GEBET

I. Das Gebet in der Geschichte Israels

Die durchgehendste Konstante der Gebete des Alten Testaments ist wohl ihre Bezogenheit auf den Heilsplan Gottes: Man betet auf Grund dessen, was geschehen ist, was geschieht und was geschehen soll, auf daß der Erde das Heil Gottes geschenkt werde. Der Inhalt des Gebetes Israels stellt dieses also in die Geschichte hinein. Andererseits bildet das Gebet ein Merkmal der heiligen Geschichte. Es ist überraschend, festzustellen, wie viele große Augenblicke dieser Geschichte durch das Gebet der Mittler und des gesamten Volkes gekennzeichnet werden, die sich auf die Kenntnis des Ratschlusses Gottes berufen, um sein Eingreifen in der Gegenwart zu erlangen. Es seien nur einige Beispiele hierfür angeführt bis zu der Zeit, da das Gebet Christi und das seiner Braut, der Kirche, diesen ihre Bestätigung verleihen werden.

1. Moses. Er beherrscht sämtliche Gebetsvorbilder des Alten Testaments. Sein Gebet kündet als Typus des Fürbittgebetes das Gebet Jesu an. Mit Rücksicht auf ihn rettet Gott das Volk (Ex 33,17), von dem Moses klar unterschieden wird (32,10; 33,16). Dieses Gebet ist dramatisch (32,32). Seine Argumente entsprechen dem Schema jedes Bittgebetes: Appell an die Liebe Gottes:

,,Dieses Volk ist dein Volk" (33,13 vgl. 32,11; Nm 11,12); Appell an seine Gerechtigkeit und Treue: Man soll erkennen, daß du es bist; gedenke doch dessen, was du getan hast; Bedachtnahme auf die Ehre Gottes: Was werden die anderen Völker sagen, wenn du uns verläßts (Ex 32, 11-14.) Auch das Werk des Gesetzgebers Moses entspringt dem Gebet, einem Gebet, das mehr beschaulicher Natur ist und das ihn zum Wohle der anderen umwandelt 34,29-35). Endlich hat uns der Moseszyklus auch die Erinnerung und den Typus einer Verirrung des Gebetes aufbewahrt: jenes Gebetes, das eine ,,Versuchung Gottes" ist. Dabei folgt das Gebet der Neigung des niederen Begehrens, statt dem Rufe der Gnade im Sinne des göttlichen Ratschlusses zu folgen: In der Episode von Meriba und in der mit den Wachteln stellt man Gott auf die Probe (Ex 16,7; Ps 78; 106,32). Dies aber läuft darauf hinaus, daß man Gott sagt, man werde ihm glauben, wenn er unseren Willen tut (vgl. Jdt 8,11-17).

2. Könige und Propheten. Die messianische Verheißung des Propheten Nathan veranlaßte David zu einem Gebet, dessen wesentlicher Inhalt in den Worten zum Ausdruck kommt: ,,Tue, wie du gesagt hast!" (2 Sm 7,25; vgl. 1 Kg 8,26.) Ebenso schließt Salomo bei der Einweihung des Tempels alle künftigen Geschlechter in sein Gebet ein (Kirchweihoffizium: 1 Kg 8,10-61). In diesem Gebet gibt ein Reuemotiv den Ton an (1 Kg 8,47), dem wir nach der Zerstörung des Tempels neuerdings begegnen (Bar 2,1 bis 3,8; Neh 9). Doch sind uns auch noch andere Königsgebete erhalten geblieben (2Kg 19,15-19; 2 Chr 14,10; 20,6-12; 33, 12.18). Das Gebet für das Volk gehörte vermutlich zu den offiziellen Aufgaben des Königs.

