LIEBE

,,Gott ist die Liebe" Liebet einander!" Bevor der Mensch zu diesem Höhepunkt der neutestamentlichen Offenbarung gelangte, musste er erst jene allzu menschlichen Vorstellungen läutern, die er sich von der Liebe machte, um das Geheimnis der göttlichen Liebe in sich aufnehmen zu können - dies aber geschah auf dem Weg über das Kreuz. Bezeichnet doch das Wort ,,Liebe" eine Fülle verschiedenster Dinge gegenständlicher oder geistiger, leidenschaftlicher oder verstandesmäßiger, ernster oder leichtfertiger, erhebender oder zerstörender Art. Man liebt die Kunst, ein Tier, einen Arbeitskameraden, einen Freund, seine Verwandten, seine Kinder, eine Frau. Dem biblischen Menschen ist all dies nicht unbekannt. Die Genesis (vgl. Gn 2, 23f; 3, 16; 12, 10-19; 22; 24; 34), die Geschichte Davids (vgl. 1 Sm 18, 1ff; 2 Sm 3, 16; 12, 15-25; 19, 1-5), das Hohelied sind nur Beispiele, die die Gefühle all dieser verschiedenen Arten bezeugen. Nicht selten schleicht sich dabei auch die Sünde ein, doch verbirgt sich hinter meist nüchternen und diskreten Worten auch nicht selten Charaktergröße, sittliche Höhe und Edelsinn.

Israel, das für verstandesmäßige Abstraktion nicht allzu viel Begabung zeigt, gibt den Dingen oft eine gemüthafte Färbung: erkennen bedeutet für es bereits lieben; seine Treue gegenüber den sozialen und familiären Bindungen (hesed) ist voll innerer Wärme und hochherziger Selbstverständlichkeit (vgl. Gn 24, 49; Jos 2, 12ff; Ruth 3, 10; Zach 7, 9). ,,Lieben" (hebr. àhab; griech. agapàn) hat in der Bibel ebenso viele Tönungen wie im Französischen und im Deutschen.

Mit einem Wort, der biblische Mensch kennt den Wert der gemüthaften Liebe (vgl. Spr 15, 17), doch sind ihm auch deren Gefahren nicht unbekannt (Spr 5; Sir 6, 5-17). Zur Zeit, da der Begriff der Liebe in seine religiöse Psychologie Eingang gefunden hat, war dieser mit einer reichen und konkreten menschlichen Erfahrung beladen. Gleichzeitig aber warf er auch eine Reihe von Fragen auf. Kann sich ein so großer und reiner Gott so weit herablassen, den kleinen und sündhaften Menschen zu lieben? Und wenn sich Gott so weit herablässt, dass er den Menschen lieb gewinnt, wie vermag der Mensch auf diese Liebe eine Antwort der Liebe zu geben? Welcher Zusammenhang besteht zwischen der Liebe Gottes und der Liebe der Menschen? Alle Religionen bemühen sich auf ihre Art, diese Fragen zu beantworten, verfallen aber dabei in der Regel einem der beiden Extreme: entweder verbannen sie die göttliche Liebe in eine unzugängliche Sphäre, um die Distanz zwischen Gott und dem Menschen aufrechtzuerhalten, oder sie profanieren die Liebe Gottes zu einer rein menschlichen Liebe, um Gott den Menschen nahezubringen. Auf diese metaphysischen oder mystischen Fragen gibt die Bibel eine klare Antwort: Gott hat die Initiative zu einem Zwiegespräch der Liebe mit den Menschen ergriffen; im Namen dieser Liebe verpflichtet und lehrt er sie, einander zu lieben.

I. Das Zwiegespräch der Liebe zwischen Gott und dem Menschen

AT

Obwohl das Wort Liebe in den Schöpfungsberichten (Gn 1, 2-3) nicht vorkommt, lassen sie doch die Liebe Gottes in der Güte sichtbar werden, deren Gegenstand Adam und Eva sind. Gott will ihnen die Fülle des Lebens schenken, doch setzt diese Gabe eine freiwillige Unterwerfung unter seinen Willen voraus. Auf dem Umweg über sein Gebot beginnt Gott das Zwiegespräch der Liebe. Adam hat es abgebrochen, da er sich das, was ihm als Geschenk gegeben werden sollte, mit Gewalt anzueignen gedachte: er hat gesündigt. Auf das hin vertiefte sich das Geheimnis der Güte zur Barmherzigkeit gegen den Sünder durch die >> Verheißung des Heiles nach und nach sollten die Bande der Liebe, die Gott und Menschen verbinden, wieder geknüpft werden. Die Paradiesesgeschichte ist ein kurzer Abriss der ganzen Heilsgeschichte.

