ISRAEL

AT

Israel (wahrscheinlich: ,,Gott kämpft", ,,Gott ist stark") bezeichnet im Alten Testament sowohl ein Volk wie dessen eponymischen Ahnen, der mit dem Patriarchen Jakob identifiziert wird (Gn 35, 10. 20f; 43, 8; 50, 2 usw.). Die kurze Geschichte, die den Doppelnamen des Patriarchen erklärt, gründet in einer Volksetymologie: Israel = ,,Er hat gegen Gott gekämpft" (Gn 32, 29; Os 12, 4).

1. Israel, das Volk des Bundes

a) Israel, ein heiliger Name. Israel ist kein bloßer Völkername, wie etwa Edom, Aram, Moab. Es ist ein heiliger Name der Name des Bundes- Volkes Dieses bildet die ,,Gemeinde Israel" (Ex 12, 3. 6), und unter diesem Namen werden sowohl die Reden des Deuteronomiums (,,Höre, Israel Dt 5, 1; 6, 4; 9, 1; vgl. Ps 50, 7; 81, 9) wie die prophetischen Verheißungen an es gerichtet (Is 41, 8; 43, 1; 44, 1; 48, 1).

b) Israel, das Volk der zwölf Stämme. Die grundlegende nationale Struktur Israels bilden jene zwölf Stämme, die die Namen der zwölf Söhne Jakobs tragen, und dies seit der Bundesschließung (Ex 24, 4). Wenn auch die Liste der Stämme kleinere Abänderungen erfahren hat (vgl. Gn 49; Dt 33; Ri 5; Apk 7, 5...), so ist doch ihre Anzahl eine heilige Zahl die mit dem kultischen Dienst während der zwölf Monate des Jahres in Zusammenhang steht. Das ist die erste geschichtliche Form, die das Volk Gottes hienieden angenommen hat.

c) Jahve als Gott Israels und Israel als Volk Jahves. Durch den Bund hat sich Gott gewissermaßen an Israel gebunden: Er ist der Gott (Is 17, 6; Jr 7, 3; Ez 8, 4), der Heilige (Is 1, 4; 44, 14; Ps 89, 19), der Starke (Is 1, 24), der Felsen (Is 30, 29), der König (Is 43, 15), der Erlöser Israels (Is 44, 6). Auf diese Weise geht der Gott der Offenbarung in die Religionsgeschichte als der besondere Gott Israels ein. Umgekehrt erwählt er Israel allein zum Träger seines Heils- Ratschlusses Auch in dieser Hinsicht sind die Titel bedeutsam, die Israel beigelegt werden: Es ist das Volk Jahves (Is 1, 3; Am 7, 8; Jr 12, 14; Ez 14, 9; Ps 50, 7), sein Knecht (Is 44, 21), sein Auserwählter (Is 45, 4), sein erstgeborener Sohn (Ex 4, 22; Os 11, 1), sein Heiliger Besitz (Jr 2, 3), sein Erbe (Is 19, 25), seine Herde (Ps 95, 7), sein Weinberg (Is 5, 7), sein Reich (Ps 114, 2), seine Braut (Os 2, 4) ... Israel gehört also nicht nur der politischen Geschichte der Menschheit an; es steht auf Grund göttlicher Erwählung im Mittelpunkt der heiligen Geschichte.

2. Israel und Juda

a) Die politische Zweiteilung Israels. Der heilige Bund der zwölf Stämme überdeckte eine politische Zweiteilung, die in der Königszeit klar zutage trat: David wurde zunächst nur König von Juda im Süden, erst später auch König von Israel im Norden (2 Sm 2, 4; 5, 3). Nach dem Tode Salomos trennte sich Israel vom Hause Davids (1 Kg 12, 19) mit dem Ruf: ,,Zu deinen Zelten, Israel!" (1 Kg 12, 16; vgl. 2 Sm 20, 1.) Auf diese Weise spaltete sich das Volk. Die Sprechweise der Propheten aber paßte sich einer der Lehre vom Bunde widersprechenden, aber tatsächlich gegebenen Situation an und unterschied fortan Juda und Israel, welch letzteres häufig mit Ephraim als dem stärksten Stamme des Nordens identifiziert wurde (Am 2, 4; 0s 4, 15f; Is 9,7...; Mich 1, 5; Jr 3, 6f).

b) Israel und das Judentum. Nach dem Untergange Samarias wurde Juda zum Mittelpunkt der Erneuerung Gesamtisraels (2 Kg 23, 19...; 2 Chr 30, 1ff); nach dem Untergange Jerusalems aber suchte man im alten Zwölfstämmeverband das Idealbild des nationalen Wiederaufbaus. Die überragende Rolle, die Juda bei diesem Wiederaufbau zufiel, macht es verständlich, daß den Mitgliedern des zerstreuten Volkes fortan der Name Juden jener Einrichtung aber, die sie zusammenschloß, der Name Judentum gegeben wurde (Gal 1, 13f). Gleichzeitig aber brachte der Name Israel dessen alleinigen Heiligwert zum Ausdruck (Neh 9, 1f; Sir 36, 11; vgl. Mt 2, 20f; Apg 13, 17; Jo 3, 10).

c) Die Verheißung eines neuen Israel. Denn die eschatologischen Wahrsprüche der Propheten haben für die Zukunft Israels eine Riückkehr zur ursprünglichen Einheit angekündigt: die Wiedervereinigung von Israel und Juda (Ez 37, 15), die Wiedervereinigung der den zwölf Stämmen zugehörenden zerstreuten Israeliten (Jr 3, 18; 31, 5; Ez 24...;37, 21...; Is 27, 12). Hier liegt ein grundlegendes Thema der jüdischen Hoffnung vor (Sir 36, 10). Der Genuß dieser >> Verheißungen aber blieb einem Rest Israels vorbehalten (Is 10, 20; 46, 3; Mich 2, 12; Jr 31, 7). Aus diesem Rest wird Jahve ein neues Israel schaffen, das er erretten (Jr 30, 10), das er in sein Land zurückführen (31, 2) und dem er einen neuen Bund (31, 31) und einen neuen König schenken wird (33, 17). Dann wird Israel zum Sammelpunkte der Heidenvölker werden (Is 19, 24f); nach dem sie erkannt haben, daß in ihm der wahre Gott zugegen ist (45, 15), werden sie sich ihm zuwenden; ihre Bekehrung wird mit dem Heil (45, 17) und dem Ruhme Israels zusammenfallen (45, 25).

