird der Feind der Ferse der Nachkommenschaft des Weibes nachstellen, doch wird diese der Schlangenbrut den Kopf zertreten (Gn 3, 15). Dieses Protoevangelium verleiht jenen dunklen Ankündigungen, die darauf folgen und den Menschen des Endsieges Gottes versichern, erst ihre Farbe.

a) Spaltungen in der menschlichen Familie. Was der sündig gewordene Adam zuerst feststellt, ist seine Nacktheit (Gn 3, 7. 11). Was die Scheidung der Wesen symbolisierte, wurde nun Wirklichkeit: Auf die Frage Gottes zeigt Adam durch die Anklage, die er gegen sein Weib erhebt, dass er sich von ihr distanziert (Gn 3, 12). Auf das hin kündigt Gott den beiden an, dass ihre Beziehungen von nun an unter dem Zeichen des unwiderstehlichen Instinktes stehen werden: der Begierde und der Beherrschung, die in die Schmerzen der Geburt ausmünden werden (3, 16). Die folgenden Kapitel der Genesis zeigen, welchen Widerhall diese erste Spaltung gefunden hat, von den feindlichen Brüdern Kain und Abel angefangen (Gn 4) bis zu den Menschen, die sich in Babel nicht mehr verstanden haben (Gn 11, 1-9). Die heilige Geschichte ist eine einzige Kette von Spaltungen, eine Aufeinanderfolge von Kriegen zwischen dem Volke Gottes und den Heidenvölkern zwischen den einzelnen Angehörigen dieses Volkes selbst, zwischen dem Reichen und dem Armen ... Doch bleibt die Verheißung des Sieges gleich einem im Dunkel der Nacht aufleuchtenden Morgenrot bestehen, und die Propheten werden nicht müde, jenen Friedensfürsten anzukündigen, der die Menschen wieder miteinander versöhnen wird (Is 9, 5f ...).

b) Das All als Feind des Menschen. Die Schuld Adams hatte zur Folge, dass die Erde fortan unter einem Fluche steht. Der Mensch soll sein Brot nicht mehr als eine mühelos geschenkte Frucht der Erde genießen, sondern als Lohn für seine harte Arbeit, im Schweiße seines Angesichtes (3, 17f). Die Schöpfung fiel also gegen ihren Willen der Verderbnis anheim (Röm 8, 20). Statt sich mühelos unterwerfen zu lassen, lehnt sie sich nun gegen den Menschen auf. Gewiss hätte es auch sonst Erdbeben gegeben und hätte sie auch sonst Dornen getrieben. Doch bedeuten diese Dornen und diese Drangsale nun nicht mehr bloß, dass die Erde hinfällig ist, sondern auch, dass der Mensch ein Sünder ist. Und doch künden die Propheten einen paradiesischen Zustand an (Is 11, 6-9) und offenbaren dadurch, wie lebensmächtig die Natur im Menschen geblieben ist, so wie sie aus den Händen des Schöpfers hervor gegangen ist; die Hoffnung ist nicht gestorben (Röm 8, 20).

c) Der dem Tode verfallene Mensch. ,,Du bist Staub und sollst zum Staube zurückkehren" (Gn 3, 19). Statt das göttliche Leben als ein Geschenk zu empfangen, wollte Adam selbst über sein Leben verfügen und durch das Essen der Frucht des Baumes zu einem Gotte werden. Durch diesen Ungehorsam hat sich der Mensch den Weg zur Quelle des Lebens versperrt und ist sterblich geblieben. Während der Tod ein müheloses Eingehen in Gott dargestellt hätte, ist er nicht einmal mehr ein bloßes Naturphänomen: zum Schicksal geworden, ist er nunmehr ein Zeichen der Strafe ein Zeichen des ewigen Todes. Dasselbe symbolisiert auch die Verbannung ( Exil aus dem Paradiese. Der Mensch, der das innere Gesetz mit Füßen getreten hat (Theo-nomie), ist nun sich selbst, seiner trügerischen Auto-nomie überlassen, und die darauf aufbauende Geschichte erzählt von den stets sich wiederholenden Misserfolgen dessen, der Gott gleich zu werden gedachte, aber ein Sterblicher blieb. Und dennoch verflüchtigt sich der Traum von einem Leben der Fülle nicht. Gott gibt dem Menschen ein Mittel in die Hand, das ihn den Weg des Lebens wieder finden lässt, sein Gesetz als Quelle der Weisheit für jenen, der es in die Tat umsetzt. Doch erscheint es ihm nunmehr, da er es aus dem Herzen verdrängt hat, als etwas von außen her Auferlegtes (Hetero-nomie).

d) Spaltung des Gewissens. Nun aber bewirkt dieses Gesetz, das wohl imstande ist, aufzuzeigen, wo das Heil ist, nicht aber imstande, es zu vermitteln, im Menschen eine Spaltung, die tödlich und heilsam zu gleich ist. Auf einen Adam, dem die Gemeinschaft mit dem Schöpfer die innere Einheit verliehen hatte, ist ein Adam gefolgt, der sich vor Gott fürchtet und sich vor ihm verbirgt (Gn 3, 10). Diese Angst, die mit der echten Gottes- Furcht nichts mehr zu tun hat, wirkt ansteckend; sie zeigt die Spaltung des Gewissens auf.