1. Freunde und Vertraute Gottes. Indem Gott den Abraham einen Heiden gleich den anderen (Jos 24, 2f), zu seinem Freunde berief (Is 41, 8), brachte er seine Liebe in Form einer Freundschaft zum Ausdruck; Abraham wird der Vertraute seiner Geheimnisse (Gn 18, 17). Dies aber wurde nur dadurch möglich, dass Abraham den Forderungen der göttlichen Liebe entsprach; er hat auf den Ruf Gottes hin seine Heimat verlassen (12, 1). Doch sollte er in das Geheimnis der Furcht Gottes, die Liebe ist, noch tiefer eindringen, denn er wurde dazu aufgerufen, seinen einzigen Sohn und mit diesem seine menschliche Liebe zum Opfer zu bringen: ,,Nimm deinen Sohn, den du lieb hast" (Gn 22, 2). Moses brauchte seinen Sohn nicht zu opfern; doch wird sein ganzes Volk durch den Widerstreit zwischen der göttlichen Heiligkeit und der Sünde in Frage gestellt; er hat sich zwischen Gott, dessen Gesandter er ist, und dem Volke, das er vertritt, zu entscheiden (Ex 32, 9-13). Wenn er die Treue bewahrt, so deshalb, weil er von seiner Berufung an (3, 4) bis zu seinem Tode nicht aufgehört hat, in der Vertrautheit mit Gott Fortschritte zu machen, und mit ihm sprach, wie man mit einem Freunde spricht (33, 11). Er hat die Offenbarung der unendlichen Zartheit der Liebe Gottes erhalten, einer Liebe, die, ohne von ihrer Heiligkeit etwas preiszugeben, Barmherzigkeit ist (34, 6f).

2. Die prophetische Offenbarung. Auch die Propheten sind Vertraute Gottes (Am 3, 7), von einem Gott persönlich geliebt, dessen Erwählung sie herausgreift (7, 15), der sie zuweilen in die Entscheidung hineinstellt (Jr 20, 7ff), aber auch mit Freude erfüllt (20, 11ff). Sie sind Zeugen des Dramas der Liebe und des Zornes Jahves (Am 3, 2). Osee und nach ihm Jeremias und Ezechiel offenbaren, dass Gott der Bräutigam Israels ist, das aber immer wieder untreu wird; diese leidenschaftliche und ausschließliche Liebe begegnet nur Undank und Verrat. Die Liebe aber ist stärker als die Sünde, wie viel Leid sie auch zu ertragen hat (Os 11, 8); sie verzeiht und schafft Israel ein neues Herz das zu lieben vermag (0s 2, 21f; Jr 31, 3. 20. 22; Ez 16, 60 bis 63; 36, 26f). Weitere Bilder, wie das des Hirten (Ez 34) oder des Weinstocks (Is 5; Ez 17, 6-10), sprechen die selbe göttliche Liebe und dasselbe Drama aus.

Das Deuteronomium, das vermutlich in dem Augenblick promulgiert wurde (2 Kg 22), da das Volk den Götzendienst der Liebe Gottes endgültig vorzuziehen schien, erinnert unablässig daran, dass die Liebe Gottes zu Israel eine ungeschuldete Liebe ist (Dt 7, 7f) und dass Israel seinen ,,Gott aus ganzem Herzen lieben" müsse (6, 5). Diese Liebe muss in Akten der Anbetung und des Gehorsams zum Ausdruck kommen (11, 13; 19, 9), die eine radikale Entscheidung, ein fühlbares Sichlosreißen voraussetzen (4, 9-28; 30, 15-20). Dies aber ist erst möglich, wenn Gott persönlich kommt, um das Herz Israels zu beschneiden und es zur Liebe befähigt (30, 6).

