HERZ

Die Vorstellungsinhalte, die das Wort ,,Herz" erweckt, sind im Hebräischen und im Deutschen nicht dieselben. In unserer Sprechweise ist das Herz an das affektive Leben gebunden: Das Herz liebt oder verabscheut, wünscht oder fürchtet; bei der verstandesmäßigen Tätigkeit aber wird ihm keinerlei Aufgabe zugesprochen. Der Hebräer dagegen spricht vom Herzen in einem viel weiteren Sinne: Das Herz ist das, was sich zuinnerst befindet. Nun aber trägt der Mensch in seinem Innern gewiß auch Gefühle, aber ebenso auch Erinnerungen und Gedanken, UEberlegungen und Pläne.

Das Hebräische spricht daher sehr oft vom Herzen, wo wir Gedächtnis oder Geist, Bewusstsein oder Gewissen sagen würden. ,,Weite des Herzens" kann den Umfang des Wissens meinen (1 Kg 5, 9); ,,gib mir dein Herz" kann den Sinn haben: ,,schenk mir deine Aufmerksamkeit" (Spr 23, 26), und ,,verhärtetes Herz" kann ,,vernagelt sein" bedeuten. Je nach dem Kontext kann sich der Sinn auf den intellektuellen Aspekt beschränken (Mk 8, 17) oder aber weiter zu nehmen sein (Apg 7, 51). In diesem Falle bezeichnet das Herz des Menschen seine ganze bewußte, vernunftbegabte und freie Persönlichkeit.

1. Herz und äußerer Anschein. In den zwischenmenschlichen Beziehungen kommt es klarerweise auf die innere Haltung an. Nun aber entzieht sich das Herz dem Blick. Normalerweise muß das AEußere eines Menschen das kundtun, was er im Herzen trägt. Auf diese Weise erkennt man das Herz mittelbar durch das, was das Antlitz zum Ausdruck bringt (Sir 13, 25), durch das, was die Lippen sagen (Spr 16, 23), durch das, was die Handlungen bezeugen (Lk 6, 44f). Indes können aber Worte und Handlungen das Herz nicht nur offenbaren, sondern auch verschleiern (Spr 26, 23-26; Sir 12, 16); der Mensch besitzt die verabscheuungswürdige Möglichkeit, auch falsch zu sein. In diesem Falle ist auch sein Herz falsch, denn das Herz befiehlt einen bestimmten Ausdruck nach außen hin, während es sich innerlich auf eine ganz andere Haltung festlegt. Diese Falschheit ist ein tiefwurzelndes UEbel, das die Bibel scharf anprangert (Sir 27, 24; Ps 28, 3 f).

2. Gott und das Herz. Auch dem Anruf Gottes gegenüber sucht der Mensch durch Falschheit auszuweichen. ,,Gott ist ein verzehrendes Feuer" (Dt 4, 24). Wie soll man sich seinen allzu radikalen Forderungen gegenüber verhalten? Selbst das auserwählte Volk hörte nicht auf, Auswege zu suchen. Um einer echten Bekehrung auszuweichen, versuchte es, Gott durch einen äußeren Kult (Am 5, 21 ...) und schöne Worte (Ps 78, 36f) zufrieden zustellen.

Doch erweist sich eine solche Lösung als illusorisch, denn Gott läßt sich nicht täuschen, wie man einen Menschen täuscht: ,,Der Mensch schaut auf den äußeren Schein, Jahve aber schaut aufs Herz" (1 Sm 16, 7). Gott ,,durchforscht das Herz und prüft die Nieren (Jr 17, 10; Sir 42, 18), entlarvt die Lüge und stellt fest: "Dieses Volk ehrt mich mit den Lippen, sein Herz aber ist fern von mir" (Is 29, 13). So fühlt sich der Mensch vor Gott in der letzten Tiefe seiner selbst in Frage gestellt (Hebr 4, 12f). Mit Gott in Beziehung treten heißt ,,sein Herz dranwagen" ( Jr 30, 21).

3. Notwendigkeit eines neuen Herzens. Israel kam es immer deutlicher zum Bewußtsein, daß eine äußere Religion nicht genügen kann. Um Gott zu finden, muß man ihn ,,aus ganzem Herzen suchen (Dt 4, 29). Israel hat verstanden, daß es galt, ein für allemal ,,sein Herz auf Jahve zu richten" (1 Sm 7, 3) und "Gott aus ganzem Herzen zu lieben (Dt 6, 5), und dies durch ein Leben echter Aufgeschlossenheit seinem Gesetz gegenüber. Doch bezeugt seine gesamte Geschichte sein völliges Unvermögen, ein solches Ideal zu verwirklichen. Hat doch das Böse von seinem Herzen Besitz ergriffen. "Dieses Volk besitzt ein störrisches und widerspenstiges Herz" (Jr 5, 23), ein "un beschnittenes Herz" (Lv 26, 41), "ein geteiltes Herz" (Os 10, 2). Statt ihr Vertrauen auf Gott zu setzen, "sind sie der Neigung ihres bösen Herzens gefolgt" (Jr 7, 24; 18, 12), so daß Drangsale ohne Zahl über sie hereingebrochen sind. Deshalb bleibt ihnen nichts anderes mehr übrig, als ,,ihr Herz zu zerreißen"(Joel 2, 13), mit einem ,,zerknirschten und gebrochenen Herzen" (Ps 51, 19) vor Gott hinzutreten und den Herrn zu bitten, ihnen ein ,,reines Herz zu erschaffen" (Ps 52, 12).