NT

1. Das Evangelium und das Israel von einst. Die providentielle Ordnung der Dinge hat gewollt, dass sich der Anbruch des Heiles in Israel vollzog und daß Israel als Volk des Bundes als erstes dessen Ankündigung erhielt. Diesem Zwecke diente bereits die Taufe des Johannes (Jo 1, 31). Zur Zeit des irdischen Lebens Jesu beschränkte sich die Sendung des Erlösers und seiner Jünger noch auf Israel allein (Mt 10, 6. 23; 15, 24). Nach seiner Auferstehung wurde die Frohe Botschaft zuerst Israel kundgetan (Apg 2, 36; 4, 10). Denn Israel und die Heidenvölker, die zum Drama der Passion zusammengewirkt haben (4, 27), sind zwar auf dem Boden der Gleichberechtigung (9, 15), aber in einer bestimmten Reihenfolge zum Glauben berufen: zuerst die Juden als ,,Israeliten" von Geburt (Röm 9, 4), dann erst alle anderen (vgl. Röm 1, 16; 2, 9f; Apg 13, 46). Denn das durch das Evangelium gebrachte Heil erfüllt die Hoffnung jener, die des Trostes Israels (Lk 2, 25), des Heiles Israels (Lk 24, 21), der Wiederaufrichtung des Reiches Israel (Apg 1, 6) harrten. Durch Jesus hat Gott Israel Hilfe zuteil werden lassen (Lk 1, 54), ihm Barmherzigkeit erwiesen (Lk 1, 68), ihm die Bekehrung und die Nachlassung der Sünden gewährt (Apg 5, 31), Jesus ist der Ruhm Israels (Lk 2, 32), sein König (Mt 27, 42 par.; Jo 1, 50; 12, 13), sein Erlöser (Apg 13, 23 f). Die auf seiner Auferstehung gründende neue Hoffnung ist nichts anderes als die Hoffnung Israels selbst (Apg 28, 20). Mit einem Wort, Israel stellt jenes organische Bindeglied dar, das die Verwirklichung des Heiles mit der Geschichte der Gesamtmenschheit verknüpft.

2. Das neue Israel. Doch ist jenes neue Israel, das die prophetischen Verheißungen angekündigt haben, mit Jesus hienieden schon sichtbar geworden. Um daraus eine positive Einrichtung zu machen, hat Jesus zwölf Apostel erwählt und hat so seine Kirche nach dem Muster des aus zwölf Stämmen bestehenden Israel von einst aufgebaut; deshalb werden auch seine Apostel die zwölf Stämme Israels richten (Mt 19, 28 par.). Diese Kirche ist das eschatologische Israel, dem Gott den Neuen Bund vorbehalten hat (Hebr 8, 8ff): in ihr vollzieht sich jene Sammlung der Auserwählten die er sich aus den zwölf Stämmen auserkoren hat (Apk 7, 4). Als die heilige Stadt, die auf dem Fundament der zwölf Apostel aufruht, trägt sie die Namen der zwölf Stämme auf ihren Toren eingeschrieben (Apk 21, 12; vgl. Ez 40, 30ff).

3. Das Israel von einst und das neue Israel.

Die Kirche als neues Israel stellt also die Erfüllung des Israel von einst dar. Diesem wurde man durch die Geburt eingegliedert (Phil 3, 5), die Heiden aber blieben von der Möglichkeit, dessen Bürger zu werden, ausgeschlossen (Eph 2, 12). Jetzt aber ist es nur mehr ein Israel dem Fleisch nach, und worauf es ankommt, ist die Zugehörigkeit zum Israel Gottes. ,,Denn nicht alle, die von Israel abstammen, sind Israeliten" (Röm 9, 6). Jesus und dem Evangelium gegenüber vollzieht sich eine Scheidung (vgl. Lk 2, 34f): zum Falle der einen, die die Gerechtigkeit des Gesetzes suchen und sich bei der Verkündigung der Gerechtigkeit des Glaubens verhärten (Röm 9, 31; 11,7), zur Rettung der anderen, der wahren Israeliten (Jo 1, 48), die den von der Heiligen Schrift angekündigten Rest Israels darstellen (Röm 9, 27ff) und denen sich im neuen Israel die bekehrten Heiden anschließen. Nicht daß das Israel von einst endgültig verworfen wäre; doch wollte Gott, daß in dem Augenblick, da seine Verständnislosigkeit gegenüber dem Evangelium offenbar würde, seine Eifersucht erwache (Röm 10, 19). Wenn die Gesamtheit der Heiden bekehrt sein wird, wird die teilweise Verhärtung Israels aufhören, und ,,auf diese Weise wird ganz Israel gerettet werden" (Röm 11, 26); es wird wieder jenem geistigen Israel angehören, das dank ihm das Heil erlangt hat. Auserwählung - Bund - Hebräer - Jude - Kirche II 2 - Ratschluß Gottes NT III 2 - Reich Gottes AT I. II - Schatten II 2 - Sohn AT I - Sünde II - Volk Gottes - Weinstock 2.

