FROEMMIGKEIT

Die Frömmigkeit ist nach moderner Auffassung die Treue in der Erfüllung der religiösen Pflichten, wobei diese meist auf die UEbungen der Frömmigkeit beschränkt werden. In der Bibel aber besitzt die Frömmigkeit einen viel weiteren Wirkungskreis, denn sie schließt auch die Beziehungen des Menschen zu den anderen Menschen mit ein.

AT

1. Die Frömmigkeit in den zwischenmenschlichen Beziehungen. Im Hebräischen bezeichnet die Frömmigkeit (hesed) zunächst jene gegenseitigen Beziehungen, die Verwandte (Gn 47, 29), Freunde (1 Sm 20, 8), Verbündete (Gn 21, 23) miteinander verbinden; sie meint eine Zuneigung, die eine wirksame und verläßliche gegenseitige Hilfe in sich schließt. Der Ausdruck ,,hesed üben" weist schon darauf hin, daß sich die Frömmigkeit im Handeln kundtun muß. In dem Begriffspaar hesed- emet, ,,Frömmigkeit - Treue" (Gn 24, 49; Spr 20, 28; Ps 25, 10) durchdringen sich die beiden Begriffe gegenseitig: der zweite bezeichnet eine Seelenhaltung, ohne die die durch den ersten Begriff bezeichnete Güte nicht vollkommen wäre. Für die LXX, die hesed mit eleos (= Erbarmen) übersetzt, scheint das Wesen der Frömmigkeit in der mitfühlenden Güte zu liegen.

2. Die Frömmigkeit in den Beziehungen zu Gott. Dieses starke menschliche Band, das die hesed meint, läßt uns jenes andere begreifen, das Gott durch den Bund zwischen sich und seinem Volke geknüpft hat. Der Frömmigkeit Gottes, d. h. seiner erbarmenden Liebe zu Israel, seinem Erstgeborenen (Ex 34, 6; vgl. 4, 22; Jr 35, 3; Is 54, 10), muß eine andere Frömmigkeit entsprechen, jene kindliche Anhänglichkeit nämlich, die sich in treuem Gehorsam und freudigem Kulte äußert (vgl. Dt 10, 52f). Aus dieser Gott gegenüber geübten Liebe aber muß eine brüderliche Liebe unter den Menschen erfließen, die eine Nachahmung der Güte Gottes und seiner Obsorge für die Armen ist. Deshalb gesellt ihr Michäas bei der Umschreibung der wahren Frömmigkeit die Gerechtigkeit, die Liebe und die Demut hinzu (Mich 6, 8).

Diese Bestimmung ist die der Propheten und der Weisen. Für Osee besteht die Frömmigkeit nicht in den Riten, sondern in jener Liebe, die diese beseelen muß (Os 6, 6 = Mt 9, 13) und die von der Gerechtigkeit (Os 12, 7) und von der Treue zum Gesetz nicht getrennt werden kann (Os 2, 21f; 4, 1f). Nach Jeremias ist Gott selbst unser Vorbild für die Frömmigkeit und Gerechtigkeit (Jr 9, 23). Aus anderen Stellen ersieht man, daß die Frömmigkeit in Verruf gerät, wenn die Armen unterdrückt werden und die Gerechtigkeit mißachtet wird (Mich 7, 2; Is 57, 1; Ps 12, 2 - 6). In den Psalsnen findet der Kult des frommen Menschen (hebr. häsid, griech. hosios oder eusebes) seinen Ausdruck in einem liebeerfüllten, vertrauenden, frohen Lobpreis (Ps 35, 24; 149), der die Güte Gottes besingt (Ps 103). Doch ist dieser Kult Gott nur dann wohlgefällig, wenn er sich mit der Rechtschaffenheit verbindet (Ps 50). Gott verleiht jenen frommen Menschen, die Kult und Liebe nicht voneinander trennen (Sir 35, 1 - 10), die Weisheit (Sir 43, 33), so daß sie aus allen von Gott geschaffenen Gütern Nutzen zu ziehen vermögen (Sir 39, 27).

Diese aufs Ganze gehende Frömmigkeit war es, die die Assidäer der Makkabäerzeit beseelte (von häsidim, ,,fromm": 1 Makk 2, 42). Sie kämpften für ihren Glauben bis zum Tode. Die Frömmigkeit, die ihnen die Kraft hierzu verlieh, war der Auferstehung gewiß (2 Makk 12, 45). Das ist jene Frömmigkeit, ,,die stärker ist als alles", deren Sieg beim Endgericht die Weisheit besingt (Weish 10, 12; vgl. die Gegenüberstellung Gerechter-Gottloser in Weish 2 - 5). Mit dieser Frömmigkeit wird der Messias ausgestattet sein, der das Reich Gottes hienieden aufrichten ,wird (Is 51, 2; LXX: eusebeia).