4. Verheißung. Und eben dies war der Plan Gottes, dessen Ankündigung Israel tröstete. Denn das Feuer Gottes ist ein Feuer der Liebe; Gott kann die Vernichtung seines Volkes gar nicht ins Auge fassen; schon beim bloßen Gedanken daran ,,kehrt sich sein Herz gegen ihn" (Os 11, 8). Wenn er seine treulose Braut in die Wüste geführt hat, so ist dies geschehen, um neuerdings zu ihrem Herzen zu sprechen (Os 2, 16). Die Prüfungen werden daher ein Ende finden, und es wird eine neue Zeit anbrechen, die durch eine innere Erneuerung gekennzeichnet sein wird, die Gott selbst bewerkstelligen wird. ,,Er wird dein Herz und das Herz deiner Nachkommen beschneiden so daß du Jahve, deinen Gott, aus ganzem Herzen und aus ganzer Seele liebst, damit du Leben habest" (Dt 30, 6). Die Israeliten werden ihre Widerspenstigkeit aufgeben, denn Gott wird einen Neuen Bund mit ihnen schließen, ,,sein Gesetz in ihr Inneres legen und es in ihr Herz schreiben"(Jr 31, 33). Ja noch mehr, Gott wird ihnen ein anderes Herz geben (Jr 32, 39), ein Herz, das fähig ist, ihn zu erkennen (Jr 24, 7; vgl. Dt 29, 3). Nachdem Gott die Pflicht eingeschärft hat: ,,Schaffet euch ein neues Herz" (Ez 18, 31), verspricht er, seine Forderung selbst zu verwirklichen: ,,Ich werde euch reinigen. Ich werde euch ein neues Herz geben, ich werde einen neuen Geist in euer Inneres legen; ich werde das Herz von Stein aus eurem Fleische entfernen und euch ein Herz von Fleisch geben" (Ez 36, 25f). Auf diese Weise wird zwischen Gott und seinem Volke eine endgültige Verbindung hergestellt werden.

5. Gabe. Diese Verheißung hat durch Jesus Christus ihre Erfüllung gefunden. Jesus greift zunächst auf die Unterweisung der Propheten zurück und warnt vor dem Formalismus der Pharisäer; er lenkt die Aufmerksamkeit auf das wahre UEbel, das aus dem Herzen kommt: ,,Denn aus dem Herzen kommen böse Gedanken, Mord, Ehebruch... das macht den Menschen unrein" (Mt 15, 19f). Jesus erinnert an die göttliche Forderung nach innerer Aufgeschlossenheit: Man muß das Wort mit einem guten und willigen Herzen aufnehmen (Lk 8, 15), Gott aus ganzem Herzen lieben (Mt 22, 37 par.), seinem Bruder aus ganzem Herzen verzeihen (Mt 18, 35). Und nur den reinen Herzen verheißt Jesus die Anschauung Gottes (Mt 5, 8). In einem aber geht Jesus über alle Propheten hinaus. Er, der sanftmütig und demütig von Herzen ist (Mt 11, 29), er selbst ist es, der seinen Jüngern diese Reinheit verleiht (Mt 9,2; 26, 28). Nach seiner Auferstehung wird ihnen die Erleuchtung zuteil: Während er mit ihnen sprach, brannte ihr Herz in ihnen (Lk 24, 32).

Fortan bewirkt der Glaube an Christus das Ja des Herzens, die innere Erneuerung, die auf keinem anderen Wege erreichbar ist. Dies bringt der hl. Paulus mit den Worten zum Ausdruck: ,,Wenn dein Herz glaubt, daß Gott ihn von den Toten erweckt hat, wirst du gerettet werden. Denn der Glaube des Herzens erlangt die Gerechtigkeit" (Röm 10, 9f). Durch den Glauben werden die Augen des Herzens erleuchtet (Eph 1, 18); durch den Glauben wohnt Christus in den Herzen (Eph 3, 17). In die Herzen der Glaubenden ist ein neuer Geist ausgegossen worden, ,,der Geist des Sohnes, der da ruft: Abba, Vater!" (Gal 4, 6), und mit ihm ,,die Liebe Gottes" (Röm 5, 5). Auf diese Weise wird ,,der Friede Gottes, der jegliches Begreifen übersteigt, unsere Herzen bewahren" (Phil 4, 7). Das ist der Neue Bund, der auf das Opfer dessen gegründet ward, dessen Herz die Schmähung brach (Ps 69, 21).

Johannes spricht vom Herzen fast nur, um daraus Angst und Zagen zu bannen (Jo 14, 27), verkündet aber mit anderen Worten die Erfüllung derselben Verheißungen: Er spricht von der Erkenntnis (1 Jo 5, 20; vgl. Jr 24, 7), von Gemeinschaft (1 Jo 1, 3), von Liebe und vom ewigen Leben. All dies kommt uns durch den gekreuzigten und verherrlichten Jesus zu. Dem Inneren Jesu entspringt eine Quelle (Jo 7, 38; vgl.19, 34), die den Glaubenden zuinnerst erneuert (4, 14). Jesus selbst geht in das Innere der Seinigen ein, um ihnen das Leben zu verleihen (6, 56f). Man könnte sogar sagen, daß Jesus nach Johannes das Herz des neuen Israel ist, jenes Herz, das die innigste Beziehung zum Vater herstellt und alle zu einer Einheit verbindet: ,,Ich in ihnen und du in mir, damit sie vollkommen eins seien" (17, 23; vgl. 11, 52; Apg 4,32); ,,damit die Liebe, mit der du mich geliebt hast, in ihnen sei und ich in ihnen" )Jo 17, 26). Antlitz