Die Macht der Fürbitte (Gn 18,22-32) hat Abraham dazu verholfen, daß man ihn als Propheten bezeichnet hat (20,7). Die Propheten waren Männer des Gebetes (Elias: 1 Kg 18, 36f; vgl. Jak 5,17f) und gleich Samuel (vgl. Jr 15,1), Amos (Am 7,1-6), vor allem aber Jeremias, Fürsprecher. Im Letztgenannten wird die Tradition den sehen, ,,der viel für das Volk betet" (2 Makk 15,14). Die Aufgabe eines Fürsprechers setzt ein klares Bewußtsein des Unterschiedes, zugleich aber auch der Beziehung voraus, die zwischen Individuum und Gemeinschaft obwalten. Dieses Bewußtsein (vgl. auch Jr 45,1-5) macht den Reichtum des Gebetes des Jeremias aus, das in mehr als einer Hinsicht mit dem des Moses in Parallele steht, aber viel ausgiebiger belegt ist. Bald ist er derjenige, der um die Rettung des Volkes bittet (10,23; 14,7ff. 19-22; 37,3 ...), dessen Nöte er zu den seinigen macht (4,19; 8,18-23; 14,17f) Bald beklagt er sich über es (15,10; 12,1-5) und ruft sogar um Rache (15,15; 17,18; 18,19-23). Bald schüttet er sein Herz aus über sein eigenes Schicksal (20,7-18 ...). Zwischen diesen Gebeten und der Sammlung der Psalmen lassen sich zahlreiche UEbereinstimmungen in Form und Inhalt feststellen.

Auch Esras und Nehemias beten gleichzeitig für sich und für die anderen (Esr 9,6-15 Neh 1,4-11). Ebenso gehen auch die Makkabäer nach ihnen, nicht ohne zu beten, in den Kampf (1 Makk 5,33; 11,71; 2 Makk 8,29; 15,20-28). Die Bedeutung des formulierten persönlichen Gebetes wird in den nachexilischen Büchern nur noch stärker betont, die auf diese Weise ein wertvolles Zeugnis darstellen (Jon 2,3-10; Tob 3,11-16; Jdt 9,2-14; Est 4,17). Diese Gebete sind niedergeschrieben worden, um innerhalb einer Erzählung gelesen zu werden; nach ihnen kann man - und die Kirche lädt uns dazu ein - die seinigen gestalten. Die Zielsetzung derer aber, die das Psalterium zu einer Sammlung vereinigt haben, war, daß es gebetet werde; kein Gebet Israels ist mit dem Psalterium vergleichbar, und dies auf Grund seines universalen Charakters.

II. Die Psalmen als Gemeindegebet

Die Wunder Jahves (Ps 104 ...), die Gebote (Ps 15,81...), des Prophetentum (Ps 50 .. .), die Weisheit (Ps 37), die gesamte Bibel münden in ihren feinsten Verzweigungen in die Psalmen aus und werden darin zum Gebet. Das Gespür für die Einheit des Gebetes des auserwählten Volkes hat zu seiner Ausarbeitung, aber auch zu seiner UEbernahme durch die Kirche geführt. Gott, der uns das Psalterium gegeben hat, legt uns damit jene Worte in den Mund, die er hören will, und lehrt uns die Dimensionen des Gebetes.

1. Gemeinschafts- und persönliches Gebet. Oft ist es das Volk als solches, das voll des Jubels ist, das sich vergangener Großtaten erinnert oder in Klage ausbricht: "denke doch", ,,Wie lange noch?" (Ps 44;74; 77), oder aber die Gemeinde der Frommen (Ps 42,5 die Wallfahrtslieder ...Darin kommt der nahe oder ferne Tempel als die ideale Stätte des Gemeindegebetes häufig zur Sprache (Ps 5,8; 28,2; 48,10...). Man beruft sich auf die Gerechten (Ps 119,63), die auch als Argument dienen: sie sollen durch unseren Untergang nicht den Glauben verlieren (Ps 69,7); ihnen wird man es kundtun, wenn man Erhörung gefunden hat (Ps 22,23 = Hebr 2,12).

