EVANGELIUM

Für uns bezeichnet das Evangelium sowohl die Schrift, die vom Leben Jesu berichtet, wie auch den einzelnen Abschnitt, der bei der heiligen Messe daraus gelesen wird. Im Profangriechischen bezeichnete Evangelium jede ,,gute Nachricht", jede ,,frohe Botschaft", insbesondere die Siegesbotschaft. Die Pax Romana, die bedeutendsten Ereignisse im Leben des Kaisers, der als Gott und Erlöser bezeichnet wurde, wurden ebenfalls im Sinne froher Botschaften gefeiert. Doch hat der christliche Sprachgebrauch das Zeitwort ,,das Evangelium verkünden" höchstwahrscheinlich dem Alten Testament entnommen, und zwar im Sinne der Verkündigung der Heilsbotschaft.

I. Altes Testament

Dem Hebräischen stand ein Wort zur Verfügung, das die Verkündigung froher Botschaften des privaten wie des nationalen Lebens zum Ausdruck brachte: so die Botschaft vom Tode eines Feindes (2 Sm 18, 19f. 26), vom Siege (Ps 68, 12), von der Errettung Judas (Nah 2, 1). In Is 40 - 66 nimmt dieses Wort eine ausgesprochen religiöse Bedeutung an. Der ,,Künder der frohen Botschaft" kündigte darin zugleich mit dem Ende des Exils das Kommen des Reiches Gottes an (Is 52, 7): Seine Botschaft ist eine Botschaft des Trostes der Vergebung der Sünden, der Rückkehr Gottes nach Sion (40, I f. 9). Dieses ,,Evangelium" ist eine göttliche Kraft, die am Werke ist (52, 1f). Vom hohen Berge aus verkündet (40, 9), geht sie alle Heidenvölker an (52, 10; vgl. Ps 96, 2). Sie greift über den Horizont dieser Weltzeit hinaus. UEber die Heimkehr aus dem Exil hinaus kündet sie den endgültigen Sieg und die endgültige Herrschaft Gottes an.

II. Jesus

1. Der Verkünder einer Frohen Botschaft. In seiner Antwort an die Abgesandten des Täufers (Mt II, 4f par.) wie bei der Szene in der Synagoge von Nazareth (Lk 4, 16 - 21) wendet Jesus den Text von Is 61, 1 f auf sich an: , ,Von Gott gesalbt mit dem Heiligen Geiste und mit Wunderkraft" (Apg 10, 38; Mt 3, 16f), ist er gekommen, ,,um den Armen die Frohe Botschaft zu verkünden".

2. Die Frohe Botschaft. ,,Die Zeiten sind erfüllt. Das Reich Gottes ist nahe" (Mk 1, 15), das ist der wesentliche Inhalt der Botschaft. Diesmal aber wird die Person des Boten zum Mittelpunkt der Frohen Botschaft. Das Evangelium ist Jesus (vgl. Mk 1, 1). Die Engel haben seine Geburt als eine Frohe Botschaft verkündet (Lk 2, 10f). Mit ihm ist das Reich Gottes gegenwärtig geworden (Mt 12, 28). Wer um Jesu Kreuz und ,,um des Evangeliums willen" alles verläßt, erhält jetzt schon das Hundertfache dafür (Mk 13, 30). Deshalb drängen sich die Massen um den Künder der Frohen Botschaft und suchen ihn festzuhalten. Doch muß sich das Evangelium ausbreiten: ,,Auch den anderen Städten muß ich die Frohe Botschaft vom Reiche Gottes verkünden; denn dazu bin ich gesandt" (Lk 4,43).

3. Die Antwort auf das Evangelium muß in Buße und Glauben bestehen (Mk 1, 15). Gott bietet eine Gnade der Vergebung (Mk 2, 10 par.; 2, 17 par.), der Erneuerung an (Mk 2, 21f). Er erwartet vom Menschen, daß er seine Sünde bekenne, sich von ihr abwende und sein Leben auf das Evangelium gründe: ,,Wer sein Leben retten will, wird es verlieren, wer aber sein Leben um meinetwillen und um des Evangeliums willen verliert, wird es retten" (Mk 8, 35). Die Allerersten, denen die Frohe Botschaft gilt, sind die ,,Armen im Geiste" (Mt 5, 3 par.; M.k 10, 17 - 23 par.), die ,,Kleinen" (Mt 11, 28; Lk 9, 48; 10, 21), selbst die Sünder (Lk 15, 1f; 18, 9 - 14; Mt 21, 31), ja sogar die Heiden (Mt 8, 10f; 11, 21 - 28 par.). Das Bewußtsein ihrer Bedürftigkeit gibt ihnen die innere Bereitschaft, ihr Gehör zu schenken und sich das göttliche Erbarmen, dem sie entspringt, zunutze zu machen (Mt 9, 36; 14, 54 par.; Lk 7,47 bis 50; 19, 1 - 10).