Nur ein Mensch, der seine innere Einheit wiedergefunden hat, vermag dieses innere Gespaltensein zu erfassen und seiner Herr zu werden. Der hl. Paulus hat dem, vom Heiligen Geist erleuchtet, Ausdruck verliehen. Im Römerbrief beschreibt er das der Macht der Sünde ausgelieferte Ich, das jenes Geistes entbehrt, dessen er aber nicht entraten kann. Gleich einem Enthaupteten, der am Leben geblieben ist, ist er sich seines unerträglichen Zustandes bewusst: ,,Ich bin von Fleisch, an die Macht der Sünde verkauft. Mein Tun und Lassen ist mir unverständlich; denn nicht was ich will, vollbringe ich, sondern was ich hasse, das tue ich" (Röm 7, 15). Ohne dass der Mensch aufhörte, in seinem Innern mit dem Gesetz Gottes zu sympathisieren, muss der Mensch, der der Sünde Einlass gewährt hat, es erleben, dass das Fleisch seinen Sinn zu einem ,,fleischlichen" macht (Kol 2, 18), sein Herz >> verhärtet (Eph 4, 18), seinen Leib in einer Weise tyrannisiert, dass er böse Werke vollbringt (Röm 8, 13). Auf diese Weise scheint er unrettbar dem Tode verfallen zu sein. Doch ist dem nicht so, denn ein Akt des Glaubens vermag den Sünder der Herrschaft des Fleisches zu entreißen. Bis zu diesem Glaubensakt aber verbleibt der Sünder in einem Zustande der Entfremdung. Es fehlt ihm sein Einheits- und Persönlichkeitsprinzip: der Heilige Geist Durch den Mund des hl. Paulus richtet er an den Erlöser denselben Ruf, dessen Echo durch das gesamte Alte Testament hindurchklingt: ,,Ich unglückseliger Mensch! Wer wird mich von diesem Leibe befreien, der mich dem Tode weiht?" (Röm 7, 24.)

Mit diesem Ruf beschließt der Sünder seinen Weg. Nachdem er sich geweigert hat, das Leben als ein Geschenk entgegenzunehmen, nachdem er sein Unvermögen eingesehen hat, sich seiner aus eigener Kraft zu bemächtigen, wendet er sich schließlich demjenigen zu, von dem die Gnade kommt. Damit hat er die grundlegende Haltung der Kreatur wiedergefunden; das nunmehr beginnende Zwiegespräch aber ist das eines Sünders mit seinem Erlöser.

2. Der Knecht Gottes. Diesen Erlöser hat der hl. Paulus nach dem Vorbild der Urgemeinde von Isaias unter den Zügen des Gottes- Knechtes angekündigt gesehen. Angesichts des Ostertriumphes haben sich die Christen nicht irgendeiner grandiosen Beschreibung des Messias Königs oder des verherrlichten Menschensohnes zugewendet. Sie bedurften keines UEbermenschen, sondern jenes Menschen, der die Sünde der Welt trug und sie hinwegnahm.

a) Gott getreu bis in den Tod. An seinem Knechte hat Gott Wohlgefallen gefunden und ,,hat seinen Geist auf ihn gelegt, auf dass er in Treue den Völkern das Recht bringe" (Is 42, 1ff). Sosehr es den Anschein hat, als seien alle seine Mühen und Anstrengungen vergeblich, weiß er doch, dass Gott ihn unaufhörlich verherrlicht (49, 4f); er ist gehorsam gleich einem Jünger, dem Gott Morgen für Morgen das Ohr auftut; er leistet keinen Widerstand, selbst wenn man ihm Schimpf antut, denn sein Vertrauen auf Gott ist unerschütterlich (50, 4-7). Und wenn die Stunde des Opfers kommt, ,,fügt er sich willig, da er gepeinigt wird; tut seinen Mund nicht auf gleich einem Lamm, das man zur Schlachtbank führt" (53, 7). Er beugt sich in vollkommenem Gehorsam dem Willen des Herrn, der ihm alle Vergehen der Menschen auflädt, und gibt sich selber dem Tode hin (53, 12). Das ist jener getreue Knecht, der letzte Rest der Menschheit, der durch seinen Gehorsam das von Adam zerrissene Band wieder knüpft und durch die Annahme des Todes den absoluten Charakter dieses Bandes offenbar macht.

