AUTORITAET

AT

I. ,,Jegliche Autorität kommt von Gott"

Dieser Grundsatz, den der hl. Paulus formuliert hat (Röm 13, 1), wird im Alten Testament allenthalben vorausgesetzt. Dabei erscheint die Ausübung dieser Autorität den unabweisbaren Forderungen des göttlichen Willens unterworfen.

1. Formen der irdischen Autorität. In der Schöpfung, die aus Gottes Hand hervorgegangen ist, geht auch jegliche Macht von ihm aus: die Macht des Menschen über die Natur (Gn 1, 28), des Mannes über die Frau (Gn 3, 16), der Eltern über die Kinder (Lv 19, 3). Wenn man die vielgestaltigen Strukturen der menschlichen Gesellschaft ins Auge fasst, ist es wiederum Gott, dem gegenüber alle Befehlshaber für das Wohl der ihnen unterstellten Gruppen verantwortlich sind: Jahve befiehlt Hagar, ihrer Herrin gehorsam zu sein (Gn 16, 9); er überträgt Hazael die Herrschaft über Damaskus (1 Kg 19, 15; 2 Kg 8, 9 - 13) und Nabuchodonosor die Gewalt über den gesamten Orient (Jr 27, 6). Wenn dies selbst bei den Heiden so ist (vgl. Sir 10, 4), dann um so mehr beim Volke Gottes. Hier aber kommt dem Problem, das die irdische Autorität aufwirft, ein besonderer Charakter zu, der eigens untersucht zu werden verdient.

2. Voraussetzungen für die Ausübung der Autorität. Die von Gott übertragene Autorität ist keine absolute, sondern durch sittliche Verpflichtungen begrenzt. Das Gesetz setzt deren Ausübung Schranken, indem es sogar die Rechte der Sklaven festlegt (Ex 21, 1 - 6. 26f; Dt 15, 12 - 18; Sir 33, 30.. .). Was die Kinder anlangt, so muß die Autorität des Vaters über sie auf deren gute Erziehung abzielen (Spr 23, 13f; Sir 7, 20f; 30, 1.. .). Im Bereiche der politischen Autorität ist der Mensch am meisten versucht, die Grenzen seiner Macht zu überschreiten. Von seiner Macht berauscht, schreibt er sich selbst deren Verdienst zu, so wie dies beispielsweise das siegreiche Assyrien tat (Is 10, 7 - 11. 13f); er vergötzt sich selbst (Ez 28, 2 - 5) und erhebt sich gegen den souveränen Herrn und Gott (Is 14, 13f) und schreckt selbst vor dessen blasphemischer Beleidigung nicht zurück (Dn 11, 36). Wenn es so weit kommt, wird er jenen satanischen Ungeheuern ( Tier ähnlich, die Daniel dem Meere entsteigen sah und denen Gott für eine bestimmte Zeit Macht gegeben hat (Dn 7, 3 - 8. 19 - 25). Doch liefert sich eine derart verderbte Autorität selbst dem göttlichen Gericht aus, das nicht verfehlen wird, ihr am hierfür bestimmten Tage ein Ende zu setzen (Dn 7, 11f. 26). Da sie ihre Sache an die der bösen Mächte geknüpft hat, wird sie schliesslich auch mit diesen fallen.

II. Die Autorität im Volke Gottes

Alles, was bisher über den Ursprung der irdischen Autorität und die Voraussetzungen für deren Ausübung gesagt worden ist, betrifft die Ordnung der Schöpfung. Nun aber hat der Mensch diese Ordnung nicht respektiert. Um sie wiederherzustellen, inauguriert Gott in der Geschichte seines Volkes einen Ratschluss des Heiles wodurch die irdische Autorität aus der Perspektive der Erlösung heraus einen neuen Sinn erhält.