III. Die Apostel

1. Die Boten. Der Auferstandene befahl seinen Aposteln, ,,hinzugehen in alle Welt und jeglicher Kreatur das Evangelium zu verkünden" (Mk 16, 15), ,,allen Völkern"

(Mk 53, 10). Die Apostelgeschichte beschreibt die Etappen dieser Verkündigung (kerygma). Trotz aller Hindernisse breitete sich das Evangelium ,,bis an die Grenzen der Erde" aus (Apg 1, 8). Kraft der Gnade des Heiligen Geistes verkündet es die Kirche ,,mit Zuversicht" (2, 29; 4, 13. 31; 28, 31). Diese Aufgabe ist von solcher Bedeutung, daß sie genügt, um jene zu qualifizieren, die sie erfüllen; so wird der Diakon Philippus als ,,Evangelist" bezeichnet (Apg 25, 8; vgl. Eph 4, 15; 2 Tim 4, 5).

2. Die Botschaft. Die Frohe Botschaft ist stets die vom Reiche Gottes (Apg 8, 12; 14, 21f; 19, 8; 20, 25; 28, 23). Sie besagt, daß ,,die unseren Vätern gemachte Verheißung in Erfüllung gegangen ist" (13, 32). Sie besteht in der Gnade der Vergebung der Sünden als Gabe des Heiligen Geistes (2, 38; 3, 26; 50, 43; 13, 38; 17, 30). Doch

ist sie von nun an gleicherweise ,,die Frohe Botschaft von Jesus" (8, 35; 17, 18), ,,vom Namen Jesu Christi" (8, 12), ,,vom Herrn Jesus" (11, 20), ,,vom Frieden durch Jesus Christus" (10, 36). Die Auferstehung Christi wird zum Mittelpunkt des Evangeliums.

3. Die Annahme des Evangeliums. Die Verkündigung der Frohen Botschaft wird von den durch Jesus verheißenen ,,Zeichen" begleitet (Mk 16, 1; Apg 4, 30; 5, 15. 16; 8, 6ff; 19, 11f). Sie verbreitet sich in einer Atmosphäre der Armut, der Einfalt, der gegenseitigen Liebe und der Freude (Apg 2, 46; 5, 45; 8, 8. 39). Das Evangelium begegnet überall Herzen die dafür aufgeschlossen sind, ,,begierig, das Wort Gottes zu hören" (13, 7. 52), voll Verlangen, zu erfahren, was man tun müsse, um gerettet zu werden (16, 29f). Sie alle haben das eine gemeinsam, daß sie die Botschaft ,, hören (2, 22. 37; 3, 22f usw.), sie ,,aufnehmen" (8, 14; II, 1; 17, 11), ihr ,,gehorchen" (6, 7). Die verächtliche Selbstgenügsamkeit (13, 41), Eifersucht (13, 45f), Oberflächlichkeit (17, 32) dagegen verschließen das Herz der Menschen gegen über dem Evangelium.

IV. Der hl. Paulus

1. Der Bote. Paulus ist der Mann des Evangeliums schlechthin. Gott hat ihn ,,für das Evangelium ausgesondert" (Röm 1, 1). Er hat ihm seinen Sohn geoffenbart, damit er ,,ihn unter den Heiden verkünde" (Gal 1, 15f). Er hat ihm ,,das Evangelium anvertraut (1 Thess 2, 4). Als ,,Diener" des Evangeliums (Kol 5, 23) ist Paulus es sich schuldig, es zu verkünden (1 Kor 9, 16), er bringt Gott auf diese Weise ,,einen geistigen Kult dar (Röm 1, 9) und übt einen ,,heiigen Dienst" aus (Röm 15, 16).