PG

JERUSALEM

Jerusalem ist eine ,,heilige Stadt", die von den Juden, Christen und Muselmanen verehrt wird, und dies aus Gründen, die sich teilweise decken. In den Augen der Christen aber gehört seine Aufgabe im Plane Gottes der Vergangenheit an. Heute kommt ihm nur mehr jene tiefe Bedeutung zu, die das Neue Testament sichtbar gemacht hat.

AT

I. Die Berufung

1. Die kananäische Stadt Uruschalim (Gründung des Gottes Schälém) ist aus akkadischen Dokumenten des 14. Jahrhunderts (Tell-el-Amarna-Briefe) bekannt. Die biblische Tradition erkennt sie in der Stadt Melchisedechs wieder, der ein Zeitgenosse Abrahams gewesen ist (Gn 14, 18ff), und identifiziert sie mit dem Berge Moria, auf dem Abraham sein Opfer dargebracht hat (2 Chr 3, 1). In der Richterzeit war Jerusalem noch eine heidnische Stadt (Ri 19, 11f), denn die Israeliten hatten bei ihrem ersten Eroberungsversuch eine Schlappe erlitten (Ri 1, 21). Erst David entriß sie endgültig den Händen der Jebusiter (2 Sm 5, 6ff). Er nannte ihre Burg ,,Stadt Davids" (5, 9), befestigte sie und machte sie zur politischen Hauptstadt seines Reiches. Er übertrug die Bundeslade dorthin (6) und verlegte auf diese Weise das Bundesheiligtum der zwölf Stämme, das sich zuvor in Silo befunden hatte, in die neue Hauptstadt. Die Verheißung Nathans ließ erkennen, daß Gott diese Wohnstätte guthieß (7). Salomo aber vollendete in diesem Punkt das Werk seines Vaters, indem er den Tempel erbaute und ihn feierlich einweihte (1 Kg 6-8). Damit war die religiöse Bestimmung der Stadt besiegelt.

2. Im Heiligen Lande nimmt Jerusalem eine besondere Stellung ein. Als persönlicher Besitz der davidischen Dynastie verblieb es außerhalb des Stämmekatasters. Als politische Hauptstadt repräsentierte es konkret die nationale Einheit des Volkes Gottes. Als religiöse Hauptstadt bildete es den geistigen Mittelpunkt Israels, weil Jahve darin Wohnung genommen hatte, und zwar auf dem Berge Sion, den er sich als Wohnstatt erwählt hat (Ps 78, 68f; 132, 13-18). Diese doppelte Bedeutung begründete ihren Charakter als heilige Stadt und wies ihr im Glauben und in der Hoffnung Israels eine Aufgabe ersten Ranges zu.

II. Das Drama

Diese seine Bedeutung hat Jerusalem in jenes Drama miteinbezogen, das in der Königszeit sämtliche Einrichtungen des Gottesvolkes erschüttert hat: Es erlebte abwechselnd die Gnade und den Zorn Gottes.

1. Unmittelbar nach der Blüte der salomonischen Zeit erlebte Jerusalem nach dem Tode des Monarchen im Schisma einen Gegenschlag. Das Buch der Könige sieht darin die providentielle Bestrafung der Treulosigkeiten des Monarchen (1 Kg 11). Es verblieb bei Juda, wurde die Hauptstadt eines stark reduzierten Reiches und behielt seinen Tempel. Doch richtete Jeroboam in Israel offizielle Heiligtümer ein, die ihm Konkurrenz machten (12, 26-33), und bald sollte ihr durch die Gründung von Samaria (16, 24) auch als Hauptstadt eine Rivalin entstehen. Auf diese Weise wurde die von David verwirklichte Einheit der politischen und religiösen Aufgabe der Stadt zerstört.

2. Doch behielt Jerusalem vor allem in den Augen der treuen Judäer seine Bedeutung nach wie vor bei. Nach dem Falle Samarias vereinigten sich sämtliche Hoffnungen auf es, und Ezechias versuchte die Nordstämme wieder mit ihm zu verbinden. Er führte eine erste religiöse Reform durch (2 Kg 18, 1-4; vgl. 2 Chr 29-31), und die Stadt erlebte unter seiner Regierung anlässlich des Vormarsches Sennacheribs eine wunderbare Errettung (2 Kg 18, 13 - 19, 36); die Erinnerung daran sollte zum Ruhme der heiligen Stadt dem Gedächtnis eingeprägt bleiben (Ps 48, 5-9). Hundert Jahre später versuchte Josias aufs neue, alle Israeliten um ein einziges Heiligtum zu scharen, in dem der Kult fortan streng zentralisiert bleiben sollte (2 Kg 22, 1 - 23, 25). Es war der letzte Versuch, das nationale Aufbauwerk Davids zu retten.