3. Einem persönlichen Zwiegespräch entgegen. Nach dem Exil entdeckt Israel, durch die Prüfung geläutert, dass sich Gott an das Herz jedes einzelnen wendet. Früher hatte man von der Liebe Jahves zur Gesamtheit des Volkes (Dt 4, 7) oder zu dessen Führern gesprochen (2 Sm 12, 24); jetzt aber weiß man, dass jeder Jude Gegenstand der göttlichen Liebe ist, vor allem aber der Gerechte (Ps 37, 25-29; 146, 8), der Arme und der Kleine (Ps 113, 5-9). Dies bringt das Hohelied in wundervoller Weise zum Ausdruck; in seinem Wechsel von Besitzen und Suchen vollzieht sich das Zwiegespräch der Liebe zwischen Jahve und Israel. Allmählich klingt sogar schon der Gedanke an, dass die Liebe Jahves über die Juden hinaus auch den Heiden (Jon 4, 10f), ja selbst jeglicher Kreatur gilt (Weih 11, 23-26).

In der Zeit, die dem Kommen Christi unmittelbar vorausging, wusste sich der fromme Jude (hebr. hásíd: Ps 4, 4; 132, 9. 16) von einem Gotte geliebt, dessen barmherzige Treue zum Bunde (Ps 136; Joel 2, 13), dessen Güte (Ps 34, 9; 100, 5) und dessen Gnade (Gn 6, 8; Is 30, 18) er besingt. Umgekehrt hebt er unablässig seine Liebe zu Gott (Ps 31, 24; 73, 25; 116, 1) und allem, was mit ihm in Verbindung steht, hervor: zu seinem Namen zu seinem Gesetz zu seiner Weisheit (Ps 34, 13; 119, 127; Is 56, 6; Sir 1, 10; 4, 14). Diese Liebe muss sich angesichts des Beispiels und des Druckes der Gottlosen oftmals bewähren (Ps 10; 40, 14-57; 73; Sir 2, 11 bis 17); diese Bewährung kann bis zum Martyrium gehen, so bei den makkabäischen Brüdern (2 Makk 7) oder bei Rabbi Akiba, der im Jahre 135 nach Christus für seinen Glauben starb: ,,Ich habe ihn aus meinem ganzen Herzen geliebt, wird er sagen, und aus meinem ganzen Vermögen; aber ich hatte noch nie Gelegenheit gehabt, ihn aus meiner ganzen Seele zu lieben. Nun ist dieser Augenblick gekommen." Als dieses edle Wort ausgesprochen wurde, war den Menschen die Volloffenbarung durch Jesus Christus bereits geschenkt worden.

NT

Die Liebe zwischen Gott und den Menschen hatte sich im Alten Testament durch eine Reihe von Tatsachen offenbart: in göttlichen Initiativen und Ablehnungen von seiten des Menschen, im Leid der zurückgewiesenen Liebe, in der Läuterung durch das Leid, um zur Höhe der Liebe empor zuwachsen und die Gnade dazu zu erhalten. Im Neuen Testament aber bringt sich die göttliche Liebe in einem einmaligen Geschehen zum Ausdruck, dessen Natur allein schon die Lage der Dinge völlig verändert: Jesus vollzieht in seinem gottmenschlichen Leben das Drama des Zwiegespräches der Liebe zwischen Gott und dem Menschen.

1. Die Gabe des Vaters. Das Kommen Jesu ist in erster Linie eine Tat des Vaters. Nach den Propheten und nach den Verheißungen des Alten Testaments ,,gedenkt Gott seiner Barmherzigkeit" (Lk 1, 54f; Hebr 1, 1) und gibt sich zu erkennen (Jo 1, 18); er offenbart seine Liebe (Röm 8, 39; 1 Jo 3, 1; 4, 9) in demjenigen, der nicht nur der erwartete Erlöser und Messias (Lk 2, 11) ist, sondern sein eigener Sohn (Mk 1, 11; 9, 7; 12, 6), der Vielgeliebte (Jo 3, 35; 10, 17; 15, 9; Kol 1, 13), jener, der mit ihm eins, der gleich ihm Gott ist (Jo 1, 1; vgl. 10, 30-38; 17, 21; Mt 11, 27).