2. Die Botschaft. Dieses Evangelium nennt der hl. Paulus entweder ganz einfach ,,Evangelium" oder ,,Evangelium Gottes" oder Evangelium ,,von seinem Sohne.

unserm Herrn Jesus Christus" (Röm 1, 3ff. 9), ,,Evangelium Christi" (Röm 15, 19f;

2 Kor 2, 12 usw.), ,,Evangelium von der Herrlichkeit Christi" (2 Kor 4, 4), Evangelium vom ,,unergründlichen Reichtum" Christi (Eph 3, 8).

a) Heilskraft. Gleich dem der gesamten Kirche, aber mit besonderer Betonung, ist das Evangelium des hl. Paulus auf den Tod und auf die Auferstehung Christi kon zentriert (1 Kor 15, 1 - 5) und auf seine Wiederkunft in Herrlichkeit ausgerichtet (1 Kor 55, 22 - 28). Es ist die neue Heilsveranstaltung, soferne es sich durch die apostolische Predigt und die ihm innewohnende göttliche Energie ausbreitet und entfaltet, es ist ,,eine Kraft Gottes zum Heile" (Röm 1, 16). ,,Das Evangelium bringt in der ganzen Welt Frucht und wächst" (Kol 1, 6). Ein Aufblühen der Kirchen, eine Fülle von Charismen eine nie dagewesene geistige Erneuerung, alles das zusammen mit der übernatürlichen ,,Zuversicht" des Apostels selbst, zeugt für dessen Macht, die daran ist, die Welt zu erobern (Gal 3, 5; 4, 26f; 2 Kor 2, 12; 3, 4; 1 Thess 1, 5). Paulus arbeitet mit seinen Händen und ,,erträgt alles, um dem Evangelium Christi kein Hindernis zu bereiten" (1 Kor 9, 12).

b) Erfüllung der Heiligen Schrift. Paulus unterstreicht die Kontinuität des Evange liums mit dem Alten Testament: Es ist ,,die Offenbarung eines Geheimnisses das seit ewigen Zeiten in Schweigen gehüllt, jetzt aber geoffenbart und durch die Heilige Schrift allen Völkern zur Kenntnis gebracht wurde" (Röm 16, 25f). Die dem Abraham gegebene >> Verheißung (Gn 12, 3) war ein ,,Präevangelium", das heute in der Bekehrung der Heiden seine Verwirklichung findet (Gal 3, 8; Eph 3, 6).

3. Die menschliche Antwort auf das Evangelium. Das Evangelium entbindet seine erlösende Kraft nur dann, wenn der Mensch es durch den Glauben beantwortet: ,,Es ist eine Kraft Gottes zum Heile für jeden, der glaubt ... In ihm offenbart sich die Gerechtigkeit Gottes aus dem Glauben zum Glauben hin" (Röm 1, 16f; 1 Kor 1, 18. 20). Es ist der Ort einer Entscheidung. Das Evangelium, das in der Menschheit seine Heilskraft entfaltet und das Geheimnis des Kreuzes fortsetzt (1 Kor 5, 17 - 2, 5), ist für die einen ein AErgernis eine ,,Torheit" (1 Kor 5, 18. 21. 23; Röm 9, 32f; Gal 5, 11) und bleibt ihnen ,,verhüllt"; vom ,,Gott dieser Welt" geblendet, sehen diese nicht ,,den Glanz des Evangeliums von der Herrlichkeit Christi" (2 Kor 4, 4). Sie >> gehorchen ihm nicht (2 Thess 1, 8). Von den andern dagegen wird das Evangelium im ,,Glaubensgehorsam" angenommen (Röm 1, 5; 2 Kor 10, 5). Mit der Gnade des Evangeliums erschließen sie sich dem ,,Evangelium von der Gnade" (Apg 20, 24).

V. Der hl. Johannes

Weder das Evangelium noch die Briefe des hl. Johannes verwenden das Wort Evangelium. Dessen Platz nehmen das Wort und das Zeugnis ein; ihr Gegenstand sind die Wahrheit das Leben und das Licht In der Apokalypse schaut Johannes in einer Vision ,,einen Engel hoch oben am Himmel fliegen, der allen Bewohnern der Erde eine ewige Frohe Botschaft zu verkünden hat" (54, 6f), das Evangelium vom endgültigen Anbruch des Reiches Gottes.