Trotz der häufigen Wiederkehr derselben Ausdrucksweisen ist das Psalterium kein bloßes Formular oder Zeremoniale. Die Spontaneität, die sich darin kundtut, beweist seinen Ursprung in einem persönlichen Erleben. Abgesehen von den aus gesprochen individuellen Gebeten, ist vor allem der Platz, den der König darin einnimmt, ein Beweis dafür, daß dem Individuum und der Gemeinde dieselbe Bedeutung beigemessen wird: der König ist in eminentem Sinne Einzelpersönlichkeit, gleichzeitig aber besitzt die Gemeinschaft in ihm ihr lebendiges Symbol. Die traditionelle Zueignung der Sammlung an David, der der erste Psalmist gewesen ist, weist auf seine Beziehung zum Mittlergebet Jesu, des Sohnes Davids, hin.

2. Das Gebet in der Prüfung. Das Gebet der Psalmen geht vom menschlichen Dasein in seinen verschiedenen Situationen aus. Vom Duft der Einsamkeit ist darin wenig zu spüren (Ps 55,7; 11,1). Dafür ist darin vom öffentlichen Leben und vom Krieg um so häufiger die Rede (Ps 55; 59; 22,13f. 17), was daraus einen unausgeglicheneren und stürmischeren Text macht, als man von einem Gebetbuch erwarten möchte. Wenn man sich in solch angstvollem Aufschrei an Gott wendet (Ps 69,4; 6,7; 22,2; 102,6), dann deshalb, weil alles auf dem Spiele steht, weil man mit seinem ganzen Ich, mit Seele und Leib, seiner bedarf (Ps 63,2). Der Leib mit all seinen Nöten und all seinen Freuden nimmt in diesem Gebet jenen Platz ein, der ihm im Leben zukommt (Ps 22; 38...). Der Psalmist sucht alle Güter das tob (Ps 4), und erwartet sie nur von Gott allein.

Weil der Psalmist weder darauf verzichtet, mit Gott zu leben noch seinen Weg auf Erden weiterzugehen, bereitet er sich darauf vor, geprüft ( Prüfung zu werden. Außerhalb dieser Perspektive - Erfahrung der Führung Gottes auf den Wegen, die der Mensch zu gehen hat - kann man sein Gebet nicht verstehen. Die Flehrufe ringen sich aus Augenblicken empor, da die Erwartung des Glaubens auf die Probe gestellt wird: Ist der Plan, den Gott mit einem bestimmten Menschen oder mit dem Volke hatte, zum Scheitern verurteilt oder nicht? Der Umgebung des Betenden ist das Gebet unbekannt (Ps 53,5); deshalb fragt man ihn spöttisch:

,,Wo ist dein Gott?" (Ps 42,4), und er selbst stellt sich dieselbe Frage (Ps 42-43; 73); seine Gewißheit ist nicht von der Art, daß ihr das Leben nie etwas zu geben oder zu nehmen vermöchte. Dies wirft Licht auf jene Stellen, wo sich der Psalmist auf seine Unschuld beruft, nicht aus bloßer Selbstgefälligkeit, sondern angesichts der Gefahr, oder weil der stets vorhandene Feind sie in Abrede stellt (Ps 7,4ff; 26, der in der heiligen Messe gebetet wird).

3. Ein zuversichtliches Gebet. Das Leitmotiv des Gebetes der Psalmen ist batah: sich verlassen auf (Ps 25,2; 55,24 ... Diese Zuversicht, die vom Lachen ins Weinen übergeht und umgekehrt (Ps 116,10; 23,4; 119,143), fmdet zwischen Flehrufen und Danksagungen ihr Gleichgewicht. Man dankt sogar schon vor erlangter Erhörung (Ps 140,I4; 22,25ff; vgl. Jo 11,41). Jene Psalmen, die nur Lobpreis enthalten, machen einen bedeutenden Teil der Sammlung aus. Jene drei Jünglinge, die im Feuerofen gemeinsam Gott loben, kennzeichnen den ganzen Psalter.