3. Denn ,,Gott ließ von der Glut seines Zornes nicht ab ... Er sprach: ,Ich werde diese Stadt, die ich erwählt hatte, verstoßen, Jerusalem und seinen Tempel, von dem ich gesagt hatte: Dort soll mein Name wohnen"' (2 Kg 23, 26f). Denn trotz zeitweiser Reformen ist Jerusalem eine Stadt, die ihrem Gotte die Treue brach, und dies besiegelte ihr Schicksal. Treulos in ihren Königen die sich dem Götzendienst ergaben (2 Kg 16, 2ff; 21, 3-9) und die Propheten verfolgten (2 Chr 24, 21; vgl. Jr 36-38). Treulos in ihrem Priestertum das die Lehren der Propheten geringschätzte (Jr 20) und den Götzendienst bis in den Tempel vordringen ließ (2 Kg 21, 4f. 7; Ez 8). Treulos in ihrem Volk das sich in Bündnisse mit den Heiden einließ und sich um das Gesetz Gottes nicht kümmerte (Is 1, 16f; Jr 7, 8ff). ,,Wie ist sie zur Dirne geworden, die treue Stadt?" (Is 1, 21.) Mangels einer aufrichtigen Bekehrung sollte sich also der Zorn Gottes über sie ergießen: Isaias sieht nur für einen heiligen Rest Rettung (Is 4, 2f). Jeremias sagt dem Tempel das Schicksal von Silo voraus (Jr 7, 14). Ezechiel zählt die Treulosigkeiten der Stadt auf und kündigt ihr die bevorstehenden Strafen an (Ez 11, 1-12; 23; 24, 1-17), weil Jahve beschlossen hat, sie zu verlassen (10, 18ff).

4. Diese Drohweissagungen lassen den Sinn seiner schließlichen Zerstörung unter den Schlägen

Nabuchodonosors erkennen. Es war ein Gericht Gottes, das sich vollzog (vgl. Ez 9, 1-10, 7). Nach dessen Vollzug konnte die ,,Tochter Sion" nichts anderes mehr tun als ihr langes Schuldbekenntnis ablegen (Klgl 1-2) ; ihre Söhne aber baten Gott, das Unheil, das die Heiden Jerusalem, seinem Erbe zugefügt hatten, diese entgelten zu lassen (Ps 79). Jenes Problem aber, das sich nunmehr am Ende des Dramas ergab, betraf die Zukunft.

III. Dem neuen Jerusalem entgegen

1. In Parallele zum Ablauf des Dramas und im selben Maße, als die Propheten dessen Ende ankündigten, wandten diese ihren Blick einem anderen Jerusalem zu. Isaias sah es nach der Prüfung wieder zu einer ,,Stadt der Gerechtigkeit und zu einer treuen Burg" werden (Is 1, 26f). Jeremias schaute den Tag, an dem das wiedererstandene Volk Israel nach Sion zurückkehrt, um Gott anzubeten (Jr 31, 6. 12). Ezechiel beschrieb die künftige Stadt bis ins kleinste, die um ihren Tempel wiederaufgebaut werde (Ez 40-46), als Mittelpunkt eines paradiesischen Landes (47, 1 - 48, 29), den zwölf Stämmen weit sich öffnend (48, 30-35); ihr Name wird lauten: ,,Jahve daselbst" (48, 35). Zur Zeit des Exils verdichtete sich diese Schau der Zukunft zu großartigen Verheißungen: Jerusalem wird, nachdem es den Becher des Zornes einmal geleert hat, sein Pracht- >> Gewand wieder anziehen (Is 51, 17 - 52, 2). In Herrlichkeit wiedererbaurt (54, 11f) und wieder zur Braut Jahves geworden (54, 4-10), wird sie es erleben, daß sich ihre Kinder wunderbar vermehren (54, 1ff; 49, 14-26).

2. Die auf das Edikt des Kyros hin einsetzende Restauration (Esr 1-3) und der Wiederaufbau des Tempels (5-6) schienen die Verwirklichung dieser Verheißungen in handgreifliche Nähe zu rücken. Die zeitgenössischen Propheten verkündeten die Herrlichkeit der neuen Stadt und ihres Tempels, dazu berufen, zum religiösen Mittelpunkt der gesamten Welt zu werden (Apg 2, 7-9; Is 60; 62). In Bälde löste sich das Bild sogar von den prosaischen Wirklichkeiten los und vermengte sich mit dem Bild vom wiedergefundenen Paradies (Is 65, 18): Sion wird das neue Volk erstehen sehen, was einen Jubel ohnegleichen auslösen wird (66, 6-14). Die konkrete Situation war freilich weniger glänzend, und die Stadt erlebte nach wie vor ihr Maß an Prüfungen: die Mauern blieben lange Zeit bloße Ruinen (vgl. Ps 51, 20; 102, 14-18), und es bedurfte der Energie eines Nehemias, um sie wiederaufzubauen (Neh 1-12). Nach dem Willen ihrer Wiedererbauer wurde sie zur ,,festen Burg der Thora", die gegen fremde Einflüsse so fest als möglich abgeschirmt wurde (vgl. Neh 13). Doch blieb diese Hauptstadt einer unbedeutenden Provinz fortan jeder ernst zu nehmenden politischen Rolle entkleidet.

3. Die wesentliche Aufgabe Jerusalems lag fortan im religiösen Bereich. Von allen Seiten wandten sich ihr die Juden zu (Dn 6, 11). Man veranstaltete Wallfahrten dorthin (Ps 122) und fand seine Freude daran, hier zu wohnen (Ps 84). Es war die Zeit prachtvoller liturgischer Feiern im Tempel (Sir 50, 1-21). Die Psalmen priesen die Wohnstätte Jahves (Ps 46; 48), die dazu berufen war, zur Mutter sämtlicher Völker ( Heiden zu werden (Ps 87). Auf den Sinn ihres Namens anspielend, wünschte man ihr den ,,Frieden" (Ps 122, 6-9) und forderte sie auf, Gott zu preisen (Ps 147, 12ff). Die letzten prophetischen Texte machen sie zum Schauplatz des eschatologischen Gerichts (Joel 4, 9-17) und des Gastmahls der Freude, das für die gesamte Menschheit bereitet wird (Is 25, 6ff); sie schildern ihre Rettung und Verklärung am Ende der Tage (Zach 12; 14). Sie beschreiben im voraus in lyrischen Ausdrücken das Glück, das Gott ihr zuteil werden läßt (vgl. Tob 13), und fordern sie zum Vertrauen auf (Bar 4, 30 - 5, 9). Freilich sollte sie auch noch Prüfungen erleben, so unter König Antiochus, der sie profanieren wird (1 Makk 1, 36-40). Doch entwerfen die jüdischen Apokalypsen im Gegensatz zu dieser oft alles eher als glänzenden historischen Wirklichkeit ein immer phantastischeres Bild von der Stadt der Zukunft. Für sie gibt es schon jetzt ein himmlisches Jerusalem, von dem die Davidsstadt nur ein unvollkommenes Nachbild war. Dieses himmlische Jerusalem wird von Gott am Ende der Zeiten geoffenbart werden und auf die Erde herabkommen. Wie hätte man die Transzendenz der künftigen Ordnung, ausgehend von einer historischen Erfahrung, besser ausdrücken können, die deren sinnträchtige Vorausdarstellung ( Typos bereits in sich barg?