Nachtrag

Als das Wort ,,Evangelium" im Verlaufe des zweiten Jahrhunderts anfing, den geschriebenen Bericht vom Leben und von der Lehre Jesu zu bezeichnen, ging seine ursprüngliche Bedeutung darüber nicht verloren. Es bezeichnet nach wie vor die Frohe Botschaft vom Heile und vom Reiche Gottes in Christus. ,,Dieses Evangelium", schreibt der hl. Irenäus, ,,haben die Apostel zunächst gepredigt. Dann haben sie es uns dem Willen Gottes gemäß in Schriften überliefert, damit es zur Grundlage und zur Säule unseres Glaubens werde." Wenn der Priester oder der Diakon bei der heiligen Messe die Formel anstimmt: ,,Sequentia Sancti Evangelii , verkündet er gleich dem Propheten oder dem Apostel der Welt die Frohe Botschaft von ihrer Erlösung durch Jesus Christus. In den liturgischen Antworten: ,,Gloria tibi, Domine! Laus tibi, Christe!", klingt auch heute noch - wenn wir auf den Sinn dieser Worte achten - der ganze Schwung und die ganze Freude auf, die die Welt empfand, als sie zum ersten Male der Neuheit der Frohen Botschaft begegnet ist. Apostel - Heil NT Iz - Offenbarung NT 1 - Predigen - Reich Gottes NT I - Wort Gottes NT II. DM

EXIL

Die Deportation war ein Verfahren, das im Alten Orient gegen die besiegten Völker allenthalben angewendet wurde (vgl. Am I). Im Jahre 734 traf verschiedene Städte des Reiches Israel dieses harte Los (2 Kg 15, 29), im Jahre 721 das gesamte Nordreich (2 Kg 17, 6). Jene Deportationen aber, die der Geschichte des Bundesvolkes ihr stärkstes Gepräge verliehen haben, sind jene, die von Nabuchodonosor im Anschluß an seinen Feldzug gegen Juda und Jerusalem in den Jahren 597, 587 und 582 durchgeführt wurden(2 Kg 24, 14; 25, II; Jr 52, 28ff). Diesen Deportationen nach Babylonien ist der Name Exil vorbehalten. Die materielle Lage der Exulanten war nicht immer die schlimmste; sie besserte sich im Laufe der Zeit (2 Kg 25, 27 - 30). Doch blieb dabei der Weg zurück in die Heimat nach wie vor versperrt. Bevor sich dieser auftat, mußte man auf den Fall von Babylon und das Edikt des Kyros warten (2 Chr 36, 22f). Diese lange Periode der Prüfung löste im religiösen Leben Israels einen ungeheuren Widerhall aus. Offenbarte doch Gott dadurch (I.) seine kompromißlose Heiligkeit und (II.) seine grenzenlose Treue.

1. Das Exil als Strafe für die Sünde

1. Das Exil als Höchstmaß der Strafe. In der Logik der heiligen Geschichte schien die Möglichkeit eines Exils unvorstellbar zu sein: bedeutete es doch das Scheitern des gesamten Ratschlusses Gottes, der beim Auszug um den Preis so vieler Wunder verwirklicht worden war; setzte es doch allen >> Verheißungen einen scheinbaren Widerruf entgegen; bedeutete es doch die Preisgabe des Landes der Verheißung, die Absetzung des davidischen Königs, das Erkalten der Liebe zum zerstörten Tempel. Selbst nachdem es bereits zur Tatsache geworden war, bestand die natürliche Reaktion darin, daß man nicht daran glauben konnte und dachte, die Lage müsse ohne Verzug wiederhergestellt werden. Jeremias aber mußte diese Illusion zerstören: das Exil werde lange dauern... (Jr 29).

2. Das Exil als Offenbarung der Sünde. Es bedurfte dieser langen Dauer der Kata strophe, um dem Volke und seiner Führung deren unverbesserliche Verkehrtheit zum Bewußtsein zu bringen (Jr 13, 23; 16, 12f). Die Drohungen der Propheten, die man bis dahin auf die leichte Schulter genommen hatte, fanden ihre buchstäbliche Erfüllung. Auf diese Weise erschien das Exil als die Strafe für die so oft angeprangerten Vergehen der führenden Männer, die sich nicht auf den Bund mit Gott gestützt, sondern zu allzu menschlichen politischen Berechnungen ihre Zuflucht genommen hatten (Is 8, 6; 30, 1f; Ez 17, 19ff); Vergehen der höheren Schichten, die in ihrer Gier durch Gewalttaten und Betrug die brüderliche Einheit des Volkes verletzt hatten (Is 1,23; 5, 8 . . . 10, 1); Vergehen aller in Form ärgerniserregender Zuchtlosigkeit und Götzenkulte (Jr 5, 1; Ez 22), die aus Jerusalem eine Stätte des Bösen gemacht hatten. Schließlich aber war der bis zum AEußersten herausgeforderte Zorn des dreimal heiligen Gottes losgebrochen:

,,Es gab keine Heilung mehr ,,(z Chr 36, 16).