4. Gebet der Sehnsucht nach dem wahren Gute. Der Mensch, der von Gott irgendein Gut erwartet, ist aufgerufen, durch die Entdeckung über sich selbst hinauszuwachsen, daß sich zugleich mit dem Gute Gott selber schenkt. Man gibt seiner Freude darüber Ausdruck, unter den Augen Gottes leben zu dürfen, bei ihm sein, in seinem Hause wohnen zu können (Ps 16; 23; 25,14; 65,5; 91; 119,33ff). Ohne daß man sagen könnte, daß sich das Gebet der Psalmen von der Hoffnung genährt hätte, daß Gott dem Menschen die Teilnahme an seinem eigenen Leben schenkt, so wird doch diese unverdiente Gabe bereits erahnt (Ps 73,24ff; 16). Wer durch das Gebet der Psalmen geformt ist, ist auf deren Empfang vorbereitet und wird in ihnen die Voraussetzung finden, um dieser Erfahrung Ausdruck zu verleihen.

5. Das Psalterium als Gebet Jesu. Denn die Offenbarung Christi berechtigt dazu, das Hoffen des Psalmisten auch auf unsere Lage anzuwenden und dadurch zu bereichern, ohne aber deshalb dessen Verwurzelung in unserer menschlichen Situation zu beseitigen. Ferner können die Psalmen ohne jede Umdeutung auf Christus selber angewendet werden; die Psalmen sind sein Gebet gewesen (vgl. Mt 26,30). Er hat gleich seiner gesamten Umgebung seinem Inneren durch sie Ausdruck verliehen. Darf eine Frömmigkeit die das Innenleben Jesu Christi berücksichtigt, dieses grundlegende Dokument vernachlässigen?

III. Das Gebet, wie Jesus es gelehrt hat

Durch die Menschwerdung ist der Sohn Gottes mitten in das unablässige Flehen der Menschen hineingestellt worden. Indem er diesem Gehör schenkt, flößt er ihm Hoffnung ein. Zugleich aber lobt und ermutigt er den Glauben und erzieht er dazu (Lk 7,9; Mt 9,22.29; 15,28). Von diesem lebendigen Hintergrund her gesehen, bezieht sich seine Unterweisung mehr auf die Art und Weise zu beten als auf die Notwendigkeit des Gebetes: ,,Wenn ihr betet, so sprecht..." (Lk 11,2).

1. Die Synoptiker. Das Vaterunser bildet den Mittelpunkt dieser Unterweisung (Lk 11,2ff; Mt 6,9-13). Die Anrufung Gottes als Vater die die vertraute Sprechweise der Psalmen fortsetzt, sie aber gleichzeitig überbietet (Ps 27,10; 103,13 vgl. Is 63,16; 64,7), bestimmt die gesamte Haltung des Betenden. Diese Anrufung ist ein Akt des Glaubens, ja schon eine Hingabe seiner selbst, die in den Bannkreis der Liebe versetzt. Daher kommt es, daß es, ganz auf der Linie des biblischen Gebetes stehend, das Anliegen des Ratschlusses Gottes allem anderen voranstellt: seinen Namen sein Reich (vgl. Mt 9,38), die Verwirklichung seines Willens Doch bittet es auch um jenes Brot (das er uns in der Eucharistie schenkt), um die Vergebung nachdem man sich mir den Kindem desselben Vaters ausgesöhnt hat, endlich um die Gnade, in den kommenden Prüfungen bestehen zu können.

