ANTICHRIST

Der Ausdruck Antichrist (wörtlich: ,,Gegen-Christus") kommt nur in 1 Jo 2, 18. 22; 4, 3; 2 Jo 7 vor. Doch ist in verschiedenen apokalyptischen Stellen des Neuen Testamentes dieselbe oder eine ähnliche Wirklichkeit gemeint; so in Mk 13, 14 par.; 2 Thess 2, 3 - 12; Apk 13, 4 - 18. Und da sie sich in einen schon im Alten Testament bezeugten dualistischen Rahmen einfügt, muß zunächst in diesem deren erste, noch unvollkommene, aber schon bedeutsame Offenbarung ins Auge gefasst werden.

AT

Schon im Alten Testament sieht man die Tätigkeit Gottes hienieden auf Gegenkräfte stossen, die je nach dem Kontext ein verschiedenes Antlitz erkennen lassen.

1. Die religiöse Symbolik des Alten Orients hat der Offenbarung eine poetische Darstellung der Schöpfung in Form eines Kampfes zwischen dem Schöpfergott und den chaotischen Kräften, gewaltigen Ungeheuern ( Tier , die die ungezähmte Macht des Meeres symbolisieren sollten, geliefert (Is 51, 9f; Ps 74, 13f; 89, 10 ff). Dasselbe Symbol dient nach dessen Reinigung von allem, was ihm an Mythologischem anhaftete, zur Schilderung der ,,Endzeit" unter den Zügen eines Kampfes Jahves gegen die Schlange (Is 27, 1). Vermutlich liegt es auch der Schilderung des Urdramas zugrunde; denn der Gegner des Ratschlusses Gottes hat in der Genesis die Gestalt einer Schlange (Gn 3). Auf diese Weise wird unter der äusseren Hülle der Bilder das Antlitz Satans an den beiden Endpunkten des Heilsratschlusses sichtbar: Er ist der Gegner Gottes schlechthin.

2. Indes bedient sich der Satan im Rahmen der Geschichte hienieden der Hilfe menschlicher Mächte. Die Feinde des Volkes Gottes werden zu Gegnern Gottes selbst, wenn sie seinem providentiellen Ratschluss hindernd in den Weg treten. So AEgypten im Zeitpunkt des Auszuges; so auch die Machthaber von Assur und Babylon als Bedrücker Israels und Anbeter falscher Götter, deren geistige Herrschaft sie hienieden auszubreiten suchen; so endlich auch sämtliche heidnischen Könige, die ihr sakrilegischer Hochmut dazu verleitet, sich Gott gleichzustellen (Ex 28, 2 ff; Is 14, 13). Die Geschichte bringt also ein ständiges Aufeinanderprallen zwischen Jahve und diesen historischen Mächten mit sich, bis es endlich zu jener letzten Auseinandersetzung kommt, wo ,,Gog, der König von Magog", auf immer geschlagen wird (Ez 38 - 39); auf diesen Endkampf aber wird das eschatologische Heil folgen.

3. Das Unterfangen des Antiochus Epiphanes, der ein Feind Israels, zugleich aber auch ein Verfolger der wahren Anbeter Gottes gewesen ist, ermöglichte es dem Danielbuche, zwischen den beiden genannten Vorstellungen eine Synthese herzustellen. Er ist jener Gottlose der sich anmasst, sich an die Stelle Gottes zu setzen (Dn 11, 36), und der an heiliger Stätte den Greuel der Verwüstung aufgerichtet hat (9, 27). Er ist auch jenes elfte Horn, das aus dem vierten Tiere mit der Teufelsfratze emporwächst (7, 8). Deshalb bilden auch dessen Verurteilung und Vernichtung das Präludium zur Aufrichtung des Reiches Gottes (7, 11 - 27; 11, 40 - 12, 2).

NT

Solcher Art ist die eschatologische Perspektive, in die sich die Lehre des Neuen Testamentes einfügt. Fortan aber stellt die endgültige Offenbarung Gottes kein rein zukünftiges Ereignis mehr dar: sie ist in der Person Jesu hienieden bereits inauguriert. Deshalb wird der Gegen-Gott des Alten Testamentes zum Anti-Christ.

1. Schon in der synoptischen Apokalypse verbindet sich mit der grossen Drangsal, die Jesus als Auftakt zum Kommen des Menschensohnes in Herrlichkeit ankündigt, das Auftreten ,,falscher Christusse"' deren Verführungskunst die Menschen zum Abfall verleitet (Mk 13, 5f. 21f; Mt 24, 11 par.), und hat als Zeichen den an heiliger Stätte aufgerichteten ,,Greuel der Verwüstung" (Mk 13, 14 par.).