1. Die beiden Gewalten. An die Spitze seines Volkes setzte Gott Männer, denen er bestimmte Vollmachten übertragen hat. Dies aber waren nicht in erster Linie politische Persönlichkeiten, sondern religiöse Gesandte, denen die Sendung übertragen wurde, aus Israel ,,ein Königreich von Priestern und ein heiliges Volk" zu machen (Ex 19, 6). Moses die Propheten die Priester wurden auf diese Weise zu Trägern einer Macht geistlicher Natur, die sie kraft göttlichen Auftrags sichtbar ausgeübt haben. Doch war Israel auch eine völkische Gemeinschaft, ein mit einer politischen Organisation ausgestattetes Staatswesen. Dieses aber war theokratischer Natur, denn hier wurde die Macht gleichfalls im Namen Gottes ausgeübt, welcher Art immer auch die Staatsform sein mochte: gleichviel, ob es sich dabei um jene Macht handelte, die jene AEltesten ausübten, die Moses zur Seite standen (Ex 18, 21 ff; Nm 11, 24f), um charismatische Führer, wie Josue und die Richter, oder schliesslich um die Könige Die Lehre vom Bunde setzte also - wie dies der Berufung des Volkes entsprach - eine enge Verbindung zwischen den beiden Gewalten und die Unterordnung des Politischen unter das Geistige voraus. Daraus ergaben sich in der Praxis unvermeidbare Konflikte: so der Konflikt zwischen Saul und Samuel (1 Sm 13, 7 - 15; 15), zwischen Achab und Elias (1 Kg 21, 17 - 24) und zahlreicher Könige mit den Propheten ihrer Zeit. Auf diese Weise war die menschliche Autorität im Volke Gottes von denselben Mißständen bedroht wie überall sonst. Dies war aber nur ein Grund mehr dafür, dass sie dem göttlichen Gericht unterlag. Deshalb sollte die politische Macht des israelitischen Königtums in der Katastrophe des Exils ihr Ende finden.

2. Den heidnischen Mächten gegenüber. Beim Wiederaufbau des Judentums nach dem Exil fanden seine Strukturen zu den Formen der Theokratie von einst zurück. Der Unterschied zwischen den geistlichen und der politischen Gewalt trat um so klarer hervor, als diese letztere in der Hand fremder Mächte verblieb, denen die Juden fortan unterworfen blieben. In dieser neuen Situation nahm das Volk Gottes je nach den Umständen zwei verschiedene Haltungen an: Die erste war die einer freiwilligen Anerkennung. Gott selbst hat Kyros und seinen Nachfolgern die Herrschaft übertragen (Is 45, 1 ff); da sie die Wiederherstellung des heiligen Kultes begünstigten, fühlte man sich verpflichtet, ihnen in Treue zu dienen und für sie zu beten (Jr 29, 7; Bar 1, 10f). Eine andere Haltung aber ergab sich, wo das heidnische Reich zum Verfolger wurde; in diesem Falle rief man zu Gott um Rache im äussersten Falle aber griff man zur offenen Revolte (Jdt; 1 Makk 2, 15 - 28). Die monarchische Restauration der Makkabäerzeit aber führte zu einer zweifelhaften Zusammenlegung der beiden Gewalten, die in kürzester Zeit zur schlimmsten Dekadenz entartete. Mit dem Eingreifen Roms im Jahre 63 aber geriet das Volk Gottes in die Gewalt der verhassten Heiden.

NT

I. Jesus

1. Jesus als Träger der Gewalt. Jesus erscheint während seines öffentlichen Lebens als Träger einer einzigartigen Autorität (exousia): Er predigt mit Autorität (Mk 1, 22 par.), er hat die Macht, Sünden zu vergeben (Mt 9, 6 ff), er ist Herr des Sabbats (Mk 2, 28 par.). Es ist die rein religiöse Macht eines Gottgesandten, der gegenüber sich die Juden die Wesensfrage stellen: Kraft welcher Autorität tut er dies? (Mt 21, 23 par.) Jesus aber gibt auf diese Frage keine direkte Antwort (Mt 21, 27 par.). Doch lenken die Zeichen, die er tut, die Geister auf eine Antwort hin: Er hat Macht über die Krankheiten (exousia: Mt 8, 8f par.), über die Naturgewalten (Mk 4, 41 par.), über die Dämonen (Mt 12, 28 par.). Lag hierin nicht ein Hinweis darauf, dass ihm alle Macht gegeben ist im Himmel und auf Erden, wie er selber sagen wird (Mt 28, 18)? Seine Autorität erstreckt sich also auch auf den politischen Bereich; er, der sich geweigert hat, die Macht in diesem Bereiche aus den Händen des Satans entgegenzunehmen (Lk 4, 5 ff), hat sie in Wirklichkeit von Gott erhalten. Indes hat er von dieser Macht unter den Menschen in keiner Weise Gebrauch gemacht. Während die Gewalthaber dieser Welt ihre Macht durch deren Ausübung unter Beweis stellen, verhält er sich unter den Seinen wie einer, der dient (Lk 22, 25 ff). Er ist der Meister und Herr (Jo 13, 13). Doch ist er gekommen, um zu dienen und sein Leben hinzugeben (Mk 10, 42 ff par.). Aber gerade weil er Knechts Gestalt angenommen hat, wird sich schliesslich jedes Knie vor ihm beugen (Phil 2, 5 - 11).