Im Kommen Jesu drückt sich die Liebe des Vaters in unüberbietbarer Weise aus. Es stellt die Verwirklichung des Neuen Bundes und den Vollzug der Vermählung des Bräutigams mit der Menschheit auf ewig dar. Das Ungeschuldetsein von seiten Gottes, das von Anfang her gegeben war (Dt 7, 7f), erreicht seinen Höhepunkt in einer Gabe der jedes gemeinsame Maß mit dem Werte des Menschen fehlt (Röm 5, 6f; Tit 3, 5; 1 Jo 4, 10-19). Diese Gabe ist endgültig und geht über die irdische Existenz Jesu hinaus (Mt 28, 20; Jo 14, 18f); sie geht bis zum AEußersten, denn sie stimmt dem Tode des Sohnes bei, damit die Welt das Leben habe (Röm 5, 8; 8, 32) und wir Kinder ( Sohn Gottes würden (1 Jo 3, 1; Gal 4, 4-7). Wenn ,,Gott die Welt so sehr geliebt hat, dass er seinen eingeborenen Sohn dahingegeben hat" (Jo 3, 16), so deshalb, damit die Menschen das ewige Leben erlangen; jene aber, die den Glauben an den von Gott Gesandten verweigern, verurteilen sich selbst und lieben die Finsternis mehr als das Licht (3, 19). Die Entscheidung ist unausweichlich: Entweder wählt man die Liebe durch den Glauben an den Sohn oder den Zorn durch die Verweigerung des Glaubens (3, 36).

2. In Jesus hat sich die vollkommene Liebe geoffenbart. Fortan spielt sich das Drama der Liebe nicht nur gelegentlich der Begegnung mit Jesus, sondern auf dem Wege über seine Person ab. Bereits auf Grund seiner Existenz ist Jesus konkrete Offenbarung der Liebe; Jesus ist der Mensch der das Zwiegespräch des Sohnes mir dem Vater vollzieht und dafür vor den Menschen Zeugnis ablegt. Jesus ist jener Gott, der in voller Menschlichkeit seine Liebe lebt und deren glühenden Appell vernehmbar macht. In seiner Person als solcher liebt der Mensch Gott und wird der Mensch von Gott geliebt.

a) Das gesamte Leben Jesu bezeugt dieses doppelte Zwiegespräch. In voller Hingabe an den Vater von allem Anfange an (Lk 2, 49; vgl. Hebr 10, 5ff), in einem Leben des Gebetes und der Danksagung (vgl. Mk 1, 35; Mt 11, 25) und vor allem in der vollkommenen Gleichförmigkeit mit dem göttlichen Willen (Jo 4, 34; 6, 38) hört er beständig auf Gott (5, 30; 8, 26. 40), was ihm die Gewissheit gibt, von ihm erhört zu werden (11, 41f; vgl. 9, 31). Im Hinblick auf die Menschen aber hat er sein Leben restlos hingegeben, nicht nur für einige Freunde (vgl. Mk 10, 21; Lk 8, 1ff; Jo 11, 3. 5. 36), sondern für alle (Mk 10, 45); er zog umher, Wohltaten spendend (Apg 10, 38; Mt 11, 28ff), in völliger Selbstlosigkeit (Lk 9, 58), voll Verständnis für alle, auch, ja in ganz besonderer Weise für die Verachtetsten und Geringsten (Lk 7, 36-50; 19, 1 >> Mt 21, 31f); er erwählte ohne vorheriges Verdienst jene, die er wollte (Mk 3, 13), um sie zu seinen Freunden zu machen (Jo 15, 15f).