Die übrigen Mahnungen umrahmen und ergänzen das Vaterunser und sprechen häufig vom Vater. Der beherrschende Eindruck ist, daß die Gewißheit der Erhörung Quelle und Voraussetzung des Gebetes ist (Mt 18,I9; 21,22; Lk 8,50). Markus spricht dies am unmittelbarsten aus: ,,Wenn jemand in seinem Herzen nicht zweifelt, sondern glaubt, daß das, was er sagt, geschieht, dem wird es geschehen" (Mk 11,23; vgl. 9,23 und vor allem Jak 1,5-8). Die Gewißheit der Erhörung beruht auf der Tatsache, daß man zum Vater betet (Lk 11,13; Mt 7,11). Die Innerlichkeit des Gebetes gründet auf der Allgegenwart des Vaters, der ins Verborgene sieht (Mt 6,6; vgl. 6,4. 18). Man soll nicht viele leere Worte machen (Mt 6,7), als wäre Gott ferne von uns; ist Gott doch kein Baal, dem der Spott des Elias gegolten (1 Kg 18,26ff), sondern unser Vater. Bevor man betet, muß man vergeben haben (Mk 11,25 par.; Mt 6,14). Man bete in brüderlicher Gemeinschaft (Mt 18,19). Das Gebet geschehe aus einem zerknirschten Herzen, eingedenk der eigenen Schuld (Lk 18,9-14).

Man muß ohne Unterlaß beten (Lk 18,1; vgl. 11,5-8); unsere Beharrlichkeit muß erprobt werden, die Wachsamkeit unseres Herzens zum Ausdruck kommen. Die absolute Notwendigkeit des Gebetes wird mit der Endzeit begründet (Lk 18,1-7), die durch die Passion nahegerückt ist. Sonst vermag man ,,all dem, was kommen wird", nicht zu entrinnen (Lk 21,36; vgl. 22,39-46). Deshalb schließt auch das Vater unser mit einer Bitte an Gott um Bewahrung vor der >> Versuchung 2. Johannes stellt die Pädagogik des Gebetes lichtvoll heraus und zeigt den UEbergang vom bloßen Bittgebet zum wahren Gebet auf, vom Wunsch nach den Gaben Gottes zu jener Gabe, die Gott selber bringt, wie wir bereits in den Psalmen gesehen haben. So wurde die Samaritanerin von ihren Eigenwünschen zur Sehnsucht nach der Gabe Gottes emporgeführt (Jo 4,10), die Volksmenge zur Sehnsucht nach ,,jener Speise die vorhält zum ewigen Leben" (Jo 6,27). Deshalb ist der Glaube nicht bloß Voraussetzung des Gebetes, sondern auch dessen Wirkung; dem Wünschen wird zu gleich Erfüllung und Läuterung zuteil (Jo 4,50. 53; 11,25ff. 45).

IV. Das Gebet Jesu

1. Sein Gebet und seine Sendung. Nichts im Evangelium offenbart die absolute Notwendigkeit des Gebetes klarer als der Blick auf den betenden Herrn selbst. Er betet häufig auf dem Berge (Mt 14,23), allein (ebd.), abseits (Lk 9,18), selbst wenn ,,ihn alle suchen" (Mk 1,37). Man wäre im Irrtum, wollte man dieses Gebet durch das bloße Verlangen nach der stillen Vertrautheit mit dem Vater erklären; es steht mit der Sendung Jesu und mit der Erziehung der Jünger in Zusammenhang. Diese werden bei jenen vier Gebeten, die Lukas allein erwähnt, eigens genannt: so bei der Taufe (3,21), vor der Wahl der Zwölf (6,12), bei der Verklärung (9,29), vor der Lehre des Vaterunsers (11,1). Sein Gebet ist das Geheimnis, das seine Vertrautesten anzieht und in das er sie immer mehr einführt (9,18). Es bezieht sich auf sie; er hat für den Glauben der Seinigen gebetet. Der Zusammenhang zwischen seinem Gebet und seiner Sendung tritt in jenen vierzig Tagen deutlich hervor, die ihr in der Wüste vorangehen, denn sie wiederholen, was Moses getan, führen aber weit darüber hinaus. Dieses Gebet ist eine Prüfung: Jesus wird den satanischen Vorschlag, Gott zu versuchen, siegreicher abweisen, als dies Moses getan (Mt 4,7 = Dt 6,16: Massa), und vor der Passion läßt er uns erkennen, welche Hindernisse unser eigenes Gebet zu überwinden hat.