2. Jesus vor den irdischen Autoritäten. Um so bezeichnender ist die Haltung Jesu den irdischen Autoritäten gegenüber. Vor den jüdischen Autoritäten erhebt er den Anspruch auf seine Eigenschaft als Menschensohn (Mt 26, 63f par.) als Grundlage einer Macht, die durch die Heilige Schrift bezeugt war (Dn 7, 14). Seine Stellung zur politischen Autorität ist nuancierter. Er anerkennt jene Kompetenz, die dem Kaiser eignet (Mt 22, 21 par.); doch verschliesst ihm dies keineswegs die Augen für die Ungerechtigkeit derer, die diese Autorität innehaben (Mt 20, 25; Lk 13, 32). Da er vor Pilatus erscheint, bestreitet er nicht dessen Macht, um deren göttlichen Ursprung er weiß; wohl aber weist er auf die Bosheit hin, deren Opfer er ist (Jo 19, 11) und erhebt für sich den Anspruch auf ein Königtum, das nicht von dieser Welt ist (Jo 18, 36). Sosehr das Geistliche und das Zeitliche, jedes auf seine Art, grundsätzlich von ihm ausgehen, bestätigt er doch deren klare Scheidung und gibt zu verstehen, dass dem Zeitlichen für den Augenblick innerhalb seiner Ordnung eine wirkliche Bedeutung zukommt. In der israelitischen Theokratie waren die beiden Gewalten miteinander vereinigt gewesen; in der Kirche sollte es nicht mehr so sein.

II. Die Apostel

1. Die Träger der Autorität Jesu. Als Jesus seine Jünger aussandte ( Sendung , übertrug er ihnen seine eigene Autorität (,,Wer euch hört, der hört mich", Lk 10, 16f) und vertraute ihnen seine Vollmachten an (vgl. Mk 3, 14f par.; Lk 10, 19). Doch hat er sie gelehrt, dass die Ausübung dieser Vollmachten in Wirklichkeit ein Dienst ist (Lk 22, 26 par.; Jo 13, 14f). Und in der Tat sieht man die Apostel in der Folge von ihren Vollmachten Gebrauch machen, so zum Beispiel, wenn sie die unwürdigen Mitglieder aus der Gemeinde ausschliessen (1 Kor 5, 4f). Doch sind sie weit davon entfernt, das Gewicht ihrer Autorität fühlen zu lassen, und sind vor allem darauf bedacht, Christus und den Menschen zu dienen (1 Thess 2, 6 - 10). Sosehr aber diese Autorität in sichtbarer Weise ausgeübt wird, ist sie deshalb doch nicht weniger geistlicher Natur: Sie erstreckt sich ausschliesslich auf die Leitung der Kirche. Hier liegt eine bedeutsame Neuerung vor: Im Gegensatz zu den Staaten der Antike ist die Scheidung zwischen dem geistlichen und dem politischen Bereich fortan vollzogene Tatsache.

