LEIB

Zum Unterschied von einer weitverbreiteten Auffassung ist der Leib nicht einfachhin eine Summe von Fleisch und Bein, die der Mensch zur Zeit seines irdischen Daseins sein eigen nennt, deren er durch den Tod beraubt wird und die er schließlich am Tage der Auferstehung wieder zurückerhält. Dem Leibe kommt eine viel höhere Würde zu, die der hl. Paulus in einer Theologie des Leibes herausstellt. Der Leib fügt nicht nur jene Glieder, die ihn ausmachen, zu einer Einheit zusammen, er bringt die Person auch in ihren bedeutsameren Situationen zum Ausdruck: in ihrem Natur- und Sündenzustand, in ihrer Weihe an Christus, im Leben der Herrlichkeit.

I. Der Leib und das Fleisch

Während Fleisch und Leib im Alten Testament mit einem einzigen Terminus bezeichnet werden (basár), können sie im neutestamentlichen Griechisch durch zwei Wörter unterschieden werden: sárx und sóma; eine Unterscheidung, deren volle Bedeutung erst aus der Deutung des Glaubens hervorgeht.

1. Würde des Leibes. Wie in allen Sprachen bezeichnet der Leib häufig dieselbe Wirklichkeit wie das Fleisch: auf diese Weise muss das Leben Jesu in unserem Leibe ebenso offenbar werden wie in unserem Fleische (2 Kor 4, 10f). Für einen Semiten verdient er dieselbe Hochschätzung wie das Fleisch denn der Mensch kommt durch den einen wie durch das andere voll zum Ausdruck.

Auch der hl. Paulus hat diese Würde des Leibes herausgestellt. Er hütet sich deshalb zum Unterschied von den anderen neutestamentlichen Schriftstellern (z. B. Mt 27, 52. 58f; Lk 17, 37; Apg 9, 40), den Ausdruck zu verwenden, wenn er von einem Leichnam spricht; er behält dem Leibe vor, was einen der Vorzüge des Menschen ausmacht: die Fähigkeit, Kindern das Leben zu schenken (Röm 1, 24; 4, 19; 1 Kor 7, 4; 6, 13-20); endlich schreibt er den vergänglichen und hinfälligen Charakter des Menschen, alles Nur-Menschliche, vor allem aber das Sündenleben, nicht dem Leibe, sondern dem Fleische zu. Deshalb stellt er auch keinen Katalog der Leibessünden auf (die ,,Sünde gegen den Leib" in 1 Kor 6, 28 bezeichnet wahrscheinlich eine Sünde gegen die menschliche Persönlichkeit, wobei diese in ihrer Gesamtheit genommen wird). Zum Unterschiede vom Fleisch verdient der Leib die volle Hochschätzung dessen, dem er Ausdruck verleiht.

2. Der vom Fleische beherrschte Leib. Nun aber hat sich das Fleisch, in dem die Sünde wohnt (Röm 7, 20), den Leib dienstbar gemacht. Auf Grund dessen gibt es einen ,,Leib der Sünde" (Röm 6, 6), genauso wie es ein ,,Fleisch der Sünde" gibt (Röm 8, 3). Die Sünde kann den Leib derart beherrschen (Röm 6, 16), dass auch der Leib zum Tode führt (Röm 7, 24); er ist der Erniedrigung (Phil 3, 21) und der Schande (1 Kor 15, 43) preisgegeben; voller Begehrlichkeit (Röm 6, 12) tut auch er Werke des Fleisches (Röm 8, 13). Nach der paulinischen Theologie ist der Leib jenen drei Mächten unterworfen, die das Fleisch versklavt haben: dem Gesetz der Sünde und dem Tode (vgl. Röm 7, 5). Von diesem Gesichtspunkt aus betrachtet, bildet der Leib nicht mehr bloß die Greifbarkeit der aus den Händen des Schöpfers hervorgegangenen menschlichen Person, sondern die Sichtbarmachung einer zum Sklaven des Fleisches und der Sünde gewordenen Person.