2. Sein Gebet und seine Passion. Die entscheidende Prüfung aber ist die am Ende seines Lebens, da Jesus am OElberg betet und will, daß seine Jünger mit ihm beten. Dieser Augenblick umfaßt das gesamte christliche Gebet; es ist ein kindliches Gebet: ,,Abba"; es ist ein zuversichtliches Gebet: ,,Dir ist alles möglich"; eine Prüfung des Gehorsams: wobei der Versucher zurückgewiesen wird: ,,Nicht mein Wille geschehe, sondern der deine" (Mk 14,36). In bezug auf seinen wirklichen Gegenstand aber ist es gleich unseren Gebeten ein unsicheres Tasten.

3. Sein Gebet und seine Auferstehung. Doch wurde dem Gebet schließlich eine Erhörung zuteil, die über alles Erwarten ging. Die Stärkung durch den Engel (Lk 22,43) war die unmittelbare Antwort, die der Vater für den Augenblick gab. Der Hebräerbrief aber belehrt uns in ebenso wurzelhafter wie kühner Weise, daß die Auferstehung die Erhörung dieses so echt menschlichen Gebetes Christi gewesen ist, ,,da er in den Tagen seines Erdenlebens unter lautem Schreien und unter Tränen Gebet und Flehen vor den brachte, der ihn vor dem Tode retten konnte, und wegen seiner Frömmigkeit Erhörung fand" (Hebr 5,7). Die Auferstehung Jesu als zentraler Moment des Heiles der Menschheit war die Antwort auf jenes Gebet des Gottmenschen, das alle menschlichen Bitten der Heilsgeschichte zusammengefaßt hat (Ps 2,8: ,,Rufe zu mir").

4. Der Abend des Gründonnerstags. Nach dem uns Jesus zuerst darüber belehrt hatte, wie wir beten sollen, betet er hier persönlich. Seine Unterweisung deckt sich in bezug auf die Gewißheit der Erhörung mit der der Synoptiker (parresia in 1 Jo 3,21; 5,14), doch eröffnet die hier genannte Bedingung: ,,in meinem Namen", neue Perspektiven. Es handelt sich darum, vom mehr oder weniger instinktiven Bittgebet zum wahren Gebete vorzustoßen. Das Wort Jesu: ,,Bis jetzt habt ihr noch um nichts in meinem Namen gebetet" (Jo 16,24), darf also auf viele Getaufte angewendet werden. ,,Im Namen" Christi beten setzt mehr voraus als eine Formel, so wie ein Schritt, den man im Namen eines anderen unternimmt, eine wirkliche Verbundenheit mit diesem anderen voraussetzt. So beten bedeutet durchaus nicht, nur um die Dinge des Himmels bitten, sondern das wollen, was Jesus will. Nun aber ist sein Wille nichts anderes als seine Sendung daß seine Einheit mit dem Vater zur Grundlage der Einheit der Berufenen werde. ,,Daß alle eins seien, so wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin" (Jo 17,22f). In seinem Namen sein und wollen, was er will, heißt auch nach seinen Geboten wandeln, deren erstes jene Liebe zur Pflicht macht, die man erbittet. Die Liebe ist also im Gebete alles: dessen Voraussetzung und dessen Ziel. Der Vater gibt alles auf Grund dieser Einheit. Auf diese Weise findet die beständige Aussage der Synoptiker, daß jedes Gebet erhört werde, hier ,,ohne Verwendung eines Gleichnisses (Jo 16,29) ihre Bestätigung für erneuerte Herzen. Hier liegt eine neue Situation vor, doch erfüllt sie die Verheißung vom Tage Jahves, wonach ,,alle, die den Namen Jahves anrufen werden, gerettet werden" (Joel 3,5 Röm 10,13). Das Gebet des Abendmahlsaales verkündet jene AEra als nunmehr gekommen, da die Wohltaten des Himmels dem Sehnen der Erde entsprechen (Os 2,23-25; Is 30,19-23; Zach 8,12-15; Am 9,13). Solcher Art ist das Gebet Jesu, das über das unsere hinausgreift. Er sagt nur selten: ich bete; gewöhnlich: ich bitte, und einmal: ich will (am Schluß: Jo 17,24). Dieses Gebet ist ein Ausdruck seiner (nach Hebr 7,25 immerwährenden) Fürsprache und offenbart das innere Wesen seiner Passion wie des eucharistischen Mahles. Denn die Eucharistie ist das Unterpfand des völligen Zugegenseins ( Gegenwart Gottes in seiner Gabe und die Möglichkeit völliger Vereinigung.