NT

I. Das irdische Jerusalem und die Verwirklichung des Heiles

Von Markus bis Johannes nimmt Jerusalem in den Evangelien einen immer bedeutsameren Platz ein. Doch tritt seine Rolle beim hl. Lukas am schärfsten zutage, wenn wir sein Evangelium und die Apostelgeschichte zusammennehmen.

1. Nach dem Markusevangelium dringt das Echo der Predigt Johannes des Täufers bis nach Jerusalem (Mk 1, 5). Doch nimmt das von Jesus verkündete Evangelium vom Reiche Gottes seinen Ausgang in Galiläa und beschränkte sich zunächst auf dieses Gebiet (1, 28. 39). Jesus wandte sich Jerusalem erst zu, nachdem er auf den Unglauben der galiläischen Städte gestoßen ist (6, 1-6; 8, 11f; 9, 30) und seine Passion dreimal angekündigt hat; er begibt sich dorthin nur, um sein Opfer zu vollenden (10, 32ff). Damit nimmt das Drama seinen Lauf: Jesus hält, wie dies in der Heiligen Schrift vorausverkündet worden war, einen feierlichen Einzug in die Stadt (11, 1-11) und tritt dort als Prophet auf, indem er den Tempel reinigt (11, 15-19). Es war nur ein Augenblickserfolg, denn er stieß auf den Widerspruch der jüdischen Behörden (11, 27 bis 12, 40). Deshalb sagt er aus der Perspektive seines nahen Todes heraus (12, 6-9) die Bestrafung der Stadt und die Schändung ihres Tempels (13, 14-20) als Ende einer nunmehr überholten Heilsveranstaltung und Vorspiel zur Endvollendung voraus (13, 24-27). Tatsächlich wird Jesus vom Volke verworfen (15, 6-15), von seinen Führern zum Tode verurteilt (14, 53-64) und außerhalb der Stadt gekreuzigt (15, 20ff). Im Augenblick seines Todes zerreißt der Vorhang des Tempels zum Zeichen, daß das alte Heiligtum seinen heiligen Charakter verloren hat (15, 33-38). Hier ist Jerusalem die Stätte der großen Ablehnung.

2. Diesem Schema fügt der hl. Matthäus verschiedene Züge an. Das kommende Drama wirft auf die Kindheit Jesu seine Schatten voraus: während von einem Stern geführte Heiden (vgl. Nm 24, 17) nach Bethlehem kommen, um den Messias anzubeten (Mt 2, 1f. 9ff), vermögen die Schriftgelehrten in Jesus den nicht zu erkennen, den ihre Schriften angekündigt haben (2, 4ff), und der König Herodes sinnt darauf, ihn zu töten (2, 16ff). Die rein menschliche Erregung Jerusalems (2, 3) mündet daher in keinen Glaubensakt aus. Die Hauptstadt wird zugunsten Bethlehems und Nazareths ihrer Krone beraubt. Jesus, der Sohn Davids, wird nicht den Namen Jerusalems, der Stadt seines Ahnen, tragen, sondern den Nazareths (2, 23). Die schlimmsten Gegner Jesu zur Zeit seines öffentlichen Wirkens werden aus Jerusalem kommen (15, 1). Deshalb bricht er in eine laute Klage über das Schicksal aus, daß diese Stadt erwartet, die die Gesandten Gottes dem Tode überliefert (23, 37ff). Deshalb finden jene letzten Erscheinungen, in deren Verlauf der auferstandene Jesus seine Apostel zu allen Völkern sendet, in Galiläa statt (28, 7. 16-20).

3. In diesen etwas konventionellen Rahmen fügt Johannes eine Reihe historischer Feststellungen ein, die sich nicht so ohne weiteres einordnen lassen. So kennt er mehrere Reisen Jesu nach Jerusalem, und es spielt sich der größte Teil des Dramas hier ab. Er stellt den Unglauben seines Volkes ausführlich dar (Jo 2, 13-25), die Schwierigkeit, die seine besten Lehrer empfanden, an ihn zu glauben (3, 1-12), die Wunder, die Jesus darin wirkt, und den Widerspruch, den er dort findet (5; 7-10). Sein letztes Wunder findet vor den Toren Jerusalems statt, gleichsam als letztes Zeugnis für sein Heilswerk. Doch zieht sich Jesus aus der Stadt zurück, da er weiß, daß man sich gegen ihn verschworen hat (11, 1-54). Er kehrt nur mehr dorthin zurück, um seine Stunde zu erfüllen (12, 27; 17, 1). Mehr noch als beim hl. Markus wird hier die große Ablehnung unterstrichen.