II. Der Leib und der Herr

1. Der Leib ist für den Herrn da. Die Korinther, an die der hl. Paulus geschrieben hat, waren versucht, zu denken, die Sünde der Unzucht sei etwas Indifferentes, eine nicht allzu ernst zu nehmende Angelegenheit. Um dieser Auffassung entgegenzutreten, beruft sich der hl. Paulus weder auf die Geistigkeit der Seele noch auf irgendeine Unterscheidung zwischen einem rein vegetativen Leben und einem geistigeren Leben, das ein derartiges Verhalten gefährden würde. ,,Die Speisen", sagt er ,,sind für den Bauch, und der Bauch ist für die Speisen; Gott aber wird den einen wie die anderen vernichten. Der Leib aber ist nicht für die Unzucht da, sondern für den Herrn und der Herr für den Leib" (1 Kor 6, 13). Zum Unterschiede vom Bauch, d. h. vom vergänglichen Fleische (vgl. Phil 3, 19), das das Reich Gottes nicht erben kann (1 Kor 15, 50), soll der Leib gleich dem Herrn wiederauferstehen (1 Kor 6, 14), er ist Glied Christi (6, 15), ein Tempel des Heiligen Geistes (6, 19); man muss also Gott in seinem Leibe verherrlichen (6, 20). Während das Fleisch zum Staube zurückkehrt, ist der Leib dem Herrn geweiht - daher seine unvergleichliche Würde.

2. Der Leib Christi. Genauer gesagt, beruht diese Würde auf der Tatsache, dass der Leib von Christus erlöst worden ist. Denn Jesus hat den ,,Leib des Fleisches" (Kol 1, 22) angenommen, der ihn dem Gesetze unterworfen hat (Gal 4, 4). Auf Grund dessen, dass er ,,die Gestalt des Fleisches der Sünde" angenommen hat (Röm 8, 3), ist er ,,für uns zum Fluche geworden (Gal 3, 13), ist er ,,für uns zur Sünde geworden" (2 Kor 5, 21); endlich ist er der Macht des Todes unterworfen worden, doch wurde sein Tod zum Tod der Sünde, und dies ein für allemal (Röm 6. 10). Deshalb hat er durch seinen Tod das Fleisch und die Sünde besiegt; jene Mächte, die Jesus gekreuzigt haben, sind ihrer Macht beraubt worden (1 Kor 2, 6. 8; Kol 2, 15). Er hat über die Sünde Gericht gehalten (Röm 8, 3) und den Fluch des Gesetzes in Segen verwandelt (Gal 3, 13 f; Eph 2, 15). Er hat uns aber auf diese Weise nicht nur aus einer Knechtschaft befreit, sondern hat uns im vollen Sinne dieses Wortes in sich eingegliedert: die allumfassende Tragweite seines Lebens und seines Erlöserleidens bewirkt, dass es fortan nur mehr einen ,,einzigen" Leib gibt, den Leib Christi.

3. Der Leib des Christen. Deshalb kann jeder mit Christus verbundene Glaubende fortan durch den Leib Christi über jene Mächte triumphieren, denen er vordem unterworfen war: über das Gesetz, die Sünde und den Tod. Er ist ,,tot geworden dem Gesetze" (Röm 7. 4), sein ,,Leib der Sünde ist vernichtet" (6, 6), er hat ,,jenen fleischlichen Leib ausgezogen", der dem Tode verfallen ist (Kol 2, 11). Der Christ muss Christus also auf dem gesamten Weg, den dieser gegangen und in den er durch den Empfang der Taufe eingetreten ist, in seinem Leben Tag für Tag nachfolgen; er muss ,,seinen Leib" als lebendiges Opfer ,,darbringen" (Röm 12, 1).

Die Würde des Leibes kommt hienieden nicht voll zur Geltung. Dieser irdische, der Not und der Sünde verfallene Leib wird in einen Leib der Herrlichkeit verwandelt werden (Phil 3, 21), in einen ,,geistigen Leib" (1 Kor 15, 44), in einen unvergänglichen Leib, der bewirken wird, dass wir das ,,Abbild des himmlischen Adam an uns tragen werden" (15, 49). Wir würden freilich wünschen, dass sich der UEbergang vom sterblichen Leib in den Leib des himmlischen Christus in Form einer unmittelbaren Umwandlung, ,,in einem Augenblicke" vollzöge, so wie dies am Tage der Parusie geschehen wird. Doch müssen wir uns für ein anderes Schicksal bereit halten: für den schmerzlichen UEbergang durch den Tod Es steht uns also zu, es ,,vorzuziehen, diesen Leib zu verlassen, um zum Herrn heimzuziehen" (2 Kor 5, 8), der Auferstehung unseres Leibes harrend, durch die wir endlich und endgültig den einzigen Leib Christi bilden werden. Auferstehung Fleisch Leib Christi Mensch Seele