Diese Liebe aber fordert Gegenliebe. Das Gebot des Deuteronomiums bleibt in Kraft (Mt 22, 37; vgl. Röm 8, 28; 1 Kor 8, 3; 1 Jo 5, 2), doch ist es nur durch Jesus erfüllbar: Wer ihn liebt, liebt den Vater (Mt 10, 40; Jo 8, 42; 14, 21-24). Jesus lieben aber bedeutet letztlich sein Wort ohne Abstrich bewahren (Jo 14, 15. 21. 23), auf alles verzichten und ihm nachfolgen (Mk 10, 17-21; Lk 14, 25ff). Deshalb vollzieht sich im Verlaufe der Verkündigung des Evangeliums (Lk 2, 34) eine Scheidung zwischen denen, die diese Liebe, der gegenüber man nicht neutral bleiben kann (Jo 6, 60-71; vgl. 3, 18f; 8, 13-59; 12, 48), entweder annehmen oder ablehnen.

b) Am Kreuze offenbart die Liebe ihre Tiefe und ihre Dramatik in entscheidender Weise. Jesus musste leiden (Lk 9, 22; 17, 25; 24, 7. 26; vgl. Hebr 2, 8), um seinen Gehorsam gegen den Vater (Phil 2, 8) und seine Liebe zu den Seinen (Jo 13, 1) ganz zu offenbaren. In voller Freiheit (vgl. Mt 26, 53; Jo 10, 18), durch die Versuchung und das scheinbare Schweigen Gottes hindurch (Mk 14, 32-41; 15, 34; vgl. Hebr 4, 15), in letzter menschlicher Einsamkeit (Mk 14, 50; 15, 29-32), aber allen verzeihend und alle an sich ziehend (Lk 23, 28. 34. 43; Jo 19, 26), geht Jesus jenem einzigartigen Augenblick der ,,größten Liebe" entgegen (Jo 15, 13). In diesem Augenblicke gibt er Gott (Lk 23, 46) und allen Menschen ohne Ausnahme (Mk 10, 45; 14, 24; 2 Kor 5, 14f; 1 Tim 2, 5f) alles ohne Rückhalt hin. Durch das Kreuz wird Gott vollkommen >> verherrlicht (Jo 17, 4); ,,der Mensch Jesus" (1 Tim 2, 5) und mit ihm die gesamte Menschheit verdient von Gott ohne Rückhalt geliebt zu werden (Jo 10, 17; Phil 2, 9ff). Gott und Mensch verbinden sich gemäß dem letzten Gebete Jesu (Jo 17) zu einer Einheit Doch muss der Mensch eine so restlose und fordernde Liebe, die ihn zur Selbsthinopferung im Gefolge Christi führen muss (17, 19), in voller Freiheit annehmen. Er begegnet auf diesem Wege dem AErgernis des Kreuzes das nichts anderes ist als das AErgernis der Liebe. Hier wird die Gabe des Bräutigams für seine Braut in ihrer ganzen Größe offenbar (Eph 5, 25ff; Gal 2, 20), aber auch die ganze Größe der Versuchung zur Untreue für die Menschen.

3. Die allumfassende Liebe im Heiligen Geiste. Wenn Kalvaria der Ort der vollkommenen Liebe ist, ist die Art, wie es sie offenbart, eine entscheidende Prüfung und in der Tat verlassen selbst seine Freunde den Gekreuzigten (Mk 14, 50; Lk 23, 13 bis 24); denn die Annahme der göttlichen Liebe ist nicht Sache der physischen Begegnung oder menschlicher UEberlegung, mit einem Worte ,,der Erkenntnis dem Fleische nach" (2 Kor 5, 16); es bedarf dazu der Gabe des Heiligen Geistes, der im Menschen ein neues Herz schafft (vgl. Jr 31, 33f; Ez 36, 25ff). Dieser Geist, der am Pfingstfest ausgegossen wurde (Apg 2, 1-36), wie Christus verheißen hatte (Jo 14, 16ff; vgl. Lk 24, 49), ist seit dieser Stunde durch die Kirche (Eph 2,21f) in der Welt (Jo 14, 16) gegenwärtig und lehrt die Menschen, was Jesus ihnen gesagt hat (Jo 14, 26), indem er sie es von innen her, aus einer echten religiösen Erkenntnis heraus, erfassen lässt. Auf Grund dessen sind die Menschen, ob sie nun Zeugen des irdischen Lebens Jesu gewesen sind oder nicht, einander ohne Unterschied der Zeit und der Rasse gleich gestellt. Jeder Mensch bedarf des Heiligen Geistes, um ,,Vater" sagen (Röm 8, 15) und Christus verherrlichen zu können (Jo 16, 14). Auf diese Weise ist eine Liebe in uns ausgegossen (Röm 5, 5), eine Liebe, die uns drängt (2 Kor 5, 14), von der uns nichts mehr trennen kann (Röm 8, 35-39) und die uns auf die Begegnung mit jener schlechthinnigen Liebe vorbereitet, in der ,,wir erkennen werden, wie wir erkannt sind" (1 Kor 13, 12).