4. Lukas, der dem Bericht seines Evangeliums noch eine Skizze vom Werden des Christentums hinzugefügt hat, rückt eine andere Seite jenes heiligen Dramas ins Licht, dessen Mittelpunkt Jerusalem bildet. Es stellt im Leben Jesu jenen Ort dar, auf den alles ausmündet. Hier wird der Knabe Jesus dargestellt, und gläubige Seelen vermögen ihn zu erkennen (Lk 2, 22-3 8). Hierher kommt er im Alter von 12 Jahren, und hier tut er inmitten der Lehrer seine Weisheit kund (2, 41-50): leise Ankündigungen seiner kommenden Selbstoffenbarung und seines Opfers. Denn Jerusalem ist das Ziel seines Lebens: ,,Es geht nicht an, daß ein Prophet außerhalb Jerusalems seinen Tod findet" (13, 33). Deshalb hebt der hl. Lukas den Gang Jesu nach Jerusalem, wo er seine Hingabe vollziehen sollte, so stark hervor (9, 31; 9, 51; 13, 22; 17, 11; 18, 31;19, 11). Angesichts der endgültigen Ablehnung, die man seiner Sendung entgegenbringt, kündigt er den Untergang der Stadt in klareren Worten an, als dies bei Markus und Matthäus geschieht (19, 41-44; 21, 20-24). Doch trennt die Perspektive einer Zwischenzeit, der ,,Zeit der Heiden", dieses Geschehnis eindeutig von der Vollendung aller Dinge (21, 24-28).

In der Tat vollendet sich in Jerusalem nicht nur die Geschichte Jesu mit seinem Opfer, seinen Erscheinungen und seiner Himmelfahrt (24, 36-53; Apg 1, 4-13), sondern hier beginnt auch die Geschichte des von den Aposteln abgelegten Zeugnisses. In Jerusalem empfangen sie den Heiligen Geist (Apg 2). Von dieser Stunde an haben sie die Sendung das Evangelium hinauszutragen, von Jerusalem angefangen, nach Judäa und Samaria, ja bis an die Grenzen der Erde (1, 8; vgl. Lk 24, 47f). Und in der Tat verkünden sie die Frohe Botschaft zuerst in der Stadt und gründen dort die Christengemeinde (Apg 2-7). Der Sanhedrin geht gegen sie mit derselben Feindseligkeit vor, die den Tod Jesu herbeigeführt hatte (4, 1-31; 5, 17-41). Deshalb kündet Gott durch den Mund des hl. Stephanus die Zerstörung des von Menschenhand erbauten Tempels an zur Strafe dafür, daß Jerusalem dem Heiligen Geist widersteht und Jesus verworfen hat (7, 44-53). Die durch diese Worte ausgelöste Verfolgung zieht die Zerstreuung eines Teiles der Gemeinde nach sich (8, 1); diese aber zieht paradoxerweise eine schlagartige neue Ausbreitung des Evangeliums nach Samaria (8, 2-40), Caesarea (11), ja bis nach Antiochien nach sich (11, 19-26), wo die ersten Heiden in die Kirche aufgenommen wurden. Eine weitere Frucht des Todes des ersten Zeugen des Evangeliums war die Bekehrung des Verfolgers Saulus, der in den Händen Gottes zu einem auserwählten Werkzeug werden sollte (7, 58-8, 1ff; 9, 1-30). Da verließ Saulus Jerusalem, um seine Missionsaufgabe zu übernehmen ( 9, 30; 11, 25f). Auch Petrus verließ es nach seiner Einkerkerung (12, 17). Auf diese Weise hörte Jerusalem auf, der Mittelpunkt der Verkündigung des Evangeliums zu sein, um jenem Schicksal entgegenzugehen, das Jesus ihm vorausgesagt hatte, während das Evangelium ,,bis an die Grenzen der Erde" hinausgetragen wurde.

II. Vom irdischen zum himmlischen Jerusalem

1. Der hl. Paulus, jenes ,,auserwählte Werkzeug", das sich auf dem Wege nach Damaskus bekehrt hatte (Apg 9), stellt als erster fest, daß an die Stelle des alten Jerusalem ein neues Jerusalem getreten ist, das im Himmel verwurzelt ist. Er schildert den Galatern dieses Jerusalem dort oben als unsere Mutter und Erbin der göttlichen >> Verheißungen das vom irdischen Jerusalem verfolgt wird, bis dieses der Vernichtung anheimfällt (Gal 4, 24-31).

2. Der Hebräerbrief greift dasselbe Bild auf. Dieses himmlische Jerusalem, die Stadt des lebendigen Gottes (Hebr 12, 21ff), in deren Nähe die Taufe die Christen bereits gerückt hat, ist die göttliche Wohnstätte, in der sich jener Tempel befindet, der ,,nicht von Menschenhänden gemacht" ist und der das Ziel der Sendung Christi ist (9, 24; vgl. 9, 11f). Dieser Tempel war jenes Urbild (týpos, 8, 5), von dem der Tempel hienieden nur ein Nachbild, ein Schatten, eine Wiedergabe, eine Vorausdarstellung ( Typos gewesen war (8, 5; 10, 1): eine transzendente Wirklichkeit, die die jüdischen Apokalypsen in herrlichen Ausdrücken geschildert haben.