V. Das Gebet der Kirche

1. Die Gemeinde. Die erste Bekundung des Lebens der Kirche erfolgte im Rahmen des Gebetes Israels. Der Schluß des Lukasevangeliums versetzt uns in den Tempel, wo die Apostel ,,allezeit weilten ... um Gott zu preisen" (Lk 24,53; Apg 5,12). Der hl. Petrus steigt um die sechste Stunde auf das Dach, um zu beten (Apg 10,9). Petrus und Johannes gehen um die neunte Stunde hinauf in den Tempel, um zu beten (3,1; vgl. Ps 55,18 und die Sext und Non unseres Offiziums). Man erhebt die Hände zum Himmel (1 Tim 2,8; vgl. 1 Kg 8,22; Is 1,15), gewöhnlich stehend, zuweilen kniend (Apg 9,40; vgl. 1 Kg 8,54). Man singt Psalmen (Eph 5,19; Kol 3,16). ,,Alle verharrten einmütig im Gebet" (Apg 1,14). Dieses gemeinschaftliche Gebet, das auf Pfmgsten ausgerichtet war, bereitete nach diesem Ereignis auf sämtliche großen Augenblicke des kirchlichen Lebens im Verlaufe der Apostelgeschichte vor: auf die Wahl eines Ersatzmannes für Judas (1,24 bis 26), auf die Einsetzung der Sieben (6,6), die es den Zwölfen leichter machen sollten, zu beten (6,4). Man betet um die Befreiung des Petrus (4,24-30), für die von Philippus in Samaria Getauften (8,15). Wir sehen den hl. Petrus (9,40; 10,9) und den hl.Paulus beten(9,11; 13,3; 14,23; 20, 36; 21,5...).Die Apokalypse aber enthält Anklänge an das hymnische Gebet, das von der versammelten Gemeinde verrichtet wurde (Apk 5,6-14...)

2. Der hI. Paulus

a) Ein Ringen. Der hl. Paulus fügt jenen Worten, die das Gebet bezeichnen, Ausdrücke an wie ,,ohne Unterlaß", ,,jederzeit" (Röm 1,10; Eph 6,18; 2 Thess 1,3. 11; 2,13; Phm 4; Kol 1,9) oder ,,Tag und Nacht" (1 Thess 3, 10;1 Tim 5,5). Er fasst das Gebet als ein Ringen auf: ,,Ringet mit mir in den Gebeten, die ihr für mich an Gott richtet" (Röm 15,30; Kol 4,12), ein Ringen, das mit dem seines Apostelamtes zusammenfällt (Kol 2,1). Um das Antlitz der Thessalonicher zu sehen, betet er ,,mehr als viel" (1 Thess 3,10). Denselben unübersetzbaren Superlativ verwendet er, um die Art und Weise zu umschreiben, wie Gott uns erhört (Eph 3,20). ,,Dreimal habe ich den Herrn gebeten", sagt er (2 Kor 12,8), auf daß ihm der Stachel aus dem Fleische genommen werde.

b) Ein apostolisches Gebet. Das eben zitierte Beispiel steht einzig da; denn alle Bitten, die er in seinem Gebet vorbringt, das in unlösbarem Zusammenhang mit dem sich in seiner Sendung erfüllenden Ratschluß Gottes steht, betreffen die Ausbreitung des Reiches Gottes. Diese aber schließt konkrete Wünsche in sich: das Verständnis für die Sorge um Jerusalem (Röm 15,30f), das Ende einer Drangsal (2 Kor 1,11), seine Freiheit (Phm 22). Für dies und anderes (Phil 1,19; 1 Thess 5,25) erbittet er das Gebet der anderen, wie er umgekehrt den Kolossern versichert (4,12), daß Epaphras für sie im Gebet ringe. Das Gebet erscheint bei ihm eindeutig als das einigende Band innerhalb des im Aufbau begriffenen Leibes Christi (siehe auch 1 Jo 5,16).