b) Der Mann der Schmerzen. Der sündige Adam musste es erleben, dass er von Mühen und Leiden heimgesucht wurde, der Knecht aber trägt unsere Leiden und unsere Schmerzen (Is 53, 3). Doch damit nicht genug: Derjenige, der über die Tiere herrschen sollte, ist ihnen ähnlich geworden, ,,er hat kein menschliches Aussehen mehr" (Is 52, 14), er ist ,,ein Wurm, kein Mensch mehr" (Ps 22, 7).

c) Der menschlichen Gesellschaft gegenüber. ,,Gegenstand der Verachtung und Auswurf der Menschheit" (Is 53, 3), wird der Knecht schließlich von allen verworfen; seine Zeitgenossen sehen darin nur einen völligen Zusammenbruch (Is 52, 14). Gott aber lässt im Herzen des Propheten eine Erkenntnis aufleuchten, zu der sich das ganze Volk bekennt ,,Er wurde durchbohrt ob unserer Missetaten, zerschlagen wegen unserer Vergehen... Auf ihm liegt die Strafe, die uns den Frieden bringt; durch seine Striemen ward uns Heilung" (53, 5). Der Prophet erahnt, dass ein Mensch kommen würde, der für die Sünder eintreten und die Vielen rechtfertigen würde (53, 11). Alles deutet darauf hin, als sollte der Mensch zugeben müssen, dass ihn die Sünde besiegt hat, als sollte er auf seine eigene Gerechtigkeit verzichten und Gott allein das Handeln überlassen müssen; erst im furchtbarsten Leid, in der Ablehnung durch die Menschen wird das göttliche Handeln wirksam; nun ist das Leben nicht mehr die Frucht einer Aneignung, sondern die stets neue Frucht eines unverdienten Geschenkes.

d) Der Knecht Jesus Christus. Die Prophetie vom Knecht liegt zahlreichen urchristlichen Hymnen zugrunde. Sie fassen das Dasein Jesu in ein Diptychon zusammen, das die Not und die Größe des Menschen zeigt: seine Erniedrigung und seine Erhöhung (Phil 2, 6-11; Hebr 1, 3; Röm 1, 3f usw.). Derjenige, dessen Speise sein ganzes Leben hindurch der Wille seines Vaters gewesen war, hat Knechtsgestalt angenommen, weit davon entfernt, sein gottgleiches Sein mit Gewalt festzuhalten. Den Menschen gleich geworden, erniedrigte er sich noch tiefer, indem er gehorsam wurde bis zum Tode, ja bis zum Tode am Kreuze. Durch seinen vollkommenen Gehorsam hat sich Jesus als der wahre Adam erwiesen, der in die vollkommene Einsamkeit gegangen ist, um zum Vater des neuen Geschlechtes, zur Quelle des immerwährenden Lebens zu werden. Ihn hat Pilatus, in das Spottgewand eines Königs gehüllt, den Menschen vom erhöhten Platz aus gezeigt mit den Worten: ,,Seht den Menschen!" (Jo 19, 5), und damit den Weg gewiesen, der zur Herrlichkeit führt. In diesem durch seine Sünde entstellten Bilde soll der Mensch den Sohn Gottes erkennen, der ,,zur Sünde gemacht (worden ist), damit wir in ihm Gerechtigkeit Gottes würden" (2 Kor 5, 21).

III. Nach dem Bilde Christi

Der sündig gewordene Adam kann nur dann wieder voll und ganz zu dem werden, was er von Rechts wegen ist - ,,nach dem Bilde Gottes" -, wenn er nach dem Bilde Christi neu gestaltet wird, aber nicht einfachhin nach dem Bilde des göttlichen Wortes, sondern nach dem des Gekreuzigten, des Siegers über den Tod. Die im Kapitel 2 der Genesis verzeichneten Werte sind, auf die Person Christi übertragen, wiederhergestellt.

1. Der Glaubensgehorsam gegen Jesus Christus. Von nun an hat der Mensch seinen Gehorsam und seine Huldigung nicht mehr unmittelbar Gott zu erweisen, auch nicht dem Gesetz, das dem sündigen Menschen aus Erbarmung gegeben worden war, sondern demjenigen, der gekommen ist, um menschliche Gestalt anzunehmen (vgl. Röm 10, 5-13); das einzige Werk, das geleistet werden muss, besteht im Glauben an denjenigen, den Gott gesandt hat (Jo 6, 29). Denn ,,es gibt nur einen Mittler zwischen Gott und den Menschen, den Menschen Christus Jesus" (1 Tim 2, 5). Und es gibt nur einen Vater, dem die Glaubenden entgegengeführt werden, damit sie durch den Sohn das Leben in Fülle und für immer hätten.