2. In 2 Thess 2, 3 - 12 nimmt der Widersacher der Endzeit, der Sohn des Verderbens, der Gottlose, in Analogie zu den Widersachern Gottes im Alten Testament (Dn 2, 4) die Züge eines regelrechten Anti-Gottes an. Er ist aber auch ein Antichrist, der mit seiner Parusie, mit dem ihm eigenen, von Gott festgesetzten Zeitpunkt, mit seiner übernatürlichen Macht, die zum Verderben der Menschen gleisnerische Wunder wirkt (2, 8 - 10), die Züge des Herrn nachahmt. Auf diese Weise wird er hienieden das Werk Satans vollenden (2, 9). Nun aber ist das Geheimnis der Bosheit ( Gottlos , dessen Werkmeister schlechthm er sein wird, bereits am Werke (2, 7). Deshalb gehen so viele Menschen in die Irre und hangen der Lüge an, statt an die Wahrheit zu glauben (2, 11f). Wenn sich der Gottlose jetzt noch nicht persönlich offenbart, so deshalb, weil irgend etwas oder irgend jemand ihn noch ,,zurückhält" (2, 7) - eine rätselhafte Anspielung, über die sich der hl. Paulus nicht näher ausgesprochen hat. Jedenfalls aber bildet das Sich-Offenbaren des Gottlosen den Auftakt für die Parusie Jesu, der ihn mit dem Glanz seiner Ankunft vernichten wird (2, 8; vgl. 1, 7 - 10).

3. Die Apokalypse zeichnet mit Hilfe des Symbols der beiden Ungeheuer ( Tier eine ähnliche eschatologische Perspektive. Das erste ist eine politische Macht: Sie lästert Gott, lässt sich anbeten und verfolgt die wahren Gläubigen (Apk 13, 1 - 10). Das zweite ist eine religiöse Wirklichkeit: Sie kämpft wider das Lamm (d. h. Christus), vollbringt gleisnerische Wunder und verführt die Menschen zur Anbetung des ersten Ungeheuers (13, 11 - 18). Auf diese Weise vollbringt der Satan, der alte Drache, der seine Macht dem ersten Tiere übergeben hat, hienieden sein Werk (13, 2). Eine grossartige symbolische Schilderung, die die ,,Endzeit" vor Augen hat, aber mit verhüllten Worten auch die gegenwärtige Situation meint, wo die Kirche Jesu, vom heidnischen Römerreiche verfolgt, in schwerem Kampfe liegt.

4. In den Briefen des hl. Johannes wird mit dem Namen Antichrist ausschliesslich eine gegenwärtige Realität bezeichnet: Wer leugnet, dass Jesus der Christus ist, und damit den Vater und den Sohn leugnet (1 Jo 2, 22), wer den im Fleische gekommenen Jesus Christus nicht bekennt (1 Jo 4, 3; 2 Jo 7), der ist der Verführer, der Antichrist. Damit spielt Johannes eindeutig auf die Häretiker und Apostaten an, in denen die von Jesus angekündigte und vom hl. Paulus gemeinte Apostasie bereits zur Wirklichkeit wird. Damit ist die Eschatologie in ihrer Gegenwartsbedeutung aufgezeigt und in diese hineingestellt. Doch muß das gegenwärtige Glaubensdrama aus einer noch umfassenderen Perspektive heraus verstanden werden, und zwar aus jener, von der die Apokalypse ein vollständiges Bild entwirft. Die Lehre vom Antichrist bleibt voller Geheimnisse. Sie kann nur im Zusammenhang mit jenem die Weltzeit erfüllenden Kampfe ( Krieg verstanden werden, in dem Gott und sein Gesalbter dem Satan und seinen irdischen Helfershelfern entgegentritt. Diese versuchen auf dem doppelten Wege der zeitlichen Verfolgungen und der religiösen Verführung den Ratschluss des Heiles zum Scheitern zu bringen. Es wäre falsch, jedes der Symbole, die ihr Vorhandensein verdeutlichen sollen, mit Eigennamen bezeichnen zu wollen; aber jeder, der gleich ihnen handelt, nimmt in irgendeiner Form am Geheimnis des Antichrists teil. Nun wird aber diese Auseinandersetzung während des gesamten Verlaufs der Geschichte unausgesetzt fortdauern und die Menschen in einen Kampf hineinstellen, in dem kein menschliches Mittel zum Siege führen kann. Wo sich aber die Menschen als machtlos erweisen, wird das Lamm den Sieg davontragen (Apk 17, 14), und dessen Zeugen werden an seinem Siege Anteil erhalten (Apk 3, 21). Babel Gottlos Krieg Lüge II Satan Tag des Herrn NT I 2 Tiere