4. Gott ist die Liebe. Die Liebe zwischen Gott und dem Menschen hat ihre Quelle letztlich in jener ewigen Liebe des Vaters und des Sohnes (Jo 17, 24. 26), die auch die Liebe des Heiligen Geistes (2 Kor 13, 13), kurz, die ewige Liebe der Allerheiligsten Dreifaltigkeit ist. Aus dieser aber strömt jene Erkenntnis, die das allerletzte Wort bedeutet: ,, Gott ist - seinem innersten Wesen nach - Liebe" (1 Jo 4, 8. 16).

II. Die brüderliche Liebe

AT

Schon im Alten Testament wird das Gebot der Liebe zu Gott durch das ,,zweite Gebot" ergänzt: ,,Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst" (Lv 19, 18). Allerdings wird dieses Gebot weniger feierlich eingeschärft als das andere (vgl. Lv 19, 1-37 und Dt 6, 4-13), und das Wort ,, Nächster hat hierbei vermutlich einen ziemlich eng umgrenzten Sinn. Doch wird schon der Israelit aufgefordert, auf den ,,andern" Rücksicht zu nehmen. Schon in den ältesten Texten ist es eine Beleidigung Gottes, seinem Nächsten indifferent oder feindlich gegenüberzustehen (Gn 3, 12; 4, 9f), und das Gesetz fügt den Forderungen, die die Beziehungen zu Gott betreffen, jene anderen hinzu, die von den Beziehungen zu den Menschen handeln: so der Dekalog (Ex 20, 12-17) und das ,,Bundesgesetz", das eine Fülle von Vorschriften zum Schutze der Armen und Kleinen enthält (Ex 22, 20-26; 23, 4-12). Die gesamte prophetische Tradition (Am 1-2; Is 1, 14-17; Jr 9, 2-5; Ez 18, 5-9; Mal 3, 5) und die gesamte UEberlieferung der Weisen (Spr 14, 21; 1, 8-19; Sir 25,1; Weish 2, 10ff) gehen in dieselbe Richtung: Man kann Gott nicht gefallen, ohne die anderen Menschen, vor allem aber die verlassensten, die ,,geringfügigsten" zu respektieren. Niemals glaubte man, Gott lieben zu können, ohne sich um die Menschen zu kümmern: ,,Er übte Recht und Gerechtigkeit. . . Dem Geringen und Armen verhalf er zum Recht. Jawohl, das heißt mich erkennen " (Jr 22, 15f). Dieser Wahrspruch spricht unmittelbar von Josias, galt aber ganz Israel (vgl. Jr 9, 4).

Dass diese Pflicht eine Pflicht der ,,Liebe" sei, wird nicht oft ausdrücklich ausgesprochen (Lv 19, 18; 19, 34; Dt 10, 19). Doch wird das Gebot schon dort, wo von der Liebe zum Fremden die Rede ist, auf die Pflicht gegründet zu handeln, wie Jahve zur Zeit des Auszuges gehandelt hat: ,,Jahve liebt auch den Fremdling, in dem er ihm Nahrung und Kleidung gibt. Ihr sollt also den Fremdling lieben, denn auch ihr seid Fremdlinge im Lande AEgypten gewesen" (Dt 10, 18f). Den Beweggrund hierfür bildet also nicht eine bloße natürliche Solidarität, sondern die Heilsgeschichte.