2. Der Primat Christi. Wenn Jesus das Leben des Vaters schenkt, so deshalb, weil er dessen Prinzip ist, ,,der Erstgeborene von den Toten ... Denn es hat Gott gefallen, die ganze Fülle in ihm wohnen zu lassen und durch ihn das All zu versöhnen auf ihn hin, Frieden stiftend durch sein Kreuzesblut" (Kol 1, 18ff). Jene Spaltungen, von denen die sündige Menschheit betroffen worden war, werden nicht übersehen, doch sind sie nunmehr überwunden und auf ein neues Sein hingeordnet, dem eine neue Dimension eignet, auf das Sein in Christus: ,,Da heißt es nicht Jude und nicht Hellene, nicht Sklave und nicht Freier, nicht Mann und nicht Frau; denn ihr seid alle eins in Christus Jesus" (Gal 3, 28). Der Unterschied zwischen den Geschlechtern war zu einem Gegensatz geworden, zu dem noch die sozialen und die rassischen Gegensätze hinzugekommen waren. Durch die Offenbarung der christlichen Dimension ist der Mensch zum Beherrscher der menschlichen Situationen geworden: Freiheit oder Sklaverei Ehe oder Jungfräulichkeit (1 Kor 7), jedes von ihnen hat einen Sinn, und jedes von ihnen hat seinen Wert in Christus Jesus.

Die Verwirrung der Sprachen die die Spaltung und Zerstreuung der Menschen versinnbildete, ist durch die Sprache des Geistes überwunden, den uns Christus unaufhörlich verleiht; und diese Liebe findet ihren Ausdruck in der Vielfalt der Charismen zur Verherrlichung des Vaters.

3. Der neue Mensch ist zunächst Christus selbst (Eph 2, 15), aber auch jeder Glaubende im Herrn Jesus. Sein Dasein ist kein Unterlegensein mehr gegenüber dem Fleische das ihn beherrscht hatte, sondern der beständige Sieg des Geistes über das Fleisch (Gal 5, 16-25; Röm 8, 5-13). Durch die Verbundenheit mit dem, der einen ,fleischlichen Leib" angenommen hatte (Kol 1, 22), ist der Leib des Christen der Sünde abgestorben (Röm 8, 10), da er in der Taufe in den Tod Christi einbezogen wurde (Röm 6, 5f); deshalb wird sein armseliger Leib zu einem verherrlichten Leibe (Phil 3, 21), zu einem ,,geistigen Leibe" werden (1 Kor 15, 44). Sein Sinn ist erneuert, umgestaltet (Röm 12, 2; Eph 4, 23); er weiß alles im Lichte des Geistes zu beurteilen (Röm 14, 5), dessen Erfahrung er verstandesmäßig erfasst und zum Ausdruck bringt: besitzt er nicht den Sinn Christi selbst? (1 Kor 2, 16.) Wenn der Mensch kein bloßer Sterblicher mehr ist, weil ihm der Glaube einen Keim der Unsterblichkeit ins Herz gelegt hat, so muss er doch in Verbundenheit mir Jesus Christus, der ein für allemal gestorben ist, unablässig dem ,,alten Menschen" absterben; sein Leben ist ein neues Leben. Auf diese Weise ,,werden wir alle, die wir unverhüllten Antlitzes die Herrlichkeit des Herrn widerspiegeln, zum selben Bilde umgewandelt von Herrlichkeit zu Herrlichkeit, dem Wirken des Herrn gemäß, der Geist ist" (2 Kor 3, 18). Der neue Mensch muss unablässig voranschreiten, indem er sich jenes einzige Bild, das Christus ist, immer tiefer einprägt. Auf dem Weg über das entstellte Bild des alten Menschen tritt das herrliche Bild des neuen Menschen, unseres Herrn Jesus Christus, immer deutlicher hervor; dadurch ,,erneuert sich" der Mensch ,,nach dem Bilde seines Schöpfers" (Kol 3, 10).

4. Endlich bewahrt aber auch die Schöpfung die ohne ihr Zutun der Nichtigkeit unterworfen wurde und bis zur Stunde mit uns seufzt und in Geburtswehen liegt, die Hoffnung von der Knechtschaft der Verderbnis befreit zu werden und an der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes Anteil zu erhalten. Wenn auch die Arbeit ihren mühevollen Charakter, der eine Folge der in die Welt eingebrochenen Sünde ist, beibehält, so ist sie doch durch die Hoffnung, in die Verklärung der Endherrlichkeit mit einbezogen zu werden, wieder aufgewertet worden (Röm 8, 18-30). Und wenn dereinst auch der letzte Feind, der Tod, vernichtet sein wird, wird der Sohn die Herrschaft Gott dem Vater übergeben, und Gott wird alles in allem sein (1 Kor 15, 24-28). Adam Ebenbild Leib Menschensohn Seele Sohn