NT

1. Die Frömmigkeit Christi. Die Erwartung derer, die sich darnach sehnten, ,,Gott in Frömmigkeit (hosiotes) und Gerechtigkeit zu dienen", hat in jener erbarmenden Liebe Gottes (eleos) ihre überreiche Erfüllung gefunden, die uns Christus gesandt hat (Lk 5, 75. 78). Christus ist der ,,Fromme" schlechthin (Apg 2, 27; 13, 35; hosios = Ps 16, 10: häsid). Seine Sohnesfrömmigkeit läßt ihn in allem den Willen Gottes, seines Vaters, erfüllen (Jo 8, 29; 9, 31). Sie führt ihn dazu, ihm einen vollkommenen Kult darzubringen (Hebr 10, 5 - 10). Sie beseelt das glühende Gebet seiner Agonie und die Darbringung jenes schmerzlichen Opfers, durch das er uns geheiligt hat (Mk 14, 35f par.). Auf diese Weise ist er zu jenem frommen Hohenpriester geworden, dessen wir bedurften (Hebr 7, 26) und der auf Grund seiner Frömmigkeit bei Gott Erhörung gefunden hat (5, 7). Deshalb wird das Gcheimnis Christi auch als ,,Geheimnis der Frömmigkeit" bezeichnet (1 Tim 3, 16: eusebeia): in ihn verwirklicht die erbarmende Liebe (Frömmigkeit) Gottes ihren Heilsplan; in ihm besitzt die Frömmigkeit des Christen ihre Quelle und ihr Vorbild.

2. Die Frömmigkeit des Christen. Gott hatte schon immer Wohlgefallen an jenen Menschen gleich welcher Nation, die, von der Furcht Gottes beseelt, in Gebet und Almosen an der jüdischen Frömmigkeit in ihren beiden Wesenselementen teilnahmen, dem Kulte Gottes und der UEbung der Gerechtigkeit; solcher Art waren der Jude Simeon (Lk 2, 25), jene Männer, die zum Pfingstfest nach Jerusalem gekommen waren (Apg 2, 5), und der Hauptmann Cornelius (Apg 10, 2. 4. 22. 34f). Diese Frömmigkeit wurde durch Jesus und durch die Ausgießung des Heiligen Geistes erneuert. In der Apostelgeschichte begegnen wir verschiedenen frommen Männern dieser Art (eulabes): so Ananias (Apg 22, 12) oder jenen Christen, die kamen, um Stephanus zu bestatten (Apg 8, 2). In paulinischer Sprache ausgedrückt, ist der Kult, den sie nunmehr Gott darbringen, von einem Geiste der Kindschaft beseelt (vgl. Gal 4, 6), und ihre Gerechtigkeit ist eine solche des Glaubens der durch die Liebe wirksam ist (Gal 5, 6). Das ist die Frömmigkeit (hosiotes) des neuen Menschen, die wahre christliche Frömmigkeit (Eph 4, 24), die der hl. Paulus den wertlosen UEbungen einer falschen und rein menschlichen Frömmigkeit gegenüberstellt (Kol 2, 16 - 23); durch sie erweisen wir Gott einen wohlgefälligen Kult, der von echter Religion (eulibeia) und Furcht getragen ist (Hebr 12, 28).

In den Pastoralbriefen und im zweiten Petrusbrief wird die Frömmigkeit (eusebeia) den grundlegenden Tugenden des Hirten als des Mannes Gottes beigezählt (1 Tim 6, 11; Tit 1, 8). Sie ist aber auch jedem Christen notwendig (Tit 2, 12; 2 Petr 1, 6f). Zwei ihrer Eigentümlichkeiten werden besonders hervorgehoben. Erstens macht sie von der Liebe zum Gelde frei; im Gegensatz zur profitgierigen falschen Frömmigkeit begnügt sie sich mit dem Notwendigen, und der Vorteil, den sie bringt, ist eben diese Freiheit selber (1 Tim 6, 5 - 10). Fürs zweite verleiht sie die Kraft, jene Verfolgungen zu ertragen, die der Anteil derer sind, die ihre Augen auf Christus richten (2 Tim 3, 10ff). Ohne diese innere Losschälung und diese Standhaftigkeit besitzt man nur den äußeren Schein der Frömmigkeit (3, 5). Der wahren Frömmigkeit ist die Hilfe Gottes in den Prüfungen dieses Lebens und das ewige Leben verheißen (2 Petr 2, 9; 1 Tim 4, 7f).

So verstanden, bezeichnet die Frömmigkeit letztlich das gesamte christliche Leben mir allen seinen Forderungen (vgl. 1 Tim 6, 3; Tit 1, 1). In Beantwortung der Liebe dessen, der der ,,einzig Fromme" ist (Apk 15, 4: hosios), muß der Christ ihn nachahmen und dadurch vor seinen Brüdern das Antlitz ihres himmlischen Vaters aufleuchten lassen. Barmherzigkeit