2. Die Ausübung der menschlichen Autorität. In bezug auf den Wert der menschlichen Autorität und die Voraussetzungen für deren Ausübung bestätigen die apostolischen Schriften die Lehre des Alten Testaments, stellen sie aber auf eine neue Grundlage. Die Frau soll ihrem Manne untertan sein, wie die Kirche Christus untertan ist; umgekehrt aber soll der Mann seine Frau lieben, wie Christus die Kirche geliebt hat (Eph 5, 22 - 33). Die Kinder müssen ihren Eltern gehorchen (Kol 3, 20f; Eph 6, 1 ff), weil jegliche Vaterschaft ihren Namen von Gott hat (Eph 3, 15); die Eltern aber müssen sich bei deren Erziehung davor hüten, sie zu verbittern (Eph 6, 4; Kol 3, 21). Die Sklaven müssen ihren Herren Gehorsam leisten, selbst den harten und rücksichtslosen (1 Petr 2, 18), gleich als täten sie dies Christus selbst gegenüber (Kol 3, 22; Eph 6, 5 . .). Die Herren aber müssen dessen eingedenk sein, dass auch sie einen Herrn im Himmel haben (Eph 6, 9), und lernen, ihre Sklaven wie Brüder zu behandeln (Phm 16). Es genügt nicht, zu sagen, diese Sozialmoral gewährleiste eine richtige Auffassung von der Autorität in der menschlichen Gesellschaft: Sie macht den aus Liebe vollzogenen Dienst an den anderen zu ihrer Grundlage und zu ihrem Ideal.

3. Die Beziehungen der Kirche zu den menschlichen Autoritäten. Die Apostel als Träger der Autorität Jesu stossen auf menschliche Autoritäten, mit denen sie in Beziehungen treten müssen. Unten diesen aber stellten die jüdischen Autoritäten keine Autoritäten gleich den anderen dar, besassen sie doch eine Vollmacht religiöser Ordnung und verdankten ihren Ursprung einer göttlichen Einrichtung. Deshalb behandelten die Apostel sie auch mit Respekt (Apg 4, 9; 23, 1 - 5), solange ihre Feindschaft gegen Christus nicht offen zutage trat. Doch haben diese Autoritäten eine schwere Verantwortung auf sich geladen, da sie Christus verkannt haben und ihn verurteilen liessen (Apg 3, 13 ff; 13, 27f). Sie haben diese Schuld noch vergrössert, da sie sich der Verkündigung des Evangeliums widersetzten. Deshalb setzten sich die Apostel über ihre Verbote hinweg, überzeugt, Gott mehr gehorchen zu müssen als den Menschen (Apg 5, 29). Durch die Ablehnung der Autorität Christi haben sich die jüdischen Führer ihren geistlichen Gewalt begeben. Die Beziehungen zur politischen Autorität warfen ein Problem verschiedener Natur auf. Dem römischen Weltreich gegenüber bekundet der hl. Paulus volle Loyalität, er beruft sich auf seine Eigenschaft als römischer Bürger (Apg 16, 37; 22, 25 ..) und appelliert an den römischen Kaiser, um Gerechtigkeit zu erfahren (Apg 25, 12). Er erklärt, dass jede Autorität von Gott kommt und dass sie im Hinblick auf das Gemeinwohl verliehen wird. Die Unterordnung unter die zivile Gewalt ist also eine Gewissenspflicht, sofern jene die Vollstreckerin der göttlichen Gerechtigkeit ist (Röm 13, 1 - 7); daher ist es auch Pflicht, für die Könige und die Träger der Autorität zu beten (1 Tim 2, 2). Der erste Petrusbrief enthält dieselbe Lehre (1 Petr 2, 13 - 17). Dies setzt voraus, dass sich die zivile Gewalt selbst wieder dem Gesetz Gottes unterwirft. Nirgends aber ist zu erkennen, dass für die geistliche Autorität der Kirche eine direkte Gewalt über politische Verhältnisse beansprucht wird. Wenn sich jedoch die politische Autorität ihrerseits gegen Gott und gegen seinen Christus erhebt, wie dies einst das syrische Reich durch die Verfolgung der Juden getan, kündet die christliche Prophetie feierlich deren Gericht und Fall an; dies tut die Apokalypse dem Rom eines Nero und eines Dominian gegenüber (Apk 17, 1 - 19, 10). In einem totalitären Staat, der den Anspruch erhebt, die göttliche Autorität zu inkarnieren, sinkt die politische Macht zu einer satanischen Karikatur herab, vor der kein gläubiger Mensch sein Haupt zu beugen vermöchte. Apostel