In der Zeit, die dem Kommen Jesu vorausging, vertiefte das Judentum die Natur der brüderlichen Liebe. Man bezog in die Liebe zum Nächsten auch den jüdischen Gegner, ja selbst den feindlich gesinnten Heiden ein: Die Liebe wird umfassender, wenn auch Israel seine zentrale Stellung beibehält, ,,Liebe den Frieden!" sagte Hillel. ,,Trachte nach dem Frieden! Liebe die Geschöpfe, führe sie zum Gesetz!" Man entdeckte, dass lieben ein Weiterführen des göttlichen Tun bedeutet: ,,Genauso wie der Allheilige - gepriesen sei er! - die Nackten bekleidet, die Betrübten tröstet, die Toten begräbt, so sollst auch du die Nackten bekleiden, die Kranken besuchen usw. ... ,, Von da aus war es nicht mehr schwer, zwischen den beiden Geboten der Liebe zu Gott und zum Nächsten die Verbindung herzustellen; dies tat denn auch eines Tages jener Schriftgelehrte, der sich an Jesus wandte (Lk 10, 26f).

NT

Während die jüdische Vorstellung noch die Meinung aufkommen lassen konnte, die Bruderliebe stehe auf derselben Stufe wie andere Gebote, räumt ihr die christliche Schau den zentralen, ja den einzigen Platz ein.

1. Die beiden Liebesgebote. Vom Anfang bis zum Ende des Neuen Testaments erscheint die Liebe zum Nächsten als unzertrennlich von der Liebe zu Gott; die beiden Gebote sind der Höhepunkt und der Schlüssel des Gesetzes (Mk 12, 28-33 par.); sie sind die Essenz sämtlicher sittlicher Forderungen (Gal 5, 22; 6, 2; Röm 13, 8f; Kol 3, 14), das einzige Gebot (1 Jo 15, 12; 2 Jo 5); die Liebe ist das einzige und vielgestaltige Werk jedes lebendigen Glaubens (Gal 5, 6. 22): ,,Wer seinen Bruder nicht liebt, den er sieht, kann Gott nicht lieben, den er nicht sieht" (1 Jo 4, 20f).

Diese Liebe ist wesentlich religiöser Natur und entspringt einem ganz anderen Geist als einer bloßen Philanthropie, schon auf Grund ihres Vorbildes: ahmt sie doch die Liebe Gottes selber nach (Mt 5, 44f; Eph 5, 1f. 25; 1 Jo 4, 11f). Sodann und vor allem auf Grund ihrer Quelle: ist sie doch das Werk Gottes in uns. Wie könnten wir barmherzig sein, wie unser himmlischer Vater er ist (Lk 6, 36), wenn nicht der Herr uns die Liebe gelehrt (1 Thess 4, 9) und der Heilige Geist sie in unsere Herzen ausgegossen hätte? (Röm 5, 5; 15, 30.) Diese Liebe kommt von Gott und ist in uns schon auf Grund dessen, dass uns Gott an Kindesstatt ( Sohn angenommen hat (1 Jo 4, 7). Aber sie kommt nicht nur von Gott, sie kehrt auch wieder zu ihm zurück. Indem wir unsere Brüder lieben, lieben wir den Herrn selbst (Mt 25, 40), weil wir alle zusammen den Leib Christi bilden (Röm 12, 5-10; 1 Kor 12, 12-27). Auf diese Weise können wir jene Liebe beantworten, mit der Gott uns zuerst geliebt hat (1 Jo 3, 16; 4, 19f).

Zur Zeit des Harrens auf die Parusie des Herrn stellt die Liebe zueinander die wesentliche Tätigkeit der Jünger Jesu dar, nach der sie gerichtet werden (Mt 25, 31 bis 46). Das ist das Testament, das Jesus uns hinterlassen hat: ,,Liebet einander, so wie ich euch geliebt habe" (Jo 13, 34f). Der Akt der Liebe Christi findet in den Akten der Jünger einen stets sich erneuernden Ausdruck. Wenn dieses Gebot auch alt ist, weil es auf die Quellen der Offenbarung selbst zurückgeht (1 Jo 2, 7f), so ist es doch auch ein neues Gebot, denn Jesus hat durch sein Opfer eine neue AEra inauguriert, jene neue Gemeinde gegründet, die die Propheten angekündigt hatten, und jedem einzelnen den Geist verliehen, der neue Herzen schafft. Die beiden Gebote bilden also eine Einheit, weil die Liebe, die sich die Jünger untereinander erweisen, eine stets sich erneuernde Form findet.