So wurde denn der Weinberg Jahves, der zum Bastard geworden war, schließ lich geplündert und ausgerissen (Is 5); die treulose Braut wurde ihres Schmuckes beraubt und schwer bestraft (Os 2; Ez 16, 38). Das unbelehrbare und aufrührerische Volk wurde aus seinem Lande vertrieben und unter die Heidenvölker zerstreut (Dt 28, 63 - 68). Die Schwere der Strafe offenbarte die Schwere der Schuld; es war nicht mehr möglich, die Illusion aufrechtzuerhalten oder vor den Heiden den Schein zu wahren: ,,Schamröte bedeckt heute unser Antlitz" (Bar 1, 15).

3. Exil und Bekenntnis. Von dieser Zeit an wurde das demütige Bekenntnis der

Sünden in Israel Brauch (Jr 31, 19; Esr 9,6...;Neh 1, 6; 9,16. 26; Dn 9, 5).Das Exil hatte wie eine ,,negative Theophanie" gewirkt: Es war eine alles Bisherige in den Schatten stellende Offenbarung der Heiligkeit Gottes und seines Abscheus vor der Sünde.

II Das Exil als fruchtbringende Prüfung

Aus dem Heiligen Lande vertrieben, des Tempels und des Kultes beraubt, mochten sich die Exulanten von Gott völlig verlassen glauben und einer tödlichen Mutlosigkeit verfallen (Ez II, I5; 37, 11; Is 49, 14). In Wirklichkeit aber blieb Gott selbst inmitten der Prüfung gegenwärtig, und seine wunderbare Treue wirkte bereits auf die Wiederaufrichtung seines Volkes hin.

1. Die aufrichtende Tätigkeit der Propheten. Die tatsächliche Verwirklichung der Drohweissagungen hatte die Exulanten dazu geführt, das Amt der Propheten ernst zu nehmen. Aber gerade in ihren Worten entdeckten sie, je mehr sie darüber nachsannen, nunmehr Beweggründe zur Hoffnung Denn die Androhung der Strafen war darin stets mit einem Aufruf zur Bekehrung und mit einer Verheißung der Wiederherstellung verbunden gewesen (Os 2, 1f; Is II, II; Jr 31). Die göttliche Strenge erschien darin als Ausdruck einer eifersüchtigen Liebe; selbst wenn Gott straft, wünscht er nichts so sehr, als die erste Liebe wieder erblühen zu sehen (Os 2, 16f); das Weinen des bestraften Kindes rührt sein Vaterherz (Os II, 8ff; Jr 31, 20). Während diese Botschaften in Palästina kaum Gehör gefunden hatten, fanden sie in den Kreisen der Exulanten in Babylon aufnahmebereite Hörer. Jeremias, der einst verfolgt worden war, wurde zum Propheten des Glaubens schlechthin.

Gott aber erweckte ihm unter den Exulaten selbst Nachfolger, die das Volk führten und es inmitten der Schwierigkeiten aufrecht hielten. Der Sieg der heidnischen Armeen schien der ihrer Götter zu sein. Die Versuchung war groß, sich vom babylo nischen Kult faszinieren zu lassen. Die prophetische Tradition aber lehrte die Exulanten, die Götzen zu verachten (Jr 10; Is 44, 9 .. .; vgl. Bar 6). Ja noch mehr:

ein deportierter Priester, Ezechiel, erhielt in grandiosen Visionen die Offenbarung vom Ungebundensein Jahves an einen bestimmten Ort: seine Herrlichkeit war nicht an den Tempel gebunden (Ez I), und seine Gegenwart bedeutete für die Exulanten ein unsichtbares Heiligtum (Ez II, 16).