3. Die johanneische Apokalypse greift auf deren Beschreibung zurück, um die Kirche als Braut des Lammes in ihrer Endvollendung zu schildern (Apk 21, 1-22, 5), als ein einziges strahlendes Wunder, als Stadt der Träume. Hier werden jene prophetischen Texte, die das neue Jerusalem beschreiben, vor allem die des Ezechiel- und des Isaiasbuches, wieder aufgegriffen und in einer Weise gedeutet, daß die irdische Stadt völlig aus dem Gesichtskreis schwindet. Es wird nur mehr ihr heiliges Urbild ins Auge gefaßt. Doch trägt die Kirche auf Erden bereits deren Bild in sich, weil sie an ihrem Geheimnis Anteil hat. Sie ist jene heilige Stadt, die die Heiden durch die Verfolgung niedertreten (11, 2). Am Schluß des Neuen Testaments besitzt die Hauptstadt Israels, die einstige Wohnstätte Jahves hienieden, nur mehr den Wert einer Vorausdarstellung. In demselben Augenblick, da sich an ihr die neue, von Jesus vorausgesagte Tragödie erfüllte, gingen jene Verheißungen, deren Trägerin sie vorübergehend gewesen war, an ein anderes Jerusalem über, das bereits gegenwärtig, dabei aber völlig auf seine Endvollendung ausgerichtet ist, jene endgültige Heimat aller Erlösten: ,,Coelestis urbs Jerusalem, beata pacis visio" (Hymnus am Kirchweihfest). Brautschaft NT 2 - Erde-Land - Kirche - Mutter II 3 - Neu IV - Tempel AT I- Vaterland - Volk Gottes. MJL & PG

JESUS

In diesem absichtlich kurz gehaltenen Artikel wird nicht versucht, alles zu sagen, ,,was Jesus getan hat", denn wollte man dies tun, so würde die Welt die Bücher nicht fassen können (Jo 21, 25), noch auch, all das zu sagen, was seine Person und sein Werk für den Glauben und für das Denken des neutestamentlichen Menschen bedeuten. Wir wollen nur versuchen, aus der Schilderung dieses Werkes und aus dem Selbstzeugnis dieses Glaubens alles das zu erheben, was unter so vielen verschiedenen Namen die Verwendung des Namens Jesu zu bedeuten vermag und tatsächlich bedeutet.

I. ,,Dieser Jesus"

Dieser Name bedeutet zunächst das, was der Name in der menschlichen Sprache im allgemeinen und im biblischen Denken im besonderen bedeutet, nämlich das Seiende selbst in seiner Einmaligkeit, in seiner konkreten und persönlichen Individualität: ihn und keinen anderen, ihn mit allem, was er ist, diesen Jesus, wie ihn verschiedene Texte nennen (Apg 1, 11; 2, 36; 5, 30; 9, 17). Dieses hinweisende Fürwort, gleichviel, ob ausdrücklich vermerkt oder nicht, spricht fast immer die grundlegende christliche Erkenntnis aus, nämlich die Kontinuität zwischen der im Fleische erschienenen Person und jenem himmlischen Wesen, das der Glaube bekennt: ,,Diesen Jesus, den ihr gekreuzigt habt, hat Gott zum Herrn und zum Christus gemacht" (2, 36). ,,Dieser Jesus, der von euch weg in den Himmel aufgenommen wurde, wird ebenso wiederkommen..."(1, 11). ,,Diesen Jesus, der nur wenig unter die Engel erniedrigt war, sehen wir mit ewiger Herrlichkeit gekrönt" (Hebr 2, 9). Jene Offenbarung, die Saulus auf seinem Wege nach Damaskus bekehrt hat, ist von derselben Art: ,,Ich bin Jesus, den du verfolgst" 9, 5; 22, 8; 26, 16). Nicht nur, daß sie dem von den Seinigen nicht zu trennenden Verfolger die Gegenwart ihres Herrn zum Bewußtsein bringt, sie läßt ihn auch die Identität erkennen zwischen jenem himmlischen Wesen, das sich ihm mit seiner ganzen Allmacht kundtut, und jenem Gotteslästerer aus Galiläa, den er haßerfüllt verfolgte. Mag er auch Christus dem Fleische nach nicht gekannt haben (2 Kor 5, 16), er ist ,,von Christus Jesus" für immer ,,ergriffen" worden (Phil 3, 12) und hat alle seine Vorteile daran gegeben, um ,,in die Erkenntnis Christi Jesu, seines Herrn", einzudringen (3, 8). Der gewaltige Christus, der das All mit der Fülle Gottes erfüllt (Kol 1, 15-20), bleibt jener ,,Christus, so wie ihr ihn angenommen habt, Jesus, der Herr" (2, 6).

II. Jesus, der Nazarener

Als Wesen von Fleisch, ,,von einem Weibe geboren, dem Gesetz unterworfen" (Gal 4, 4), ist Jesus zu einem bestimmten Zeitpunkt auf die Welt gekommen, ,,als Quirinius Statthalter von Syrien war" (Lk 2, 2), innerhalb einer menschlichen Familie, der Familie Josephs aus dem Hause Davids (1, 27), wohnhaft ,,in einer Stadt von Galiläa namens Nazareth" (1, 26). Der Name, den er gleich jedem jüdischen Knaben bei seiner Beschneidung erhielt (Lk 1, 31; 2, 21; Mt 1, 21. 25) war in Israel nicht außergewöhnlich (vgl. Sir 51, 30). Weil sich aber Gott in diesem Kinde zum Emmanuel =,,Gott mit uns" gemacht hat (Mt 1, 23), erfüllt er in ihn jene Verheißung, die er dem ersten Jesus, d. h. dem Josue, gegeben hat: mit ihm zu sein und sich als ,,Jahve der Erlöser" zu offenbaren (Dt 31, 7f). Indes schien seine Herkunft so wenig Ungewöhnliches an sich zu haben, daß man zu seiner Kennzeichnung seinem Namen in der Regel nicht einmal den Namen seines Vaters und seiner Ahnen angefügt hat, wie dies bei bekannten Familien der Fall war (vgl. Sir 51, 30), sondern nur den Namen seiner Heimatstadt Nazareth. Die Geschlechtsregister des Matthäus und Lukas werden später die königliche Abstammung Jesu betonen; die älteste Glaubensverkündigung gibt seiner landläufigen Bezeichnung den Vorzug und hält die Erinnerung daran fest, daß Jesus als ,,der Nazarener" gegolten hat (Jo 19, 19; Apg 2, 22; 4, 10; 7, 14; 22, 8).