c) Danksagung. Immer wieder stellt man beim hl. Paulus fest, wie sich - ganz im Sinne der Tradition - Bittgebet und Lobpreis die Waage halten: ,,Gebete und Bitten, verbunden mit Danksagung" (Phil 4,6; vgl. 1 Thess 5,17f; 1 Tim 2,1). Er selbst beginnt seine Briefe (mit Ausnahme des Galater- und des zweiten Korintherbriefes, und dies aus ganz bestimmten Gründen) mit einer Danksagung für die Fortschritte der Adressaten und mit dem Hinweis auf sein Gebet, auf daß Gott vollende, was seine Gnade gewirkt hat (Phil 1,9). Es scheint, als vereinige die Danksagung alle übrigen Komponenten des Gebetes auf sich: Nach dem, was wir in Jesus Christus ein für allemal empfangen haben, kann man gar nicht mehr beten, ohne von dieser Gabe auszugehen, und man bittet, um danken zu können (2 Kor 9, 11-15).

d) Gebet im Geiste des Sohnes. Der hI. Paulus vermittelt uns ein klares Licht überdie Aufgabe des Heiligen Geistes in jenem Gebet, das uns mit der Allerheiligsten Dreifaltigkeit verbindet. So wie wir alle es jetzt noch in den Augenblicken des liturgischen Gebetes tun, richtet er seine Gebete durch Christus an den Vater. Nur selten wendet er sich an den ,,Herrn", d. h. an Jesus (2 Kor 12,8; vgl. Eph 5,19, doch spricht die Parallele in Kol 3,16 an Stelle des Herrn von ,,Gott"). Nun ist es aber gerade der Geist der Kindschaft (Röm 8,15), der uns durch Christus (= in seinem Namen) beten läßt. Durch ihn sagen wir gleich Jesus ,, Vater , und dies in der vertraulichen Form ,,Abba", ein Ausdruck, den die Juden ihren irdischen Vätern vorbehielten und den sie für den Vater im Himmel nicht verwendet hätten. Diese Gnade kann uns nur von oben gegeben werden: ,,Gott hat den Geist seines Sohnes in unsere Herzen gesandt, der da ruft: Abba, Vater !,, (Gal 4,6; vgl. Mk 14,36.)

Auf diese Weise geschieht dem Bedürfnis der Menschheit, ihr Gebet durch eine göttliche Initiative zu rechtfertigen, tatsächlich Genüge. Es ist nicht nur eine kindliche Haltung, die das Herzstück unseres Gebetes ausmacht, sondern etwas noch viel Tieferes: ein Kindsein ( Sohn . Auf diese Weise verleiht der Geist, der in uns betet, unserem Gebet bei all seinem unsicheren Tasten (Röm 8,26) die Zuversicht (Hebr 4,14ff; Jak 4,3ff), in jene Tiefen vorzustoßen, aus denen uns Gottes Anruf trifft, der ein Anruf der Liebe ist. Wir wissen, welchen Namen diese Gabe trägt, die Ursprung und Ziel unseres Betens ist: Es ist jener Geist der Liebe, den wir bereits empfangen haben (Röm 5,5) und dennoch stets von neuem erbitten (Lk 11,13). In ihm bitten wir um eine neue Welt in ihm sind wir der Erhörung gewiß. Außer ihm betet man ,,wie die Heiden". In ihm ist jedes Gebet das Gegenteil einer Flucht: ein Ruf, der die Begegnung des Himmels mit der Erde beschleunigt. ,,Der Geist und die Braut sprechen: Komm! ...Ja, komm, Herr Jesus!" (Apk 22,17. 20.) Anbetung