2. Vorbereitung des neuen Israel. Wort Gottes, Gegenwart Gottes: auf dieser Basis ließ sich ein Kult begründen und entfalten, zwar kein Opferkult, wohl aber eine Synagogenliturgie, wobei man sich versammelte, um Gott zu hören (mit Hilfe der Lesung und Erklärung der heiligen Texte) und um mit ihm im Gebete zu sprechen. Auf diese Weise bildete sich eine geistige Gemeinde von Armen die ganz auf Gott ausgerichtet waren und von ihm allein das Heil erwarteten. Die Priesterklasse war bestrebt, dieser Gemeinde die heilige Geschichte zu erzählen und das Gesetz zu lehren. Diese Arbeit führte zur Entstehung der Priesterschrift, die jene alten Erinnerungen und Vorschriften zusammenstellte und wieder aufftischte, die Israel zum heiligen Volk und zum priesterlichen Königtum Jahvcs machte.

Weit davon entfernt, sich vom Götzendienst anstecken zu lassen, wurde dieses erneuerte Israel zum Herold des wahren Gottes in heidnischem Land. Es wurde sich seiner Berufung bewußt, das ,,Licht der Heidenvölker zu sein (Is 42, 6; 49, 6), und erschloß sich der eschatologischen Hoffnung auf das allumfassende Reich Jahves (Is 45, 14).

3. Ein neuer Auszug. Doch blieb diese Hoffnung auf Jerusalem konzentriert:

Bevor sie sich verwirklichen konnte, mußte erst das Exil zu Ende gehen. Das war es denn auch, was Gott zu dieser Zeit seinem Volk im ,,Trostbuch" (Is 40 - 55) verhieß, das die Wunder eines zweiten Auszugs im voraus beschrieb. Jahve wird ein zweites Mal zum Hirten Israels werden. Er wird die Verbannten selber aufsuchen und sie gleich einem Hirten (Ez 34, 11ff) in ihren Schafstall zurückführen (Is 40, II; 52, 12). Er wird sie von all ihren Vergehen reinigen und ihnen ein neues Herz geben (Ez 36, 24 - 28); er wird einen ewigen Bund mit ihnen schließen (Ez 37, 26; Is 55, 3) und sie mit allen Gütern überhäufen (Is 54, 11f). Es wird ein großer Sieg Jahves sein (Is 42, 10 - 17) der alle Wunder des Auszugs aus AEgypten in den Schatten stellen wird (Is 41, 17 - 20; 43, 16 - 21 49, 7 - 10).

Und tatsächlich wurde im Jahre 538 das Edikt des Kyros verkündet. Eine Welle der Begeisterung ergriff die vor Sehnsucht glühenden Juden. Bedeutende Gruppen von Freiwilligen, ,,die die Gefangenschaft überstanden hatten" (Esr 1, 4), kehrten nach Jerusalem zurück. Sie übten auf die Organisation der jüdischen Gemeinde und ihre geistige Ausrichtung einen entscheidenden Einfluß aus. Inmitten gewaltiger Schwierigkeiten vollzog sich die Auferstehung des Volkes (vgl. Ez 37, 1 - 14) als staunenerregendes Zeugnis der Treue Gottes, die man den verwunderten Heiden völkern gegenüber jubelnd besang (Ps 126).

4. Exil und Neues Testament. Erleben des Todes und der Auferstehung, Abführung in die Gefangenschaft und triumphale Heimkehr haben mehr als eine Beziehung zum zentralen Geheimnis des Ratschlusses Gottes (vgl. Is 53). Diese Geschehnisse enthalten auch für den Christen noch eine Fülle von Lehren. Gewiß gewährleistet ihnen fortan ein lebendiger Weg freien Zutritt zum wahren Heiligtum (Hebr 10, 19; Jo 14,6). Freien Zutritt haben bedeutet aber noch nicht, am Ziele angelangt sein. In einem gewissen Sinn bedeutet ,,in diesem Körper leben, ferne vom Herrn in der Verbannung leben" (2 Kor 5, 6). In dieser Welt lebend, ohne von dieser Welt zu sein (Jo 17, 16), müssen sich die Christen die Heiligkeit Gottes immer vor Augen halten, der sich mit dem Bösen nicht abfinden kann (1 Petr 1, 15; 2, 11f), und sich auf die Treue Gottes stützen, der sie in Christus zum himmlischen Vaterland geleiten wird (vgl. Hebr 11, 16). Auszug