III. Jesus in den Evangelien

Jesus ist jener Name, der in den Evangelien in der Regel verwendet wird, um Christus zu bezeichnen und von seiner Tätigkeit zu berichten. Doch scheint man ihn allgemein ,,Rabbi", Meister, genannt zu haben (Mk 4,38; 5, 35; 10, 17). Nach seinem Tode und nach seinem Eingehen in die Herrlichkeit aber bezeichnete man ihn als ,,den Herrn . Die Evangelien aber sprechen, abgesehen von einigen ganz bestimmten Ausnahmen (vgl. Mt 21, 3 und vor allem die rein ,,lukanischen Stellen": Lk 7, 13; 10, 1 usw.), stets einfach von Jesus. Dies ist keineswegs einem künstlichen Bemühen zuzuschreiben, eine dem Glauben vorgängige Sprechweise zu rekonstruieren, aus jener Zeit nämlich, da sich Jesus noch nicht ganz geoffenbart hatte und die meisten in ihm nur einen bloßen Menschen gesehen haben. Die Evangelien folgen vielmehr ohne jegliche Künstelei der Bewegung des Glaubens selbst, die stets darauf bedacht ist, auf ,,diesen Jesus" als konkrete Persönlichkeit die Gottes- und Erlösertitel anzuwenden, wie Herr (Apg 1, 21; 2, 36; 9, 17 usw.), Christus (2, 36; 9, 22; 18, 28 usw.), Erlöser (5, 31; 13, 23), Sohn Gottes (9, 20; 13, 33), Knecht Gottes (4, 27. 30). Wenn die Evangelien stets von Jesus sprechen, so liegt dies genau auf der Linie dessen, was sie sein wollen: das Evangelium die Verkündigung der Frohen Botschaft von Jesus (8, 35), von Christus Jesus (5, 42; 8, 12), vom Herrn Jesus (11, 20; vgl. 15, 35). Das Johannesevangelium, das am allermeisten darauf Bedacht nimmt, die Göttlichkeit Christi stets hervorzuheben, in jeder seiner Gesten die Herrlichkeit des eingeborenen Sohnes (Jo 1, 14) und die dem Menschensohn übertragene Vollgewalt aufzuzeigen (1, 51; 3, 14), läßt sich keine Gelegenheit entgehen, den Namen Jesu auszusprechen; es wiederholt ihn selbst dort, wo dies überflüssig erscheinen möchte, in den einfachsten Zwiegesprächen (Jo 4, 6. 21; 11, 32 bis 41). Gerade auf Grund des Willens, ,,den im Fleische gekommenen Jesus Christus zu bekennen (1 Jo 4, 2), offenbart diese bewußte Absicht die Gewißheit, jedesmal, da dieser Name wiederkehrt, am Reichtum des ,,Wortes des Lebens" Anteil zu erhalten und ihn zu offenbaren (1, 1).

IV. Der Name über allen Namen

Wenn sich der christliche Glaube von Jesus und von allem, was dieser Name an Erniedrigung und konkretem Menschenrum in sich schließt, nicht trennen kann, so deshalb, weil dieser Name zum ,,Namen über allen Namen" geworden ist, zu jenem Namen, ,,vor dem sich jedes Knie beugen muß, im Himmel, auf Erden und unter der Erde" (Phil 2, 9ff). Der Name Jesus ist zum Eigennamen des Herrn geworden; als Israel den Namen des Herrn anrief, um in ihm das Heil zu finden (Joel 3, 5), sprach es jenen Namen aus, den Gott sich selbst gegeben hatte, den Namen Jahve, als den Namen dessen, der stets mit seinem Volke ist, um es zu befreien (Ex 3, 14f). Dieser Name kennzeichnet eine vollkommen unabhängige und kraftvolle Persönlichkeit, der gegenüber jeder Versuch eines Zwanges oder einer Schmeichelei sinnlos wäre. Der Name Jesus besagt dieselbe göttliche Allmacht, dieselbe unverletzliche Lebensmacht, aber unter Zügen, die uns vertraut sind, in denen wir uns selbst wiedererkennen als in einem, der sich uns für immer geschenkt hat und der uns zugehört.

Das einzige Heil der Menschheit (Apg 4, 12), der einzige Reichtum der Kirche (3, 6), die einzige Macht über die sie verfügt, ist Jesus: ,,Jesus Christus macht dich gesund" (9, 34). Die ganze Sendung der Kirche besteht darin, ,,im Namen Jesu zu sprechen" (5, 40). So ,,predigt" der hl. Paulus am Tage nach seiner Bekehrung in den Synagogen von Damaskus ,,Jesus" (9, 20). Auf der Agorá von Athen verkündigt er ,,Jesus und die Auferstehung" (17, 18) und in Korinth ,,Jesus Christus, und zwar Jesus Christus den Gekreuzigten" (1 Kor 2, 2). Das ganze christliche Dasein besteht im Einsatz des Lebens ,,für den Na men unseres Herrn Jesus Christus" (Apg 15, 26), und die höchste Freude besteht darin, ,,würdig befunden zu werden, um des Namens Jesu willen Schmach zu erleiden (5, 41) und ,,für den Namen des Herrn Jesus zu sterben" (21, 13).

Abraham