2. Die Liebe ist eine Gabe. Vor allem die Synoptiker und der hl. Paulus sehen die christliche Liebe vom Bilde jenes Gottes aus, der seinen Sohn ungeschuldet für das Heil aller sündigen Menschen ohne jedes Verdienst von ihrer Seite hingibt (Mk 10, 45; Röm 5, 6ff). Sie ist also allumfassend, kennt keinerlei soziale oder rassenbedingte Schranken (Gal 3, 28) und verachtet niemand (Lk 14, 13; 7, 39); ja noch mehr, sie verlangt sogar die Feindesliebe (Mt 5, 43-47; Lk 10, 29-37). Die Liebe kann niemals den Mut verlieren; ihre Gesetze sind das unbegrenzte >> Verzeihen (Mt 18, 21f; 6, 12. 14f), das freiwillige Entgegenkommen gegenüber dem Gegner (Mt 5, 23-26), die Geduld dass man das Böse mit Gutem vergelte (Röm 12, 14-21; Eph 4, 25 - 5, 2). In der Ehe kommt sie nach dem Vorbild des Opfers Christi in Form des völligen Sichverschenkens zum Ausdruck (Eph 5, 25-32). Für alle aber bedeutet sie ein gegenseitiges Dienen ( Sklave (Gal 5, 13), wobei der Mensch mit dem gekreuzigten Christus sich selbst verleugnet (Phil 2, 1-11). In seinem ,,Hohenlied der Liebe" (1 Kor 13) zeigt der hl. Paulus die Natur und die Größe der Liebe auf. Ohne ihre täglichen Forderungen im geringsten zu übersehen (13, 4ff), sagt er, dass ohne die Liebe nichts einen Wert hat (13, 1ff), dass sie allein bleibt, während alles andere vergeht. Indem wir lieben, wie Christus geliebt hat, erleben wir bereits eine göttliche und ewige Wirklichkeit (13, 8-13). Durch sie wird die Kirche auferbaut (1 Kor 8, 1; Eph 4, 16); durch sie wird der Mensch vollkommen für den Tag des Herrn (Phil 1, 9ff).

3. Die Liebe ist Gemeinschaft. Johannes kennt die Universalität und Unverdientheit der göttlichen Liebe sehr wohl (Jo 3, 16; 15, 16; 1 Jo 4, 10), doch stellt er die Gemeinschaft des Vaters und des Sohnes im Heiligen Geiste mehr in den Vordergrund. Diese Liebe strömt auf uns über und beruft uns zur Teilnahme, indem wir nicht nur Gott lieben, sondern nach seinem Bilde in einer innigen religiösen Gemeinschaft wechselseitigen Gebens und Nehmens leben. Die Gemeinde der Jünger ist ein Feuerherd der Liebe, zu dessen Belebung der Christ aus ganzem Herzen beitragen muss. Angesichts der Welt die er nicht lieben darf (1 Jo 2, 15; vgl. Jo 17, 9), soll er seinen Brüdern eine opferbereite und konkrete Liebe schenken (1 Jo 3, 11-18), die vom Gesetz der Selbstverleugnung und des Todes beherrscht wird, ohne das es keine wahre Fruchtbarkeit gibt (Jo 12, 24f). Durch diese Liebe bleibt der Glaubende in Gemeinschaft mit Gott (1 Jo 4, 7 - 5,4). Dem galt das letzte Gebet Jesu: ,,Dass die Liebe, mit der du mich geliebt hast, in ihnen sei und ich in ihnen" (Jo 17, 26). Von den Jüngern in der Welt, der sie nicht angehören

(17, 11. 15f), gelebt, ist diese brüderliche Liebe jenes Zeugnis das die Welt Jesus als den Gesandten des Vaters erkennen lässt (17, 21): ,,Daran werden alle erkennen, dass ihr meine Jünger seid, an dieser Liebe, die ihr zueinander heget" (13, 35). Auserwählung Barmherzigkeit Brautschaft Bruder >> Bunt Demut Ehe Eifer Einheit Erkennen Erlösung Feind Freund Gebet Gesetz Gott Hass Mahl Nächster Opfer Sanftmut Schweigen Vollkommenheit Werke Wort Gottes Zorn